Hausarrest in Zeiten von Corona - Zwischen Meditation und Aufräumwahn

Do 19.03.20 | 20:26 Uhr | Von Laura Kingston
Home-Office mit der Quarantäne-WG. (Quelle: rbb/L. Kingston)
Bild: rbb/L. Kingston

Am vierten Tag ihres Hausarrests findet sich rbb|24-Autorin Laura Kingston zwischen völliger Verlotterung und Selbstoptimierung wieder. Allerdings auch um eine wichtige Erkenntnis reicher.


"Ich war im Kater Blau." In meiner WG kein ungewöhnlicher Satz. An diesem Sonntagabend schon.

"Behörden suchen Kontaktpersonen aus Club „Kater Blau“"

Mein Mitbewohner könnte Corona haben. Und ich damit auch.

Arbeiten zu Hause im Home-Office. (Quelle: rbb/L. Kingston)
Bild: L. Kingston

Tag 1: Verwirrung

Angst vor J. habe ich nicht. Als ich am Montag ohne Wecker aufwache, fühlt sich das fast schon ein bisschen wie Urlaub an. Um 10 rolle ich mich aus dem Bett und beschließe: Ich bin jetzt ein Frühstücksmensch. Sitze mit J. zusammen am Tisch, frisch gebrühter Kaffee, Aufbackbrötchen. Entspannte Stimmung. Gespräche statt Deutschlandfunk.

Bei der dritten Tasse Kaffee, die Pushmitteilung:

"Alle Geschäfte bis auf Supermärkte sollen schließen"

Frühstück vorbei – und der Tag hat noch etliche Stunden. Was mache ich mit der ganzen Zeit? Als ich die Milch wieder in den Kühlschrank stelle, kommt mir ein fauliger Geruch entgegen. Ich wische den Kühlschrank aus. Podcast im Ohr. Als ich eine vergammelte Möhre aus dem Gemüsefach fische, vibriert mein Handy, das ich in den Bund meiner Pyjamahose gestopft habe.  Pushmitteilung:

"Alltours und Tui sagen Reisen ab"

16 Uhr. Ich bin noch im Pjyama. Habe ich mir heute schon die Zähne geputzt? Nein. OK. Tag 1 der Quarantäne und schon habe ich die Kontrolle über mein Leben verloren.

Abends – immerhin habe ich es geschafft, bis dahin zu duschen – WG-Corona-Krisen-Treffen. J., ich und meine anderen Mitbewohner M. und H. Die letzteren beide noch munter unterwegs und auf der Arbeit. Insgeheim bin ich froh drüber. Keine Lust auf Lagerkoller. Ich schlurfe zurück in mein Zimmer, tausche Jogginghose wieder gegen Pyjama und falle ins Bett. Blick aufs Handy:

"EU schließt Außengrenzen ab Dienstagmittag"

Yoga in der Quarantaene-WG. (Quelle: rbb/L. Kingston)
Bild: rbb/L. Kingston

Tag 2: Wut und blinder Tatendrang

Heute will ich mein Leben wieder in den Griff bekommen. Ich putze mir gleich morgens die Zähne, setze mich an den Küchentisch und schreibe eine To-Do-Liste. Ich kritzele sie; so viele Dinge, die ich tun kann. Dokumente sortieren, Pflanzen gießen, Fenster putzen, meditieren, lesen, Telefonate, Wäsche waschen. Das Gekrakel erstreckt sich über zwei Seiten. Ich werde aus meinem Schreibfluss gerissen – Pushmitteilung:

"Bundesregierung will Deutsche aus dem Ausland zurückholen"

Die Gedanken an meinen Bruder, der in England unterwegs ist, schiebe ich bei Seite. Es ist Zeit für Bauch, Beine, Po. Ich will mit gestähltem Körper aus der Quarantäne zurück kommen, will beweisen, dass man diese scheinbar sinnfreie Zeit sinnvoll nutzen kann. Selbstoptimierung, Corona-Edition.

11 Uhr, ich sitze auf dem Teppich, umzingelt von Papierbergen. Als ich einen Briefumschlag nach dem anderen aufreiße, und die Fetzen durch die Luft wirble, packt mich die Wut. Ich habe keinen Bock mehr auf den Hausarrest. Ich will raus, ich will arbeiten, ich will Menschen treffen. Ich will ich will ich will. Ich hinterlasse das Chaos und entscheide mich für eine Meditation. Ganz ruhig, Laura. Als ich die App auf meinem Handy öffnen will, Pushmitteilung:

"Robert Koch-Institut setzt Risikoeinschätzung auf hoch"

Die Meditation kann ich vergessen. Ich gehe rein, gieße meine Pflanzen. Abends die Nachricht, dass meine Mitbewohner M. und H. am nächsten Tag auch unter Hausarrest stehen. Zu viert in der WG, tage- vielleicht wochenlang? Zwei der Mitbewohner zerstritten. Keine tollen Aussichten. Ich gehe mit Wut im Bauch ins Bett, falle in einen unruhigen Schlaf.

Zu viert am Wohnzimmertisch. Stimmung ist angespannt und das am ersten Tag. Ich muss was tun, irgendwie aktiv werden. Ich putze die Fenster, koche Nudeln. Esse Nudeln auf dem Balkon in der Sonne. J. kommt mit zwei Gläsern Wein heraus und sagt: "Du wirkst angespannt." Teller leer. Das Handy daneben vibriert:

"Deutschland setzt Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus"

Fensterputzen in der Quarantaene. (Quelle: rbb/L. Kingston)
Bild: rbb/L. Kingston

Tag 3: Die Erkenntnis

Ich trinke Wein, mein Gesicht wird von der Nachmittagssonne gewärmt. Vögel zwitschern. Krankenwagensirenen übertönen. Ich telefoniere mit meiner Mutter. Sie ist in einer Klinik, wegen ihrer Depression. "Wir dürfen keinen Besuch mehr empfangen", sagt sie, scheinbar emotionslos. Noch nie kam mir der Niederrhein so weit weg vor wie an diesem Mittwochnachmittag. Ich lege auf, mich aufs Bett und starre die Decke an. Das Handy vibriert:

"Eurovision Song-Contest wegen Corona abgesagt"

Als ich mich auf meinem frisch bezogenen Bett wiederfinde, umgeben von prächtigen Pflanzen und die Sonne durch die frisch geputzten Fenster scheint, wird mir bewusst: Es geht mir gut. Es geht mir gut, weil ich jung bin. Weil ich das Glück habe, in dieser Wohnung zu wohnen. Ich kann diesen Artikel schreiben und damit Geld verdienen, bin umgeben von netten Menschen, bekomme Telefonate von Freunden und psychisch bin ich (zumindest die meiste Zeit) stabil. Ich habe Essen und Trinken, die Möglichkeit, mir 20 Mal am Tag die Hände zu waschen.

Hausarrest, Quarantäne, Gewahrsam. Wie man es auch nennen mag, es tut mir nicht weh. Ich denke an die älteren Menschen, die in Gefahr sind, an die Ärzte in den Krankenhäusern, an all jene, die unter Depressionen und Angststörungen leiden. Denke an die Menschen an der türkisch-griechischen Grenze, die ausgeliefert sind. Ich denke an diejenigen, die ihre Jobs verlieren.

Jetzt ist die Zeit, zu verstehen, was es bedeutet, privilegiert zu sein. Für die kommenden Wochen bleibt für mich ein To-Do auf meiner Liste: Die aktuelle Situation mit ein bisschen mehr Demut und Dankbarkeit angehen.

Beitrag von Laura Kingston

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Antwort auf [Tom] vom 19.03.2020 um 23:13
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