Interview | Oberstudiendirektor zu Schulstart - "Selbst wenn man die Klasse halbiert, wird es schwer"

Do 16.04.20 | 20:59 Uhr
"Ruhezone Abitur Kein Durchgang" steht auf einer Absperrung in einer Schule. (Quelle: dpa/Ole Spata)
Audio: Inforadio | 16.04.2020 | Interview mit Ralf Treptow | Bild: dpa/Ole Spata

Die ersten Abiturprüfungen werden am Montag in Berlin geschrieben, mit maximal acht Schülern in einem Raum. Die Vorgaben würden also eingehalten, sagt Oberstudiendirektor Ralf Treptow. Wie zielführend die Prüfungen jetzt seien, stehe auf einem anderen Blatt.

rbb: Herr Treptow, wie läuft die erste schriftliche Abiturprüfung an Ihrem Gymnasium ab?

Ralf Treptow: Es wird an allen Gymnasien, an denen das Leistungsfach Latein geprüft wird [erstes angesetztes Fach der Prüfungen; Anm. d. Red.], so ablaufen, dass kleine Gruppen gebildet werden, maximal acht Schüler pro Raum. Wir werden die Abstandsregelungen einhalten, die Papiere mit Handschuhen ausgeben. Alles, was da so vorgeschlagen wurde und vorgeschrieben wurde, werden die Gymnasien und auch die anderen Schulen, die prüfen, umsetzen.

Haben Sie genügend Masken und Handschuhe?

Handschuhe haben wir da, Masken nicht. Die sind aber auch nicht vorgeschrieben. Was ein bisschen problematisch ist: Normalerweise haben die Schulen natürlich kein Warmwasser in den Schülertoiletten.

Der Landesschülerausschuss hatte gefordert, auf die Abiturprüfungen zu verzichten. Gibt es an Ihrer Schule vielleicht sogar Jugendliche, die den Prüfungen aus Protest fernbleiben wollen?

Das kann ich vorher nicht prognostizieren. Grundsätzlich vertrete ich auch die Auffassung, dass es besser gewesen wäre, schrittweise zum Unterricht zurückzukehren. Aber offensichtlich ist es für die Bildungspolitik in Deutschland wichtiger, die Prüfungen abzuhalten.

Warum?

Ich bin eben der Auffassung, Unterricht erzeugt Wissen, und Prüfungen überprüfen eben nur. In der jetzigen Situation hätte ich es für wichtiger gehalten, bei der schrittweisen Wiederherstellung von Normalität die Unterrichtsangebote in den Mittelpunkt zu stellen.

Ab Montag, den 27. April, sollen sich dann die 10. Klassen auf die MSA-Prüfungen vorbereiten können, den Mittleren Schulabschluss. Wie werden Sie das organisieren?

Dazu möchte ich erstmal was Grundsätzliches sagen. Hier zeigt sich, dass durch bildungspolitische Entscheidungen selbst in der Corona-Krise heilige Kühe gefüttert werden. In Berlin gibt es die heilige Kuh einer einheitlichen schriftlichen Prüfung an den Integrierten Sekundarschulen und den Gymnasien. Viele Bundesländer verzichten darauf. Und diese heilige Kuh wird jetzt erneut gefüttert. Wenn man schon von den Empfehlungen der Ministerpräsidentenrunde abweicht, hätte ich eher die Jahrgänge, die ein Jahr vor den Prüfungen stehen - in den Sekundarstufen die Jahrgangsstufe 12 und an den Gymnasien die Jahrgangsstufe 11 - früher zum Unterricht zurückgeholt. Denn ihnen fehlt für ihr Abitur schon jetzt mindestens ein Monat Unterricht. Die Lernzeit, die wir jetzt für die Zehntklässler benötigen, brauchen wir dringend, um diesen Unterricht vorzubereiten.  

Sie sind jetzt also mehr oder weniger gezwungen, am 27. April Ihre Schule auch für die 10. Klassen zu öffnen. Wie werden Sie das organisieren?

Wir werden die 10. Klassen in geteilten Gruppen unterrichten. In der Regel sind es 32 Lernende in einer Klasse am Gymnasium. Viele Schulen haben natürlich sehr kleine Klassenräume. Selbst wenn man die Klasse halbiert, wird es schwer, die Abstandsregelungen einzuhalten. Das heißt, wir müssen uns an jedem einzelnen der über 90 Gymnasien in der Stadt sehr starke Gedanken machen, wie wir entsprechend den Unterricht organisieren.

Wie sieht es denn mit den Toiletten aus?

Wenn nur eine Jahrgangsstufe im Haus ist und parallel dazu Abitur-Prüfungen laufen, werden wir das alles entsprechend berücksichtigen können. Aber wenn zwei Jahrgangsstufen in ein Gymnasium zurückkehren, bei uns etwa die Jahrgangsstufen 10 und 11, dann kommen über 300 Lernende an die Schule zurück. Mit jeder Jahrgangsstufe mehr wird es schwieriger. Ich habe genau 32 Wasserhähne auf den Schülertoiletten. Und ich habe in der Summe 1.140 Lernende und noch einmal 110 Personen im Lehrpersonal. Da kann man sich ausrechnen, wie lange die Schlangen an den Wasserhähnen sein werden. Aber das alles werden wir bewältigen. Auch wir wollen ja schrittweise zur Normalität zurückkehren.

Die Frage ist, ob jede politische Entscheidung die sinnvollste war. Leider Gottes werden die Festlegungen vorher nie mit uns richtig kommuniziert. Ich habe seit dem Beginn der Corona-Krise als Vorsitzender des Verbandes, in dem es die meisten Experten für das Berliner Gymnasium und das Abitur gibt, kein einziges Gespräch mit der Senatorin [Sandra Scheeres (SPD); Anm. d. Red.] oder Staatssekretärin [Beate Stoffers (SPD); Anm. d. Red.] gehabt. Das zeigt, wie in Berlin Konflikte bewältigt werden.

Sie sind nicht gehört worden, man ist nicht auf Sie zugegangen. Haben Sie selbst versucht, ins Gespräch zu kommen?

Ich habe der Senatorin und Staatssekretärin zahlreiche Mails und Pressemitteilungen zur Verfügung gestellt. Die einzigen Gespräche, die stattgefunden haben, waren mit den Abteilungsleitern. Einen direkten Kontakt der Schulleiterverbände zu der Senatorin und der Unterstaatssekretärin gab es in den ganzen Wochen nicht einen einzigen.

Wie erklären Sie sich das?

Das will ich nicht erklären. Das muss die Senatorin oder die Staatssekretärin erklären.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Ralf Treptow sprach Sabine Dahl, Inforadio. Der Artikel ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version des Gesprächs. Das Originalinterview können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Header des Artikels nachhören.

Was Sie jetzt wissen müssen

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren