Tierheim Berlin in Corona-Zeiten - "Unsere Gassigänger und Katzenstreichler dürfen noch kommen"

Mo 06.04.20 | 16:58 Uhr
In einem Autoverwertungsbetrieb in Tempelhof wurden drei winzige Katzenwelpen aus einem alten Auto gerettet, das gerade für die Schrottpresse vorbereitet wurde. Die Kätzchen wurden ins Tierheim Berlin gebracht. (Quelle: Tierheim Berlin)
Bild: Tierheim Berlin

Etwa 1.300 Tiere werden im Tierheim Berlin betreut - auch zu Corona-Zeiten. Wie das derzeit läuft, obwohl die Einrichtung für Besucher geschlossen ist, erklärt Annette Rost vom Tierheim. Und verrät, warum es keine flauschigen Katzenbaby-Videos auf der Homepage gibt.

Was Sie jetzt wissen müssen

rbb|24: Frau Rost, inwiefern wirkt sich die Corona-Krise auf ihre Arbeit im Berliner Tierheim aus?

Annette Rost: Wir haben maßgebliche Änderungen vorgenommen und unsere Mitarbeiter in den Bereichen Pflege, Praxis und Verwaltung ganz neu organisiert. Die Kollegen arbeiten jetzt in sehr kleinen Teams und Schichten, die sich nicht treffen. Denn wir müssen ja irgendwie sicherstellen, dass wir unsere 1.300 Tiere versorgen können. Sollte also jetzt ein Team in Quarantäne müssen, dann ist das nur dieses kleine Team – und nicht das halbe Tierheim. Alle Verwaltungsmitarbeiter, die jetzt im Homeoffice arbeiten müssen, haben übrigens Heimweh nach ihrem Arbeitsplatz im Tierheim. 

Verzeichnen Sie derzeit weniger Einnahmen und Spenden?

Es ist unsere allergrößte Befürchtung, dass es darauf hinausläuft. Wir sind natürlich dringend auf Spenden angewiesen. Das Tierheim Berlin existiert nämlich fast ausschließlich durch Spenden. Daher könnte uns die Krise massiv schaden.

Mussten Sie schon Veranstaltungen wie Feste oder Flohmärkte absagen, mit deren Hilfe Sie normalerweise Spendengelder einsammeln?

Für das erste Halbjahr haben wir alle Veranstaltungen abgesagt. Wir veranstalten normalerweise sehr viele Seminare, Schulungen und Führungen, die nun nicht stattfinden können. Ebenso entfallen auch alle Vorträge in unserer kleinen Außenstelle, unserem Tierheimtreff Südwest. Auch unseren sehr beliebten großen Trödelmarkt haben wir schweren Herzens absagen müssen, genauso wie eine große Podiumsdiskussion mit Wissenschaftlern in der Urania. Die größte Veranstaltung, von der wir uns verabschieden mussten, ist das Tierschutz-Festival, welches wir im Mai gemeinsam mit dem Tierschutzbund veranstaltet hätten. Das hätte zum ersten Mal auf dem RAW-Gelände stattgefunden.

Was kostet Sie am meisten Geld: Futter? Tierarzt?

Wir benötigen jedes Jahr die Summe von elf Millionen Euro. Wir beschäftigen 180 festangestellte Mitarbeiter, wir versorgen jeden Tag ca. 1.300 Tiere, vom Affen bis zum Zebrafinken. Wir haben eine sehr große Tierarzt-Praxis mit alleine acht Tierärzten, welche ausschließlich Tierheim-Tiere medizinisch versorgen und behandeln. In diesem Bereich entstehen uns immense Kosten. Auch weil wir Tiere, bei denen wir eine chronische Krankheit diagnostizieren, in unserer Tierarzt-Praxis ihr Leben lang kostenfrei medizinisch weiterversorgen. Das machen wir, da solche Tiere sonst überhaupt keine Vermittlungschancen hätten.

Spüren Sie Auswirkungen der Hamsterkäufe - vielleicht, was Hundefutter oder Desinfektionsmittel betrifft?

Futter ist kein Problem, das beziehen wir über einen Großhändler. Desinfektionsmittel schon eher. Wir haben sehr früh zu Beginn der Corona-Krise überall Desinfektionsstationen aufgestellt, auch für die Besucher. Da müssen wir jetzt schon immer schauen, ob wir sie überhaupt befüllen können. Weil wir natürlich einen Vorrat in der Tierarztpraxis vorhalten müssen. Das hat definitiv Vorrang. Eine Herausforderung waren auch Atemschutzmasken für die Kollegen. Da sitzen jetzt aber auch Ehrenämtler für uns an der Nähmaschine.

Das Tierheim Berlin, nach eigenen Angaben das größte Europas, beim Tag der offenen Tür am 10.06.2012. An diesem Tag wurde die tierheimeigene Solaranlage in Betrieb genommen. (Foto: dpa / Sebastian Kahnert)
| Bild: dpa

Das Tierheim ist aktuell für Besucher geschlossen. Können derzeit denn Tiere abgegeben werden?

Ja, natürlich. Vorher sollte aber angerufen werden, gerade im Hundebereich sind wir sehr stark ausgelastet. Das hat aber nichts mit dem Coronavirus zu tun, damit kämpfen wir auch in normalen Zeiten.

Werden denn, wie vor einer Weile vom Tierschutzbund befürchtet, vermehrt Tiere aus Angst vor einer gegenseitigen Ansteckung mit dem Coronavirus abgegeben?

Zum jetzigen Zeitpunkt absolut nicht. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Es werden erfreulicherweise weniger Tiere abgegeben.

Ist eine etwaige Ansteckung denn ein Thema?

Es fragen uns sehr viele Menschen danach. Wir führen sehr viele Gespräche dazu. Es gibt aber bis jetzt niemanden, der sein Tier wegen des Coronavirus abgegeben hat. Ein Herr war hier, um seinen Hund abzugeben. Wir haben ihn dann hier aufgeklärt und er hat seinen Hund sehr erleichtert wieder mitgenommen.

Wollen denn viele Menschen ein Tier aufnehmen seit der Corona-Krise?

Es wollen sehr viele temporär ein Tier haben. Viele melden sich und sagen, weil sie gerade Homeoffice machen, würden sie gerne ein Tier für einen gewissen Zeitraum aufnehmen. Weil das aber für das Tier traumatisierend wäre, in ein neues Zuhause zu ziehen und nach der Corona-Zeit wieder im Tierheim abgegeben zu werden, können wir diesen Wunsch leider nicht erfüllen. Wir vermitteln – so wie immer - nur in die sogenannten Für-Immer-Zuhause.

Wer jetzt so ein Zuhause anzubieten hat, ist ja vielleicht derzeit in der perfekten Situation, um ein Tier aufzunehmen, weil er oder sie unheimlich viel Zeit hat?

Das stimmt. Und es gibt auch Menschen, für die ein Tier in dieser Situation ein großer Trost sein kann.

Wie läuft die Vermittlung dann ab?

Wenn jemand auf unserer Internet-Seite ein Tier entdeckt, das sein Herz rührt, kann er oder sie uns anrufen und ein Gespräch mit unseren Pflegern führen. Hier versuchen die Pfleger schon zu ermitteln, welches Tier zu diesem Mensch passt und umgekehrt. Wenn man dabei feststellt, dass das von beiden Seiten gut harmonieren könnte, bekommen die Interessenten einen Termin, kommen ins Tierheim und lernen das Tier kennen. Möglicherweise stellt man dabei vielleicht fest, das ein anderes Tier besser passt. Aber es ist insgesamt eine wirklich schöne und entspannte Situation, in der eine Vermittlung stattfinden kann. Wir vermitteln zurzeit zwar nicht ganz so erfolgreich wie zu normalen Zeiten, aber es gibt durchaus viele Interessenten. 

Und was passiert, wenn der frischgebackene Hundebesitzer in Quarantäne muss? Sollte so jemand vorher klären, wer seine Neuerwerbung dann ausführt? Ist das für ein Tier dann nicht auch verstörend?

Da der Hund dann weiterhin bei seinem Besitzer lebt, weiß er ja, dass dort, bei diesem Menschen, sein Zuhause ist. Es wäre ja nur derjenige ein anderer, der Gassi geht. Das halte ich für unkritisch. Und es ist auch während einer solchen Krise schlicht nicht anders lösbar. Das hat die Stadt Berlin übrigens generell ganz gut gelöst. Wer das Problem des Gassigehens nicht über private Kontakte oder einen Dogsitter regeln kann, wird vom jeweiligen Bezirksamt unterstützt. Die Ämter vermitteln ehrenamtliche Unterstützer, die aushelfen. 

Symbolbild: Ein Mann führt seinen Hund an der Leine. (Quelle: imago/Winfried Rothermel)

Haben Sie im Tierheim auch Leute, die beispielsweise mit Hunden Gassi gehen und wenn ja: Dürfen die noch kommen?

Die haben wir, sie dürfen noch kommen und sie sind für uns auch ganz ganz wichtig. Sowohl die Gassigänger als auch die Katzenstreichler. Sie unterstützen die Kollegen in der Tierpflege maßgeblich. Schade ist nur, dass wir derzeit keine Möglichkeit haben neue Ehrenämtler aufzunehmen, weil wir momentan die dazu notwendigen Schulungen nicht durchführen können. Das ist sehr bedauerlich, weil ja jetzt so viele Menschen dafür Zeit hätten. Es haben sich viele gemeldet, die uns gerne unterstützen würden.

Katzenstreichler klingt so, als wäre es auch eine therapeutische Maßnahme, die nicht nur den Katzen zugute kommt.

Das ist auch so. Im Mutter-Kind-Katzenhaus zum Beispiel Katzenbabys zu streicheln und zu zähmen ist schon besonders. Hat man einen anstrengenden Tag hinter sich, dann ist der Cortisol-Spiegel nach einer halben Stunde in diesem Bereich wieder aufgefüllt. Die Tiere sind sehr beglückend. Übrigens werden auch immer wieder Zähmungsstellen für Katzenbabys gesucht.

Sie könnten doch Katzenbaby-Videos auf ihrer Homepage posten zum Trost für die Daheimgebliebenen, oder?

Ja. Aber das große Problem ist, sobald wir ein einziges Katzenbaby dort zeigen, laufen binnen Sekunden die Drähte heiß und alle wollen genau dieses Katzenbaby haben. Die Saison der Katzenkinder startet auch bald, und dann erhalten die Kollegen so viele Anfragen, dass sie kaum noch zum Arbeiten kommen. Wir möchten alle Interessenten gerne motivieren, sich auch mit unseren etwas älteren Tieren auseinanderzusetzen. Sie sind ebenso lieb, hübsch und dankbar. Sie haben wirklich ein schönes Zuhause verdient. 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Prieß, rbb|24.

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