Analyse von Mobilfunkdaten - Wie Corona Deutschland stilllegte

Di 07.04.20 | 07:55 Uhr | Von Haluka Maier-Borst und Götz Gringmuth-Dallmer
deutschland_ruhe
Bild: rbb|24

Seit gut drei Wochen gilt in Deutschland das Kontaktverbot. Eine Auswertung von Handydaten durch die Humboldt-Universität zeigt nun die Auswirkungen. Und dass die Menschen in Berlin und Brandenburg noch halbwegs aktiv sind. Von H. Maier-Borst und G. Gringmuth-Dallmer

Was Sie jetzt wissen müssen

Viele Grenzen sind dicht, die meisten Geschäfte ebenfalls und auch sonst soll man möglichst wenig aus dem Haus. Der Lockdown ist nun seit mehreren Wochen Realität, wenngleich es "nur" um ein Kontaktverbot geht und nicht um eine vollständige Ausgangssperre. Doch auch diese Maßnahme zeigt ganz offensichtlich Wirkung, wie Forscher der Berliner Humboldt-Universität nun zeigen können [hu-berlin.de].

Frank Schlosser und seine Kollegen haben auf Landkreisebene aggregierte und damit anonymisierte Mobilfunkdaten gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut ausgewertet. Sie können zeigen, dass der Lockdown sich ganz massiv auswirkt. Bundesweit ist die Mobilität um 38 Prozent im Vergleich zu 2019 zurückgegangen, in Berlin und Potsdam sogar um 45 Prozent. Das deckt sich zumindest in der Tendenz mit Analysen, die bereits mit anonymisierten Lokalisationsdaten von Google gemacht wurden.

Sollten die Grafiken nicht angezeigt werden, klicken Sie bitte hier.

(Die unregelmäßigen Abstände in der Legende sind gewählt, um die Unterschiede deutlicher hervorzuheben. Das statistische Verfahren dazu heißt Jenks-Natural-Breaks)

Während es in der 11. Kalenderwoche noch einen Flickenteppich an Maßnahmen gab, setzte mit dem 16. März und der 12. Kalenderwoche das bundesweite Kontaktverbot ein. Und überall ging es mit der Mobilität rapide abwärts. Trotzdem gab und gibt es immer noch Unterschiede zwischen den Bundesländern und auch den einzelnen Regionen.

Es zeigen sich drei Tendenzen:

1. In den Großstädten nimmt die Mobilität mehr ab als auf dem Land

Das könnte möglicherweise damit zusammenhängen, dass es auf dem Land schwieriger ist aufs Homeoffice umzustellen. Auch denkbar ist, dass man in ländlichen Regionen auf viele Fahrten nicht verzichten kann, etwa zum nächsten Supermarkt. In Großstädten wie Berlin hingegen müssen die Bewohner natürlich auch zum Supermarkt, können sich aber auch in ihrem Viertel versorgen, statt quer durch die Stadt zu fahren. "Der Stadt-Land-Trend ist tatsächlich der, den wir noch am schwierigsten erklären können", sagt Schlosser.

2. In den Grenzregionen nimmt die Mobilität mehr ab als im Landesinneren

Hier zeigen sich ganz massiv die Auswirkungen der Grenzschließungen, die zum Beispiel die Grenzregionen in Bayern und Sachsen aber eben auch Brandenburg betrifft. Die Ausnahme ist der Westen von Deutschland. Hier gab es zum Beispiel zu den Niederlanden und Belgien aber auch keine Grenzschließung.

3. Im Süden und Westen nimmt die Mobilität mehr ab als im Norden und Osten.

Insbesondere Bayern war früh von vielen Corona-Fällen betroffen, führte aber auch noch lange vor dem bundesweiten Kontaktverbot schon strenge Maßnahmen ein und weitete diese aus. Genau das lässt sich an der Karte ablesen. Frank Schlosser geht aber noch weiter: "Ich glaube, dass nicht nur die Maßnahmen der jeweiligen Bundesländer sich spiegeln, sondern eben auch die Aufmerksamkeit für das Thema in der Bevölkerung." Denn selbst, wenn inzwischen die Vorgaben fast identisch seien, deute sich an, dass Landkreise mit vielen Fällen einen stärkeren Rückgang der Mobilität haben. Oder kurz gesagt: Wo viele Fälle auftreten, bleiben die Menschen aus Sorge eher zu Hause. Allerdings sagt Schlosser, dass diese These noch genauer zu überprüfen sei.

Eine kleine nicht zu erklärende Kuriosität bietet dabei Brandenburg an der Havel, wo lange Zeit deutlich mehr Mobilität herrschte als im März von 2019. "Was der Grund dafür ist, kann ich nicht sagen", sagt Schlosser. Der Rückgang von nur 3,4 Prozent bei der Mobilität ist der geringste in Deutschland. Zum Vergleich: In Berlin nahm die Mobilität um 45,3 Prozent ab.

Spannend ist auch eine weiterer Aspekt der Analyse des Teams. So konnte man auch zeigen, dass die Bewegungen raus aus Landkreisen und Städten abgenommen hat. Das ist wichtig, weil es die  Nachverfolgung von Fällen zum Beispiel einfacher macht und auch bedeutet, dass weniger Fälle von außen eingeschleppt werden. Und es zeigt vielleicht auch, dass zum Beispiel Landkreise wie Ostprignitz-Ruppin auf das Verständnis der anderen setzen können und nicht aktiv Sperren gegen Einreisende erlassen müssen.

Frank Schlosser ist angesichts der aktuellen Analyse vorsichtig optimistisch. Die Daten würden zusammen mit neuesten Zahlen zur Ausbreitung von Corona nahelegen, dass die Leute ihr Verhalten geändert haben. Die bisherigen Maßnahmen könnten wohl ausreichen, um die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Das würde dann zum Beispiel auch wieder die Möglichkeit eröffnen, die Kontaktverfolgung wieder effizienter durchzuführen, sei es mithilfe klassischer Methoden oder auch der viel diskutierten Corona-App.

Schlosser will sich auch in den nächsten Wochen mit den Daten beschäftigen und schauen, wie sich das Verhalten in den nächsten Wochen verändert. Denkbar sei zum Beispiel, dass aufgrund von gutem Wetter und Gewöhnungseffekt die Mobilität wieder ansteige.

Beitrag von Haluka Maier-Borst und Götz Gringmuth-Dallmer

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um eine Antwort zu verfassen.

Antwort auf [Robert Soyka] vom 07.04.2020 um 06:51
Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren