Erzbischof Koch über Ostern ohne Messen - "Eine Gemeinschaft, getrennt an Orten und doch eng verbunden"

Do 09.04.20 | 19:44 Uhr
Außenansicht, Katholische Pfarrkirche St. Joseph in Berlin-Wedding (Quelle: imago images/Lars Reimann)
Audio: Radio 88,8 | 07.04.2020 | Alexander Schurig im Gespräch mit Erzbischof Heiner koch | Bild: imago images/Lars Reimann

Ostern ohne öffentliche Gottesdienste - das gab es noch nie in der Kirchengeschichte. Doch wegen der Corona-Pandemie wollen die katholischen Kirchen ihre Messen per Video übertragen. Auch das ist Nächstenliebe, sagt Erzbischof Heiner Koch.

Erstmals in ihrer Geschichte führt die katholische Kirche ein Osterfest ohne öffentliche Gottesdienste. Wegen der Corona-Krise sind Versammlungen verboten. Vielen Gläubigen wird die Teilnahme an der Messe fehlen. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch erklärt im Gespräch, wie die Gemeinden trotzdem teilhaben können.

Herr Koch, am Sonntagmorgen werden Sie um zehn Uhr in der Sankt Josefs Pfarrkirche in Wedding den Ostergottesdienst halten - vor einem leeren Haus. Wie wird sich das anfühlen?

Heiner Koch: Es ist ganz eigen. Gerade an Ostern sind die Kirchen ja sonst voll. Inzwischen habe ich meine ersten Erfahrungen mit solchen Gottesdiensten, die online, im Fernsehen oder Rundfunk übertragen werden. Inzwischen spüre ich, dass es kein leerer Gottesdienst ist, sondern, dass es eine tatsächliche Gemeinschaft gibt. Ich habe noch nie so viele Mails, Anrufe, SMS und Bilder nach Gottesdiensten bekommen. Da sagen Menschen, wir feiern mit, wir sind da. Und ich erlebe jetzt plötzlich so eine Gemeinschaft, getrennt an Orten und doch eng verbunden. Und das macht auch wieder ein Stückchen reich.

Wie sehr schmerzt Sie, dass die gemeinsamen Rituale fehlen?

Sehr. Wir leben von der konkret erfahrbaren Gemeinschaft. Wir leben auch von der Gemeinschaft der Menschen, die nach der Feier zusammenbleiben, wo man sich begrüßt, wo man sich "frohe Ostern" wünscht. Also es gibt konkrete Bezugspunkte, die jetzt einfach fehlen. Aber noch einmal: Wir erleben auch, dass es eine große Gemeinschaft gibt. Ich habe zu Ostern allen Katholiken einen Brief geschrieben, um diese Gemeinschaft auszudrücken. Und ich habe auch darum gebeten, dass die Kinder Bilder malen für den Gottesdienst an Ostern, die ich dann zeigen werde. Und die Erwachsenen habe ich gebeten, dass sie Fürbitten und Danksätze schreiben, die wir vorlesen wollen. Wir versuchen also schon, eine Kommunikation herzustellen, dass dies nur beschränkt möglich ist, ist klar. Und traurig. Vielleicht kommen wir letztlich aber auch enger zusammen, weil es auch die Augen öffnet für die, die in der Nachbarschaft sind.

Können Sie das konkreter machen?

Jugendliche hängen bei uns Essenspakete an die Türen von älteren Leuten, die nicht mehr rausgehen können und wollen. Das ist Solidarität. Eine andere große Aktion war zum Beispiel, einen handgeschriebenen Brief an Nachbarn zu schreiben oder an Leute, von denen wir wissen, dass sie allein sind. Aus eigener Erfahrung: Ich selbst telefoniere viel mehr als in der normalen Zeiten. Ich hab mir zum Beispiel vorgenommen, in diesen Tagen alle alten Priester im Ruhestand mal anzurufen, einfach nur um zu zeigen: Wir sind verbunden. Wie geht es Ihnen? Und ich merke, wie das die Menschen berührt.

Es gibt in Berlin Kirchen, die offen bleiben. Obwohl dort keine Gottesdienste stattfinden. Wieso?

Weil wir dem Einzelnen die Möglichkeit geben wollen, zur Stille, zum Gebet dort hinzugehen. Zweitens, weil das dann Orte sind, an denen - unter Bewachung aller Schutzmaßnahmen - Seelsorgerinnen und Seelsorger zum Gespräch da sind. Sie können in so großen Kirchen auch gut auf Distanz, aber noch mit einer gewissen Nähe miteinander sprechen. Also es sind Orte des stillen Gebets, aber auch der persönlichen Kommunikation zwischen Seelsorger, Priestern und den Betreffenden. Das wird auch sehr genutzt.

Ganz global gesprochen: Glauben Sie, dass dieser Zusammenhalt, den wir gerade erleben, über diese Corona-Krise hinaus wirkt?

Ich kann es natürlich nur hoffen, ich weiß es nicht. Das ist schon eine Krise, die mehr ist als eine medizinische Krise. Da geht es um unser Selbstverständnis. Da geht es um die Erfahrung unserer Grenzen. Ich habe so etwas Ähnliches in der Erinnerung, im Jahr 2001, als diese furchtbare Terroranschläge waren und in den USA die Wirtschaftstürme, wie man so sagt, zusammenbrachen. Da endete plötzlich die Spaßgesellschaft der Neunzigerjahre. In einem längeren Prozess wurde vieles hinterfragt, wurde vieles auch anders.

Ich hoffe sehr, dass man gerade an den positiven Punkten lernt und dass diese Lernerfahrungen uns prägen. Ich hoffe sehr, dass die Erfahrung, wie verletzlich wir sind und wie dünn das Eis ist, auf dem wir gehen, dazu führt, dass wir vielleicht auch anders miteinander umgehen. Das es dazu führt, dass wir vielleicht auch anders miteinander umgehen und uns auch ein paar Grundfragen stellen, die wir meinen, im Getöse nicht stellen zu müssen.

Wenn man jetzt ganz weit zurückguckt, als die Kirche angefangen hat vor 2000 Jahren: Da war der Mensch ja noch viel mehr Gefahren ausgesetzt.

Die Menschen wussten damals auch besser als wir, die wir glauben alles im Blick zu haben, dass nichts selbstverständlich ist, dass wir in vielen Dingen abhängig sind. Ich hatte gestern Abend ein hochinteressantes Gespräch über die sogenannten Hamsterkäufe und die Frage, ob wir in normalen Zeiten gegenüber etwa Afrika oder Lateinamerika ähnlich verfahren, und vieles festhalten, was denen zum Leben fehlt oder was denen das Leben schwer macht, weil wir es horten. Also es gibt durchaus herausfordernde Überlegungen in dieser Krise, die unser Denken und Handeln vielleicht verändern werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bei diesem Interview handelt es sich um eine redigierte Abschrift des Gesprächs zwischen Erzbischof Heiner Koch und Alexander Schurig für Radio 88,8. Sie können Das Interview auch anhören, wenn Sie im Artikelbild das Audio-Symbol anwählen.

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