Interview | Corona-Krise in der Reisebranche - "Wir haben die letzten anderhalb Jahre für nichts gearbeitet"

Mi 29.04.20 | 13:34 Uhr
Symbolbild: Bunte Sonnenschirme auf den Balkonen eines Mehrfamilienhauses (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Audio: rbb 88,8 | 28.04.2020 | Interview mit Jörg Werner | Bild: dpa/Patrick Pleul

Die Corona-Krise hat vor allem Reisebüros und -veranstalter hart getroffen: Urlaube wurden storniert und neue Buchungen bleiben aus. Eine Situation, die es so noch nicht gegeben hat, meint Reisebüroleiter Jörg Werner. Er fordert vom Staat mehr Hilfen.

rbb: Herr Werner, wie sieht die Situation in Ihrem Reisebüro aus?

Jörg Werner: Wir sind quasi allein. Die Kollegen sind alle in Kurzarbeit. Aber das können wir auch nur noch in einem begrenzten Rahmen machen. Wir sind gerade dabei, unsere Arbeit der letzten anderthalb bis zwei Jahre rückabzuwickeln. Das ist natürlich sehr zeitintensiv. Dazu brauche ich natürlich auch Mitarbeiter, die das bearbeiten.

Eigentlich wollen Sie schönen Urlaub verkaufen und Geld verdienen. Haben Sie schon einen Ausblick? Überleben Sie das oder ist es schon sehr kritisch?

Das ist für die gesamte Branche sehr kritisch. Die Corona-Krise trifft keine andere Branche so hart wie den Tourismus, die Reisebüros, die Reiseveranstalter und die Leistungsträger vor Ort. Das Reisebüro verdient erst Geld, wenn der Gast wirklich unterwegs ist. Das heißt, dass jetzt nicht nur die Neubuchungen ausbleiben, sondern dass wir wirklich anderthalb Jahre im Grunde für nichts gearbeitet haben, weil diese Buchungen jetzt allesamt storniert werden.

Hätten Sie sich das vorstellen können, dass so etwas mal passiert?

Nein. Ich glaube, so eine Situation hatte nie jemand auf dem Schirm. Das sieht man auch, wenn man in die Gesetzestexte schaut. Eine Pandemie taucht dort nur sehr selten auf, im Reiserecht gar nicht. Es eine sehr außergewöhnliche Situation, die allen viel abverlangt, sowohl unseren Gästen als auch natürlich unseren Mitarbeitern.

Muss der Staat Ihnen helfen?

Meine Position ist in diesem Punkt klar: Wenn der Staat nichts tut, haben wir in der Reisebranche keinen Mittelstand mehr. In Deutschland gibt es etwa 11.000 Reisebüros. Das dürfte sich dann sehr stark dezimieren. Außerdem gibt es über 2.000 mittelständische Reiseveranstalter, die es auch nicht überleben würden. Die großen Unternehmen bekommen jetzt großzügige Hilfen, wie beispielsweise Tui. Aber für den Mittelstand wurde bisher noch gar nichts gemacht.

Also Sie fordern, dass entweder jetzt was passieren muss - oder sie sind pleite.

Genau.

Glauben Sie noch an kleine Reisen im Sommer?

Ich halte kleine Reisen im Sommer für möglich. Das betrifft auf jeden Fall innerdeutsche Reisen. Aber es ist natürlich von den behördlichen Vorgaben abhängig. Wie kann das Ganze aussehen? Das ist alles noch sehr diffus und sehr kurzfristig gedacht.

In Österreich öffnen im Mai wieder die Hotels. Was sagen Sie dazu?

Jedes Land versucht seinen Weg zu gehen. Aber es nützt noch nichts, wenn nur die Hotels offen sind. Man muss auch hinkommen. Aktuell haben wir noch eine Reisewarnung bis zum 30. April, wo Bundesaußenminister Heiko Maas schon angekündigt hat, dass sie auf jeden Fall verlängert wird. Wie lange auch immer. [Die Reisewarnung wurde am Mittwoch bis zum 14. Juni verlängert. Anm. d. Red.]

Und solange ist es halt nicht möglich. Man kann jetzt schon mal an den Sommer denken, im Juli oder August innerhalb Deutschlands zu reisen. Für das Ausland bin ich da noch mal sehr kritisch. Das halte ich nicht für möglich. Wenn ein Gast eine Pauschalreise bucht, hat er den Vorteil, die Reise noch einmal zu verschieben. Dann hat man jetzt etwas, worauf man sich wieder freuen kann. Denn der Urlaub ist nicht etwas, was man machen muss, sondern was man machen möchte.

Es läuft also auf Nordsee, Ostsee, Mecklenburgische Seenplatte oder Bayerischer Wald hinaus?

Genau, aber wahrscheinlich mit einer sehr eingeschränkten Kapazität.

Wäre es eine Chance für Sie, wenn die Leute ihren Urlaub für das nächste Jahr jetzt schon buchen?

Viele Veranstalter haben ihre Programme für 2021 meistens noch nicht vollständig, aber doch zum großen Teil schon freigeschaltet. Wie sich die Situation entwickelt, wissen wir alle nicht. Aber man sollte den Kopf nicht allzu sehr in den Sand stecken. Die Belastung durch diese Krisensituationen ist sowieso sehr hoch. Und da sollte man sich auch mal einen kleinen Glücksmoment schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Jörg Werner führte Ingo Hoppe, rbb 88,8.

Bei dem Text handelt es sich um eine redigierte Fassung. Das Interview können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb 88,8, 28.04.2020, 18:20 Uhr

Was Sie jetzt wissen müssen

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren