Interview | Pater Kilian, Kloster Neuzelle - "Leidvolle Zeiten rufen immer zum Wachstum im Glauben auf"

So 12.04.20 | 08:31 Uhr | Von Ricco Thiede
Kloster Neuzelle in Brandenburg (Quelle: rbb/Rocco Thiede)
Bild: rbb/Rocco Thiede

Für viele Gläubige berührt die Corona-Krise auch theologische Fragen. Wie kann man in dieser Pandemie das Gute entdecken und einen Sinn erkennen? Ein Interview mit dem Zisterziensermönch Pater Kilian aus dem brandenburgischen Kloster Neuzelle.  

Was Sie jetzt wissen müssen

rbb|24: Pater Kilian, wie geht Klosterleben bei einer Pandemie?

Pater Kilian: Der große Unterschied zum Normalbetrieb liegt darin, dass wir bei unseren Gebetszeiten und Gottesdiensten nun keinerlei Teilnehmer mehr einlassen dürfen. Das ist vor allem dann traurig, wenn normalerweise die Neuzeller Kirche gut gefüllt wäre – zu den Heiligen Messen am Sonntagvormittag, oder auch unter der Woche zur Komplet, dem letzten Chorgebet des Tages. Ansonsten halten wir aber unseren klösterlichen Tagesablauf genauso ein wie vorher – das ist der Vorteil daran, dass bei uns Arbeits- und Privatleben eine Einheit bilden, wir also in einer familiären Struktur vor Ort leben, beten und arbeiten.

Wie viele Brüder leben aktuell im 2018 gegründeten Priorat Kloster Neuzelle?

Wir sind weiterhin sechs Mönche, plus Kater Heinz. Mehr Platz ist leider nicht.

Technisch haben Sie aufgerüstet?

An konkreten neuen Angeboten versuchen wir nun die Gläubigen unter anderem zu stützen durch einen täglichen livestream. Aus der Stiftskirche übertragen wir täglich um 19:15 Uhr zum Rosenkranz und anschließend (circa 19:45 Uhr) die Komplet. An Sonntagen wird um 17 Uhr eine Heilige Messe übertragen [youtube.de/ZisterzienserNeuzelle]. Auch über die sozialen Medien sind wir täglich mit vielen Menschen verbunden.

Sie haben sich für die Gläubigen etwas Besonderes einfallen lassen.

Hier in Neuzelle und Eisenhüttenstadt sind wir mit dem Allerheiligsten Sakrament in der Monstranz durch die Straßen gefahren und haben mit dem Eucharistischen Herrn auch alle Dörfer besucht, die zur Pfarrei gehören. Dort haben wir jeweils von einem Punkt aus alle Häuser, Gärten, Felder, den Wald, die Tiere und vor allem alle Menschen gesegnet, die dort leben und für sie alle um Schutz und Gesundheit gebetet.

Wie können Sie darüber hinaus anderen Menschen in dieser Ausnahmesituation helfen?

Ein wichtiger Punkt scheint mir dabei die Botschaft der "stabilitas loci", also der zuverlässigen, örtlichen Stabilität eines Klosters zu sein. Im Namen Gottes sind wir einfach da, singen im gleichen Rhythmus das Chorgebet und feiern die Eucharistie. Darauf kann man sich verlassen, auch wenn die Türen momentan verschlossen sind. So eine Krise darf abgesehen davon den Glauben an die sakramentale Gegenwart Gottes in der Welt nicht erschüttern – so schmerzlich und vielleicht in manchen Punkten auch unverhältnismäßig man diese Einschränkungen jetzt empfinden mag. Wenn nun in dieser bedrängten Situation der Glaube unmittelbar zusammenbricht, sagt uns das doch vor allem etwas über die Stärke oder Schwäche unseres eigenen Glaubens.

Kloster Neuzelle in Brandenburg (Quelle: rbb/Ricco Thiede)
Das Kloster Neuzelle - momentan noch stiller als sonst.Bild: rbb/Rocco Thiede

Viele Menschen wollen wissen: Warum?

Keiner von uns kann diese Pandemie einfach mit einem Schlag beenden. Daher ist der Weg des christlichen Glaubens der, dass wir diese Situation zunächst versuchen anzunehmen und statt "Warum?" lieber fragen "Wozu?". In welcher Weise könnte die gegebene Situation fruchtbar werden? Wo ist selbst im Schlechten, Schmerzhaften dieser Pandemie das Gute zu entdecken, das mir im Lichte des Glaubens erlaubt, ihr einen Sinn zu entlocken? Dann erst kann ich Gott vertrauensvoll bitten, sich mitten in diese Situation hinein zu verherrlichen.

Welche Vorbilder können helfen?

Leidvolle Zeiten rufen also immer zum Wachstum im Glauben auf. Hilfreich können hier die Lebenszeugnisse vieler Frauen und Männer aus den letzten 2.000 Jahren sein, die auf beeindruckende Weise mitten im Leiden einen tiefen Zugang zu Gott gefunden haben. Die Apostel sind die ersten, ihnen folgen die Märtyrer der Christenverfolgungen der frühen Kirche. Aber es gibt auch in unserer Zeit so manches bewegende Zeugnis dafür, wie beispielsweise den Lebensweg des 2002 verstorbenen vietnamesischen Kardinals François Xavier Nguyên Van Thuân. All das sind konkrete Beispiele, wie Menschen mit leidvollen Situationen umgegangen und darin dem lebendigen Gott begegnet sind und ihn bezeugt haben. Und dann merkt man: Es ist schlimm, es ist Leid – aber Gott ist trotzdem da. Er hat es sich nicht anders überlegt mit mir und seiner Schöpfung.

Gibt es für Ordensleute spezielle Anweisungen oder Ausnahmereglungen?

Grundsätzlich sind wir weiterhin dem Abt von Heiligenkreuz unterstellt. Durch unsere pastorale Arbeit in der Pfarrseelsorge sind wir aber diesbezüglich dem Bischof von Görlitz und seiner Weisung zugeordnet. Mit beiden sind wir im guten Austausch. Was wir im Auftrag des Herrn zu bringen haben, übersteigt aber die Grenzen des irdischen Lebens. Ich hoffe, dass jeder von uns Mönchen und Priestern im Ernstfall mit Glauben und Klugheit dazu imstande ist, dem Gebot Gottes mehr zu gehorchen als den Geboten von Menschen - auch wenn das für einen selbst ein Risiko darstellt.

Welche Empfehlungen gibt Ihr Abt Maximilian aus dem österreichischen Mutterkloster Heiligenkreuz?

In Österreich waren die Bestimmungen und Restriktionen des öffentlichen Lebens von Anfang an deutlich schärfer als in Deutschland. Wir sind mit Abt Maximilian und den Mitbrüdern regelmäßig in Kontakt. Aber es ist schon sehr ungewohnt und ein seltsames Gefühl, dass wir derzeit gar nicht ohne weiteres "heim" in unser Mutterkloster reisen könnten. Der Abt hat dringend appelliert, dass wir die Vorsorgemaßnahmen, aber auch unseren geistlichen Auftrag zum Gebet für die gesamte Menschheit, die Leidenden und diejenigen, die in der medizinischen Versorgung und der Verwaltung gefordert sind, in dieser schweren Zeit ernst nehmen.

Stichwort: Ökumene. Wie reagieren Ihre evangelischen Nachbarn?

Wir haben weiterhin ein sehr gutes und wechselseitig hilfsbereites Miteinander. Der evangelische Pfarrer wohnt direkt gegenüber vom katholischen Pfarrhaus. Also gibt es immer wieder Gelegenheit zum Gespräch und auch zu struktureller Nachbarschaftshilfe, zum Beispiel bei der Nutzung von Räumlichkeiten. In den kommenden Wochen wollen wir auch die ein oder andere ökumenische Andacht per Livestream ins Internet übertragen.

Haben Sie besondere Gebetsempfehlungen?

Das kommt ganz auf die persönlichen Vorlieben an. Für die einen ist es eine Chance, die vertrauten Gebete wie das Vaterunser oder den Rosenkranz neu zu entdecken, um im Vertrauen zu wachsen oder auch gemeinsam mit der Familie zu beten. Als Mönche sind wir natürlich "Fans" der Psalmen. Als "Spiegel der Seele" greifen sie Situationen tiefer Verlassenheit auf, drücken aber genauso Jubel oder Vertrauen aus, wie der bekannte Psalm 23 vom guten Hirten. Ebenso gut ist das Singen, gerade dann, wenn die Sorge oder Angst einen zu überrollen scheint. "Wer (gut) singt, betet doppelt", schreibt der heilige Augustinus. Und wer vielleicht nicht so gut singt, betet immer noch mindestens 1,5-fach.

Abschließend gefragt: Wie ist der Stand zum geplanten Klosterneubau?

Leider sind bisher noch keine Verträge geschlossen, wir ringen noch um Regelungen über das Grundstück. Da ist es für die Landesstiftung Stift Neuzelle einerseits wichtig, dass das Gelände nur dann veräußert wird, wenn das Klosterprojekt auch realisiert wird. Für uns ist das Grundstück andererseits wertlos, wenn wir dort nicht bauen können. Also braucht es eine saubere juristische Regelung, die die beiderseitigen Interessen berücksichtigt. Auch hier ist durch das Corona-Virus manches etwas verlangsamt worden. Die neue Landesregierung hat sich bisher aber positiv und engagiert gezeigt. Wir Neuzeller Mönche, aber auch der Abt und das Kapitel in Heiligenkreuz, sind noch immer hoffnungsvoll, dass es gelingt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Pater Kilian sprach Rocco Thiede. Von ihm erschien 2018 das Buch: "Die Mönche kommen ….Neuzelle - Wiederbesiedlung eines Klosters".

Sendung: rbb Inforadio, 11.04.2020, 7 Uhr

Beitrag von Ricco Thiede

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