Kriminalgericht Moabit - Notbetrieb stellt Berliner Strafjustiz vor schwere Probleme

Mi 08.04.20 | 14:06 Uhr | Von Ulf Morling
Eine Reinigungskraft schiebt ihren Wagen durch die nahezu menschenleeren Gänge des Kriminalgerichts Moabit (Bild: dpa/Jörg Carstensen)
Video: Abendschau | 09.04.2020 | Norbert Siegmund | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Im Kriminalgericht Moabit werden derzeit nur die notwendigsten Verfahren verhandelt. Das bringt die Strafjustiz in eine schwierige Situation, die auch nach der Corona-Krise noch andauern kann. Eine Bestandsaufnahme. Von Ulf Morling

Was Sie jetzt wissen müssen

Ein Schild am Sitzungssaal weißt darauf hin, Abstand einzuhalten (Bild: rbb/Ulf Morling)Auch im Moabiter Kriminalgericht gelten die Abstandsregeln.

"Es ist nicht dieselbe Strafverfolgung wie vor der Pandemie", sagt Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, einer der ranghöchsten Strafverfolger Berlins und Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte. 

Normalerweise finden bis zu 300 Hauptverhandlungen täglich im Amtsgericht Tiergarten und Landgericht Berlin unter dem Dach des Kriminalgerichts in der Turmstraße statt. Im Notbetrieb seit mehr als zwei Wochen sind es nur noch zehn bis 25 Verfahren an einem Tag, wie Gerichtssprecherin Lisa Jani berichtet.

Immer gehe es um Angeklagte, die in Haft säßen, oder Beschuldigte, die zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht seien, weil sie als gefährlich gälten. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden sollten Haftbefehle, die zwei Jahre nicht überschreiten, nicht vollstreckt werden. Bei Erwachsenen sei die Grenze bei höchstens drei Jahren. Das sei eine Folge der Corona-Pandemie, damit das Ansteckungsrisiko in den Haftanstalten nicht steige, so Oberstaatsanwalt Knispel.

Kriminalgericht (fast) ohne Menschen

80 Prozent des Personals der Staatsanwaltschaft arbeitet im Home-Office: neben den Anklägern auch Wachtmeister und die Mitarbeiter von Geschäftsstellen, die sich in "häuslicher Rufbereitschaft" befinden. Bei den Verhandlungen seien selbstverständlich die Kollegen im Gerichtssaal. "Ansonsten sind die früher bevölkerten Flure im Kriminalgericht verwaist, nur ganz wenige Menschen sind unterwegs", sagt Oberstaatsanwalt Knispel.

Ein leerer Wartebereich vor einem Sitzungssaal im Moabiter Kriminalgericht (Bild: rbb/Ulf Morling)Der leere Wartebereich im Kriminalgericht Moabit.

30 Laptops, die seit Jahren bestellt waren, konnten von den Strafverfolgern im Zuge der Corona-Pandemie mit nach Hause genommen werden. Mittels einer besonders geschützten digitalen Verbindung sind sie wenigstens von den Datenbanken der Staatsanwaltschaft nicht vollkommen abgeschnitten. "Wenn man Akten braucht, muss man die trotzdem mit nach Hause nehmen", sagt Knispel. Zwar sei der elektronische Fortschritt teilweise bei der Staatsanwaltschaft in Moabit angekommen. Videobesprechungen fänden jedoch nicht statt. Der Chef treffe sich mit seinen Staatsanwälten persönlich und tausche sich in gebührendem Abstand über die anstehenden Probleme und Fälle aus.

Abgesagte Prozesse, Richter machen "Heimarbeit"

Selbst von dieser sparsamen Ausstattung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin können die Richter im Kriminalgericht nur träumen. Zwar erhalten die Richter des Kammergerichts (Oberlandesgerichts) Laptops, mit denen sie auch von zu Hause aus Zugriff auf die Datenbanken der Justiz haben. Doch die Richter der untergeordneten Instanzen im Kriminalgericht Moabit, die ungleich mehr Fälle zu bewältigen haben als die Kollegen im Kammergericht, blieben bisher weitgehend außen vor, heißt es von Betroffenen.

Das mache ihnen in Corona-Zeiten die Arbeit besonders schwer, klagen Richter. Denn um effektiv arbeiten zu können, müsse man auch jetzt noch ins Gericht kommen, um Zugang zu den Datenbänken zu haben. Damit bringe man vor allem andere in Gefahr, aber gefährde auch sich - und bei einer möglichen Erkrankung den Fortgang von Verfahren, die für den Strafprozess gerade vorbereitet würden.   

Nur noch knapp sechs Prozent der Prozesse

Im Notbetrieb des Kriminalgerichts wurden am Dienstag, dem 7. April, am Landgericht nur zwei Prozesse fortgesetzt: Drei junge Männer sollen eine Frau besonders brutal vergewaltigt haben. In dem zweiten Verfahren geht es um einen mutmaßlich psychisch Kranken, der ebenfalls schwer gewalttätig geworden sein soll. Allesamt sind sie entweder in Untersuchungshaft oder Psychiatrie untergebracht.

Vor dem Amtsgericht Tiergarten fanden im selben Gerichtsgebäude am Dienstag sieben Prozesse statt, deren Angeklagte ebenfalls einsitzen. Ein weiterer Prozess konnte nicht stattfinden, weil der Angeklagte (der einzige an diesem Tag, der aus der Freiheit zu seinem Prozess gekommen wäre) nicht erschien. In fünf weiteren Terminen überprüften Richter, ob es rechtens ist, wenn die Beschuldigten weiter in Untersuchungshaft bleiben. Zusätzlich gab es zwei Anhörungen in Haftsachen. 17 Termine waren es insgesamt im Kriminalgericht, wo vor der Corona-Pandemie täglich bis zu 300 Prozessen stattfanden. Das sind im Notbetrieb also nicht einmal sechs Prozent der sonst verhandelten Fälle.  

Oberstaatsanwalt Ralph Knispel im Gespräch mit dem rbb (Bild: rbb/Ulf Morling)Oberstaatsanwalt Ralph Knispel im Gespräch mit dem rbb.

"Schwer zu überwindende Probleme und Hürden"

Tatsächlich werde derzeit am Kriminalgericht wegen des nur sehr eingeschränkt möglichen Betriebs nach "der Gewichtung der Verfahren vorgegangen", sagt Oberstaatsanwalt Ralph Knispel. Bei schwersten Gewaltstraftaten, wie der Verfolgung der Organisierten Kriminalität, Vergewaltigungen und Tötungsdelikten würde strafprozessual ähnlich reagiert wie vor der Pandemie. Straftaten wie Ladendiebstähle, Hausfriedensbrüche oder Beleidigungen könnten als Folge des Notbetriebs im Gericht unter Umständen nach der Krise nicht vollständig abzuarbeiten sein. Der Notbetrieb in Moabit stelle die Strafjustiz in weiten Teilen vor "schwer zu überwindende Probleme und Hürden", sagt Knispel. "Es wird Verfahren geben, die gegen die Wand fahren."

Beitrag von Ulf Morling

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