Maßnahmen gegen Corona - Wieso es am 19. April nicht vorbei sein wird

Fr 03.04.20 | 17:45 Uhr
28.03.2020, Berlin - Deutschland: Corona-Krise, die Einkaufswilligen warten in einer Schlange vor dem Supermarkt, es wird nur eine limitierte Anzahl an Kunden hereingelassen. (Quelle: imago images/Sabine Gudath)
Bild: www.imago-images.de

Nach Ostern wollen das Robert-Koch-Institut und die Regierenden von Bund und Ländern die Lage neu evaluieren. Doch was könnte nach dem 19. April kommen? Ein vorsichtiger Blick auf mögliche Szenarien. Von Haluka Maier-Borst

Ein paar Wochen und dann ist Corona vorbei. Darauf hoffen alle inständig und ja, das wäre tatsächlich möglich. Indem man nämlich alle Anstrengungen von heute auf morgen fallen lassen würde. Und doch sollte genau das niemand wollen. Die Folgen wären katastrophal: ein Ausnahmezustand im Land, vollkommen überforderte Kliniken und wohl weit über 300.000 Tote, orientiert man sich an Modellierungen des Robert-Koch-Instituts [rki.de]. Das ist auch wohl der Grund, wieso sowohl Großbritannien als auch Schweden[zeit.de] Abstand von der Idee genommen haben, die Krise einfach ohne Einschränkungen zu durchleben.

Entsprechend werden in der Wissenschaft mehrere Strategien diskutiert, um diese Katastophe zu verhindern. rbb|24 versucht diese Strategien zu skizzieren, mit ihren Vor- und Nachteilen – kann das aber natürlich hier nur in Grundzügen tun, da viele Unsicherheiten vorhanden sind. Darum verzichten wir an dieser Stelle auch weitestgehend auf Zahlen, da sie eine falsche Genauigkeit vermitteln würden.

1. Szenario: Flatten the curve / Abflachen der Kurve

Selten ist ein wissenschaftlicher Begriff so schnell in den allgemeinen Sprachgebrauch eingezogen. Die Idee dahinter: die Zahl der wöchentlichen Neuinfektionen möglichst konstant halten oder nur langsam wachsen lassen. So soll gewährleistet sein, dass jeder Erkrankte die maximal beste medizinische Versorgung bekommt, weil Betten und Beatmungsgeräte ausreichen.

Derzeit geht man davon aus, dass normalerweise jeder Infizierte im Schnitt zwei bis drei Menschen neu ansteckt. Idealerweise sollte jeder Neuinfizierte im Schnitt nur eine Person anstecken. Wie streng die Maßnahmen dafür sein müssen, wird sich nun mit den Daten vielleicht an Ostern zeigen.

Vorteile: Die Maßnahmen werden zwar drastisch sein, aber nicht so drastisch wie in Szenario 2. Und dadurch dass nach und nach sich Leute anstecken und anschließend gesunden, wird ganz langsam die Zahl der Immunisierten größer. Sprich: je länger die Kriser dauert, desto schwieriger ist es für das Virus, neue Menschen anzustecken, weil mehr Leute schon immun sind. Wenn also zu einem späteren Zeitpunkt zum Beispiel von Reisenden unbeobachtet das Virus eingeschleppt wird, kann es weniger Schaden anrichten.

Nachteile: Trotz der guten Versorgung könnten rund die Hälfte aller Patienten, die auf eine Intensivstation kommen sterben [NEJM.org]. Weiterhin wird der Prozess dieser konstanten Immunisierung Monate, ja vielleicht ein bis zwei Jahre dauern. Denn bis die Epidemie vorbei ist, müssen mindestens 60 Prozent von allen bereits immun sein. Nur eine Impfung könnte dieses Zeitfenster verkürzen und auf einen Schlag die Zahl der Immunen erhöhen. Entsprechend ist die Kommunikation dieser Strategie eine Herausforderung, wie das RKI schreibt [rki.de]:  "Je 'erfolgreicher' wir sind (= je flacher die Kurve wird), umso länger müssen wir durchhalten, bevor ein substanzieller Teil der Bevölkerung aufgrund einer durchgemachten Infektion einen Immunschutz gegen SARS-CoV-2 erworben hat."

2. Szenario: Stop the Curve / Die Ausbreitung komplett stoppen

Das Ziel in diesem Szenario ist es, die Zahl der Neuinfektionen ganz auf null zu drücken. Dafür müssten aber noch rigidere Maßnahmen als in Szenario 1 und das für mehrere Wochen oder gar Monate greifen. Viele der Infizierten dürften gar niemand Neues mehr anstecken und das geht nur mit einem de facto Kontaktverbot in jeglicher Hinsicht.

Erst dann, nachdem alle Infizierten ausgeheilt sind, könnte zumindest in Teilen normales Leben wieder stattfinden. Nur müssten es die Gesundheitsbehörden hinkriegen, jeden neuen Fall zu identifizieren und sofort alle seine Kontaktpersonen identifizieren und isolieren.

Vorteile: Nach der besonders rigiden Phase könnte wieder ein bisschen normales Leben stattfinden. Zudem wären die Kliniken nicht permanent an der Kapazitätsgrenze. Befürworter argumentieren zudem, dass man dann bereits aus der vorherigen Situation gelernt hätte und wohl schneller Fälle isolieren könne.

Nachteile: Da die Bevölkerung nicht nach und nach immun wird, sondern mehr oder weniger gleich ungeschützt bleibt (bis es einen Impfstoff gibt), kann jeder unentdeckte Fall später genauso problematisch sein wie jetzt. Bedenkt man noch dazu, dass jeder Infizierte im Schnitt 36 Kontaktpersonen hat [medrxiv.org], die man gegenchecken muss, so zeigt sich, wie risikoreich diese Strategie ist. Und wie fatal es sein kann, wenn nur ein Fall durch das Kontrollnetz geht. Hinzukommt, dass sich mit der Zeit vielleicht ein falsches Gefühl von Sicherheit einstellt. So haben mehrere asiatische Länder nach Tagen ohne Neuinfektionen nun zweite Ausbrüche verzeichnet, die wohl scheinbar auch daher rühren, dass man glaubte, man habe die Krise bereits bewältigt [guardian.co.uk].

3. Szenario: "Zick-Zack"

Diese Idee wurde von Forschern des Imperial College [kjzz.org] in die Diskussion gebracht. Demnach würde man zwischen den beiden Szenarien stetig hin und her wechseln. Sprich: In gewissen Phasen würde man die Maßnahmen lockern und mehr oder ein Alltagsleben mit Einschränkungen erlauben. Sobald die Auslastung der Intensivbetten aber einen kritischen Schwellenwert übersteigt, müsste man sofort sehr drastische Maßnahmen ergreifen, um den Zustrom an Patienten zu stoppen.

Vorteile: Zumindest phasenweise wäre ein natürlicheres Leben möglich und auch das Gesundheitssystem könnte sich immer in gewissen Pausen erholen. Außerdem würde sich zwar langsamer als in Szenario 1, aber doch schrittweise die Immunisierung erhöhen. Und nicht zuletzt hat diese Strategie bereits mit einkalkuliert, dass eben nicht immer alle neuen Fälle restlos entdeckt und isoliert werden können. 

Nachteile: Lässt sich eine Gesellschaft rauf und runterregeln? Wie gut kann man dieses Steuern übernehmen angesichts des zeitlichen Verzuges bei den Meldungen? Denn selbst im besten Fall vergehen 9 bis 10 Tage, bis jemand, der sich angesteckt hat, auf der Intensivstation landet. Sprich beim Steuern des gesellschaftlichen Lebens müsste man im Grunde zwei Wochen im Voraus planen. Und: Natürlich würde weiterhin ein großer Anteil der Menschen, die auf der Intensivstation behandelt werden, sterben - schlichtweg weil sie die Krankheit bekommen haben.

Fazit

All das sind nur wissenschaftliche Modelle. Was wie realistisch ist, kann derzeit niemand abschätzen. Aktuell versuchen Experten herauszufinden, wie wirksam die derzeitigen Kontaktsperren und anderen Maßnahmen überhaupt sind und ob und wie schnell man zum Beispiel die Zahl der Neuinfektionen auf null drücken kann. Davon wird vieles abhängen. So oder so zeichnen sich aber zwei Dinge ab:

Wenn die Kliniken nicht an ihre Belastungsgrenze kommen, könnte es den Ärzten gelingen, den Patienten bestmöglich zu helfen und vielleicht auch mit der Zeit ein wenig bessere Behandlungsmethoden zu entwickeln.

Solange es aber keinen Impfstoff gibt, wird die eine oder andere Form des Ausnahmezustands anhalten. Und das noch weit über den 19. April hinaus.

Was Sie jetzt wissen müssen

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um eine Antwort zu verfassen.

Antwort auf [Jo1968] vom 04.04.2020 um 17:19
Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren

Video | Berlin - Mehr Gewalttaten durch Jugendliche

In Berlin sind 2023 mehr Straftaten erfasst worden als im Jahr davor. Das geht aus der neuen Kriminalstatistik hervor. Deutlich angestiegen sind die erfassten Rohheitsdelikte, etwa Raub und Körperverletzung. Was denkt die Jugend selbst darüber?