Zurückkehren oder bleiben? - Ausnahmezustand für polnische Pflegekräfte in Deutschland

Mo 06.04.20 | 12:15 Uhr | Von Jan Pallokat
Eine Pflegerin hilft einer älteren Frau (Quelle: dpa/Robert Kneschke)
Audio: Inforadio | 27.03.2020 | Jan Pallokat | Bild: dpa/Robert Kneschke

Viele Pflegekräfte aus Polen haben wegen der Corona-Krise Deutschland verlassen. Sozialverbände schlagen deswegen Alarm. Einige Pflegerinnen aber gehen genau den umgekehrten Weg. Von Jan Pallokat

Was Sie jetzt wissen müssen

Pflegekräfte aus Polen und anderen mittel- und südosteuropäischen Staaten sind aus der Altenpflege in Deutschland nicht wegzudenken, vor allem im häuslichen Bereich. Hunderttausende von ihnen hätten dem Gastland aber wegen der Corona-Krise den Rücken gekehrt, schlagen Sozialverbände Alarm.

Solche Fälle hat es gegeben, erfährt, wer sich in der Vermittler-Szene umhört. Ein echter Überblick aber ist nicht möglich, zumal vieles ähnlich wie bei Haushaltshilfen im grauen oder gar schwarzen Bereich stattfindet. "Die Mehrheit unserer Pfleger hat sich entschlossen, in Deutschland zu bleiben", beteuert Aleksandra Ciesielska von der polnischen Personalvermittlung AJ Partner. "In unserer Branche gibt es, wie in vielen medizinischen Berufen, sehr viele Menschen mit einer Berufung. Also bleiben sie bei ihren Betreuten."

Nach der Kündigung zwei Wochen Warten auf den Ersatz

Letztlich ist es eine höchst individuelle Entscheidung: Wie fest sind die Bande in die Heimat, gibt es dort eigene Angehörige, die jetzt Hilfe brauchen? Auch die Angst vor dem Virus selbst spielt natürlich eine Rolle. Nicht selten sind die Pflegerinnen – überwiegend sind es Frauen - selbst nicht mehr die Jüngsten und gegenüber dem Virus besonders exponiert.

Magdalena Kossakowska, die für den polnischen Gewerkschaftsbund OPZZ Pflegekräfte berät, berichtet von einem Fall einer Kündigung, weil sich die Pflegerin bei ihrer Gastfamilie in Deutschland nicht sicher fühlte. "Die Personen, die sie pflegte, haben die Schutzregeln nicht beachtet. Sie luden Bekannte ein, es kamen immer wieder neue Leute." Trotz bei vorzeitiger Kündigung vorgesehener hoher Vertragsstrafen beendete die Pflegerin ihr Arbeitsverhältnis - am Ende in gegenseitigem Einvernehmen. "Allerdings musste sie noch zwei Wochen auf eine Ersatzkraft warten", berichtet die Gewerkschafterin.

Können Pflegerinnen jetzt stärker selbst entscheiden?

Andere gehen einen umgekehrten Weg. Izabela Marcinek entschloss sich, die Betreuung eines Ehepaars im Schwarzwald anzunehmen, als die Corona-Pandemie bereits Europa erreicht hatte. "Ich hatte mir wegen einer Augen-OP einige Monate Auszeit genommen, aber merkte langsam, dass meine Ersparnisse zur Neige gehen", erzählt sie. Ein anderes Angebot lehnte sie ab: Ein älterer Herr, der von seiner Tochter regelmäßig besucht wurde, die wiederum zwei Enkel hat - das schien ihr zu riskant.

Es scheint, als hätten sich die Gewichte verschoben, und dass Pflegerinnen selbst stärker über ihre Arbeitsbedingungen entscheiden können. Manche in der Branche erwarten, dass der Wildwuchs prekärer und oft illegaler Beschäftigung nun zurückgeht. Andererseits könnte angesichts des sich anbahnenden jähen Endes des langjährigen polnischen Wirtschaftsbooms der Druck nun wieder steigen, sich notfalls auch im Ausland eine Arbeit zu suchen. In Warschau etwa konnten Lebensmittel-Lieferdienste den Ansturm der Nachfrage zunächst kaum bewältigen; jetzt aber melden sich massenhaft Menschen als Zusteller, die ihren Job bereits verloren haben, erzählt ein Mitarbeiter eines dieser Dienste im privaten Gespräch.

Mögliche Lücken zeigen sich erst nach und nach

Üblicherweise bleiben Polinnen in der häuslichen Pflege zwei, drei Monate am Stück bei den alten Leuten, bevor sie wieder nach Hause fahren und abgelöst werden. Einige dieser Verträge wurden nun verlängert, andere vorzeitig aufgelöst. Wie groß die Lücken in der deutschen Pflege sind, wird sich also erst nach und nach zeigen. Menschen für die Arbeit in Deutschland zu gewinnen, sei momentan schwieriger geworden, räumt Agnieszka Niedziela vom Pflegedienst Pro Medica ein. "Wir versuchen sie zu überreden, aber das Interesse ist natürlich geringer und alle sind sich der Bedrohung durch Corona bewusst."

Zugleich zeigt Corona, welche hohe Verantwortung die Arbeit mit sich bringt. "Dieses Virus drängt überall hin", sagt Izabela Marcinek, die die Pflegestelle im Schwarzwald übernahm. "Es reicht aus, einen kleinen Fehler zu machen, und es ist da. Und wenn sich herausstellt, dass der Pfleger der Überträger war, kann das erhebliche Folgen haben für Agentur und Personal."

Sie selbst fuhr mit dem eigenen Auto, denn "das ist momentan der sicherste Weg". Vermittlerfirmen bringen die Altenpflegerinnen hingegen nach wie vor meist gruppenweise mit Kleinbussen nach Deutschland, bemühen sich aber nach eigenen Angaben um Desinfektion und Gesundheitskontrollen.

Ein wichtiger Satz: "Setzen Sie mich bitte dem Coronavirus nicht aus."

Damit die deutsch-polnische Zusammenarbeit bei der Pflege erhalten bleibe, komme es jetzt auch auf Verständnis der Kunden aus Deutschland an, betont Agnieszka Niedziela vom Vermittler Pro Medica. "Wir haben in diesen schwierigen Zeiten unsere Kunden gebeten, für gute Stimmung zu sorgen, die Pflegerinnen zu unterstützen und etwa keine langen Spaziergänge zu verlangen, sondern sich eher zu isolieren", sagt sie.

Auf einer polnischen Webseite zu Pflegethemen sind dazu ein paar deutsche Beispielsätze aufgelistet, die manchmal auch kulturelle Unterschiede überbrücken helfen. Einer der Sätze des kleinen Lehrfilms, die polnischen Pflegern auf den Weg gegeben werden, lautet: "Es ist wichtig für mich, nicht mit dem Virus infiziert zu werden." Ein anderer ist geeignet, ungebetenen Besuch abzuwimmeln: "Ich kümmere mich um den Senior und schütze ihn. Setzen Sie mich bitte dem Coronavirus nicht aus."

Beitrag von Jan Pallokat

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