Corona-Krise in Berlin - Muslime bereiten sich auf Ramadan ohne Familienfeiern vor

Do 23.04.20 | 12:07 Uhr | Von Oliver Soos
Schlange vor einem Supermarkt in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln. Quelle: Oliver Soos/rbb
Audio: rbb | 23.04.2020 | Oliver Soos | Bild: Oliver Soos/rbb

Am 24. April beginnt für Muslime der Fastenmonat Ramadan. Im Islam ist das die wichtigste Zeit des Jahres, mit nächtlichen Festmahlzeiten im großen Kreis. Der Zentralrat der Muslime ruft zum Verzicht auf und spricht von einer "großen Prüfung". Von Oliver Soos

Für gläubige Muslime bedeutet der Ramadan: kein Essen und keine Flüssigkeit zu sich nehmen, von Sonnenaufgang bis Untergang. Abends wird das beim Iftar (Fastenbrechen) nachgeholt. In den Moscheegemeinden oder im großen Familienkreis wird dann reichlich aufgetischt, gegrilltes Fleisch, Gemüse, Falafel, Couscous, süßes Gebäck und ganz wichtig: Datteln. So zumindest war das vor der Corona-Pandemie.

Zum Beginn des Ramadans in Europa am 24. April stimmt der Zentralrat der Muslime in Deutschland die Gläubigen nun auf ein anderes Fest ein. Dabei sei der Kampf gegen das Coronavirus eine "religiöse und bürgerliche Pflicht", heißt es in der Ramadan-Grußbotschaft des ZMD [zentralrat.de]: "Gemeinschaftliche Iftare im großen Kreis, die Koranlesungen in der Moschee, die traditionellen Gebete in der Nacht (Tarawih) und weiterhin die Pflicht- und Freitagsgebete in der Moschee werden ausbleiben. Wir machen unsere Wohnungen zu den Orten der Begegnung mit Allah."

Getümmel auf der Sonnenallee

Mohamad Hajjaj, der Berliner ZMD-Landesvorsitzende geht davon aus, dass die meisten Muslime das gelassen ertragen werden. "Rein theologisch gesehen bräuchte man für das Erleben des Ramadans kein Gotteshaus, denn es geht um eine Verpflichtung zwischen mir und Gott, es geht um etwas spirituell Intimes. Die Moschee ist nur für das Gemeinschaftsgefühl da", sagt Hajjaj.  

Dass nun mehr zu Hause gebetet und gegessen wird, scheint für viele Familien allerdings zusätzlichen Vorbereitungsstress zu bedeuten. Die so genannte "arabische Straße", die Sonnenallee in Berlin-Neukölln, ist in diesen Tagen nichts für schwache Nerven. Auf dem gut 500 Meter langen Abschnitt zwischen Hermannplatz und Weichselstraße ist es am Mittwoch, am Tag vor dem Ramadan, ziemlich voll. Zwar gibt es vor den Cafés und Schawarmabuden kaum noch Sitzgelegenheiten, doch die Bürgersteige sind auch ohne Tische und Bänke so eng, dass die aneinander vorbeiströmenden Menschen die 1,5 Meter-Abstandsregel zigfach brechen.

Verkäuferin Howaida Kayed im Geschäft "Ed & Fred" Nussdepot. Quelle: Oliver Soos/rbb
Verkäuferin bei "Ed & Fred Nussdepot" | Bild: Oliver Soos/rbb

Mehr Umsatz während der Fastenzeit erwartet

An den Ampelkreuzungen und an den Obst- und Gemüseständen vor den Supermärkten stehen die Passanten oft dicht gedrängt im Pulk. Immer wieder sieht man Männer in Dreier- oder Vierergruppen vorbeilaufen. Die meisten scheint die Coronakrise nicht sonderlich zu beunruhigen. Ein Phänomen, dass in den letzten Tagen in ganz Berlin vermehrt zu beobachten war. Bei einigen wenigen merkt man allerdings, dass sie sich Mühe geben, andere auf Abstand zu halten. Vor allem ältere Frauen tragen Masken und laufen eher am Rand.

Ein Mitarbeiter des "Ada Supermarkts", der anonym bleiben möchte erzählt, warum so viel los ist: "Die Restaurants sind zu, deshalb kochen alle zu Hause und kaufen mehr ein." Der junge Türke sagt, dass der Umsatz zu Beginn der Corona-Pandemie um etwa 60 Prozent gestiegen ist und sich mittlerweile bei plus 30 Prozent eingependelt hat. Allerdings erwarte man während des Ramadans wieder einen deutlichen Anstieg. "Heute ist schon die Hölle los und es wird noch mehr, denn die Leute wollen sich zu Hause besondere Mahlzeiten für das Fastenbrechen zubereiten. Die großen Grillfeste und die Büfetts in den Moscheen fallen ja aus."

Kaffee wichtiger als Süßigkeiten

Das große Gedränge findet vor allem auf der Straße statt. In den Läden herrscht ein völlig anderes Bild. In viele Geschäfte dürfen die Kunden nur in kleinen Gruppen eintreten. An den Scheiben sieht man oft Zettel und Plakate mit den Abstandsregeln, in deutscher, arabischer und türkischer Sprache, so auch bei der Nuss- und Kaffeerösterei "Ed & Fred Nussdepot".

Verkäuferin Howaida Kayed lässt nur zwei Kunden in den kleinen Laden. Vier weitere warten vor der Tür. "Das hat dafür gesorgt, dass unser Umsatz um die Hälfte eingebrochen ist, weil die Leute oft keine Lust haben, sich draußen anzustellen", erzählt die 51-jährige Palästinenserin. Geröstete Nüsse würden während des Ramadans keine Rolle spielen und auch das süße Gebäck, das sie anbietet, würden viele nun selbst zu Hause backen. Viel wichtiger sei im Moment der Kaffee, so Kayed.

"Wenn die Leute den ganzen Tag nichts essen und trinken dürfen, vermissen sie am Abend natürlich auch den Kaffee", sagt Kayed. Tatsächlich lassen sich alle Kunden, die in der Schlange stehen, Kaffee mahlen und einpacken. Howaida Kayed hofft, dass das in den kommenden Tagen das Geschäft wieder ein bisschen mehr belebt.

Mit Mundschutz zu den Eltern

Die Verkäuferin erzählt, dass sie selbst nicht fastet und dennoch werde es ein ungewohnter Ramadans für sie. "Wir sind eine große Familie, ich habe sieben Geschwister hier in Berlin. Normalerweise würden wir mit unseren Kindern jeden Tag meine Eltern besuchen und mit ihnen feiern, aber das geht nicht. Meine Mutter ist 76 und mein Vater über 80. Wir haben Angst um sie und besuchen sie nur einzeln mit Mundschutz."

Basel Almousa, der vor der Rösterei vorbeiläuft erzählt, dass er auf jeden Fall fasten wird oder es zumindest versucht: "Wenn ich Corona bekomme und in Gefahr bin zu dehydrieren, dann breche ich natürlich ab", sagt der 28-jährige Syrer. Ansonsten sehe er dem Ramadan, mit Auftakt am Donnerstagabend und Ende am 23. Mai, gelassen entgegen: "Ich werde zu Hause sitzen, abends mit meiner Familie essen und mir öfter die Hände waschen als sonst. Was sollen wir machen, es passiert gerade in der ganzen Welt", sagt Basel Almousa.

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Oliver Soos

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Nächster Artikel

Das könnte Sie auch interessieren