Interview | Nina Queer - "Wir leben nicht in einer apokalyptischen Science-Fiction-Serie von Netflix"

So 17.05.20 | 12:23 Uhr
Nina Queer (Quelle: privat)
Bild: privat

Berlin und Brandenburg lockern die Corona-Auflagen. Für Clubs und Bars liegt eine Rückkehr zum Normalbetrieb jedoch in weiter Ferne. Das hat dramatische Auswirkungen für die LGBTI-Szene, wie Nina Queer im Interview erklärt.

Drag-Queen Nina Queer (nach eigenen Angaben 35) ist eine der bekanntesten Partyveranstalterinnen Berlins. Seit fast 20 Jahren feiert sie einmal im Monat die "Irrenhouse"-Party – für Männer, die Männer lieben. Queer ist eine Galionsfigur der schwulen Partyszene, der zurzeit sämtliche Bühnen fehlen.

rbb|24: Nina Queer, wie hat Sie die Corona-Krise beeinflusst?

Nina Queer: Für mich hat sich geändert, dass meine Partys und Veranstaltungen weggebrochen sind. Zu Beginn wusste ich nicht so recht, was das für mich bedeutet. Ich habe die freie Zeit erst einmal genutzt, um mich von 15 Jahren Party zu erholen. Dann erkannte ich, dass diese Veränderung eine Chance ist, um als Autorin wieder durchzustarten

Wann, glauben Sie, werden Clubs und Bars wieder öffnen?

Tatsächlich gehe ich erst einmal vom Schlimmsten aus und rechne mit den Eröffnungen der Clubs erst wieder, sobald wir alle durchgeimpft sind. Also in etwa einem Jahr. Sollte sich vorher etwas tun, zum Beispiel, dass Partys bis 500 oder 1.000 Personen wieder erlaubt werden, würde mich das natürlich unendlich freuen. Mit der Öffnung von Bars rechne ich spätestens im August. Allerdings wird es Hygiene-Konzepte geben und eine Rückkehr zu unseren normalen Gewohnheiten bei Barbesuchen wird wohl noch viel länger auf sich warten lassen.

Wie kommen Sie nun über die Runden? Haben Sie Hilfe beantragt?

Nein, ich habe keine Hilfe beantragt. Warum auch? Ich führe seit 15 Jahren ein außerordentlich erfolgreiches Unternehmen, habe gut gewirtschaftet und meinen Namen nicht nur auf Partys, sondern auch im Fernsehen und Radio zur Marke gemacht, Platten aufgenommen und einen Bestseller geschrieben. Da kann ich rein theoretisch auch mal zwei Jahre gar nicht arbeiten und mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Bevor ich jemanden um Spenden bitte, gehe ich lieber irgendwo putzen oder im Supermarkt Regale einräumen. Ich scheue ehrliche Arbeit nicht. Viele Partyveranstalter, Clubbetreiber und Drag Queens ergaunern jetzt durch Betteleien im Internet und staatliche Beihilfen mehr, als sie jemals in ihren Karrieren verdient haben.

Was raten Sie denn anderen Clubbetreibern, wie sie durch die Krise kommen?

Ein Rat? Dafür bin ich zu unqualifiziert. Ich bin breit aufgestellt und habe das Glück, über viele Talente zu verfügen und sie alle zu Geld machen zu können. Meine ganze Bewunderung gehört dieser Tage den Menschen, die sich durch dieses schreckliche Chaos kämpfen, ohne den Mut zu verlieren. Zur Unterstützung vieler Clubs gehe ich im Sommer auf große Lesereise. Ich lese für jeden Club, der es möchte, gratis und lasse die Lesung im Internet streamen. Die Spendengelder dürfen die Clubs und Bars behalten. Davon will ich keinen Cent. Das ist mein Dank für die vielen Jahre der schönen Zusammenarbeit. Mir ist natürlich bewusst, dass es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.

Nina Queer (Quelle: privat)
Bild: privat

Bald erscheint Ihr neues Buch. Worum geht’s?

Das Buch enthält, wie man es von mir gewohnt ist, verrückte Nightlife- und Sex-Geschichten. Im Gegensatz zum Vorgänger-Buch 'Dauerläufig', lasse ich diesmal aber tiefer in meine Seele blicken. Ich mache mich vor meinen Lesern nackt und berichte über meine Erfahrungen mit Drogen und der Liebe. Außerdem berichte ich über das Landleben – 2017 bis 2019 lebte ich in Brandenburg.

Was planen Sie für die Zeit nach Corona?

Sollte es irgendein Club überleben, hoffe ich mit meiner "Irrenhouse"-Party wieder an die Spitze des deutschen Nachtlebens zurück zu kehren und meinen Job als skandalumwitterte und legendäre Disco-Königin wieder aufnehmen zu können.

Welche positiven Erfahrungen nehmen Sie aus der Zeit mit?

Zurzeit bin ich einfach keine Partyveranstalterin mehr, sondern eine Schriftstellerin. Niemand auf dieser Welt schreibt einer Drag Queen literarische oder poetische Eigenschaften zu. Transen sind von unserer Gesellschaft zum ewigen Partyleben verurteilt. Dabei bin ich doch der lebende Gegenbeweis. Kurz gesagt: Ich kämpfe nach wie vor gegen Vorurteile. Corona hat diesbezüglich meine Angriffslust noch einmal verstärkt. 

Welchen Effekt hat Covid-19 auf die schwule Szene? Viele "safe spaces" mussten schließen, CSD-Veranstaltungen wurden abgesagt. Was bedeutet das für queere Menschen?

Diese Zeit bedeutet für uns alle Verzicht. Das ist kein schwules, sondern ein globales Thema. Wir werden wohl mal ein Jahr ohne CSD auskommen. Es wird niemand daran sterben, wenn er mal nicht stattfindet. Es könnten aber sehr wohl Menschen zu Schaden kommen oder sterben, wenn wir Veranstaltungen dieser Größenordnung durchziehen. Bevor wir Mega-Demos mit 500.000 Menschen und mehr auf den Weg bringen, schlage ich vor, mal klein anzufangen. Veranstaltungen bis 1.000 Menschen wären ja schon mal ein enormer Fortschritt. Lieber den Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.

Was halten Sie von einem "Online-CSD"?

Ich moderiere beim "Online-CSD" und mache Interviews. Es macht immer Sinn, für Schwulen- und Trans*rechte zu kämpfen. Gerade in Zeiten von Corona, in denen rechte und religiöse Gruppen, Homosexuelle als Schuldige für die Epidemie hinstellen wollen und furchtbare Lügen über uns verbreiten.

Wie geht man in dieser Zeit mit (Sex-)Dates um: machen oder lassen?

Von Sex-Dates mit Unbekannten kann ich nur abraten. Man weiß ja gar nicht, mit wie vielen Personen sich dieser jemand sonst noch so herumtreibt. Ich beispielsweise, treibe es momentan mit einem eingeschworenen Kreis von nur zehn Personen, die mir allesamt versprechen mussten, während der Corona-Zeit nur mit mir zu schlafen. Und schon habe ich mich öffentlich strafbar gemacht. Ups!

Werden die Berliner Gay-Partys wieder so sein wie zuvor? Oder wird es Veränderungen im Nachtleben geben?

Ich glaube schon, dass es so wird wie zuvor. Wenn wir alle geimpft und sicher sind, geht es weiter. Die Menschen hatten in den 80ern auch große Angst vor Aids. Zu Recht, denn die starben wie die Fliegen. Dank moderner Medizin, Prep und fantastischen Medikamenten sind wir diese Sorgen heute alle los.

Sehen Sie denn gesellschaftliche Parallelen zwischen der Aidskrise und der jetzigen Krise? Können wir aus der Krise in den 80ern etwas für heute lernen?

Es gibt Parallelen, ja. Diese jetzt auszuführen würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, weil ich dazu eine ganz genaue Philosophie habe. Nur so viel:  Aids und die erfolgreiche Bekämpfung dieser schrecklichen Krankheit sollte alle Impfgegner und Realitätsverweigerer, genauso wie Verschwörungstheoretiker, zum Verstummen bringen. Aus Respekt vor unseren verstorbenen Schwestern und vor den Forschern und Medizinern, die bis zum heutigen Tag Großartiges geleistet haben und immer noch leisten. Einfach mal nachdenken Leute: Wir leben nicht in einer apokalyptischen Science-Fiction-Serie von Netflix!

Das Interview mit Nina Queer führte Sebastian Goddemeier für rbb|24.

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