Schrittweise Öffnung - Berliner Krankenhäuser suchen Weg zurück zum Normalbetrieb

So 03.05.20 | 11:02 Uhr
in Zimmer auf der neu umgebauten Intensivstation der Charité Campus-Klinik für COVID-19-Patienten
Bild: Audio: Inforadio | 02.05.2020 | Vera Wolfskämpf und Justus Kliss

Für den Notfall haben Berliner Krankenhäuser hunderte Betten auf Intensivstationen freigehalten - um im Fall der Fälle möglichst viele Covid-19-Patienten behandeln zu können. Doch der Ernstfall blieb aus. Nun wollen die Kliniken zum Normalbetrieb zurückkehren.

Nach der vorsichtigen Öffnung in vielen Lebensbereichen wollen auch Berlins Kliniken in der Corona-Pandemie ein Stück zurück zur Normalität. In Abstimmung mit der Berliner Krankenhausgesellschaft sei die Gesundheitsverwaltung dabei, einen Einstieg in den "normalen" Krankenhausbetrieb vorzubereiten, sagte Sprecher Moritz Quiske. Ob das eine gute Idee ist? Die Meinungen darüber gehen auseinander.

Vernunft der Bürger entscheidend

Im Moment sind viele Betten leer, weil der befürchtete Corona-Effekt bisher ausgeblieben ist. Ob das so bleibt, lässt sich schwer kalkulieren. Es hängt von den künftigen Infektionszahlen ab - und damit von der Vernunft oder Sorglosigkeit der Berliner. Ob Krankenhäuser sichere Orte für geplante Operationen sind, die zur Zeit noch verschoben werden, ist ebenfalls eine Frage. Die Berliner Krankenhausgesellschaft ist da sicher, Amtsärzte sehen das kritischer.

Nach dem Willen von Bund und Ländern sollen die Kliniken nicht mehr so viele Intensivbetten und Kapazitäten für Corona-Patienten freihalten. Denn die Situation wirkt im Moment paradox: Sowohl auf den Normal- als auch den Intensivstationen vieler Berliner Kliniken sind manchmal mehr als die Hälfte der Betten leer. Gleichzeitig müssen die Krankenhäuser Patienten mit planbaren Operationen weiter vertrösten. Das ist nicht allein für die Patienten schmerzhaft. Einnahmerückgänge treiben vielen Klinikchefs die Schweißperlen auf die Stirn - trotz des angekündigten Rettungsschirms, der Ausgleichspauschalen verspricht.

"Wir gehen in erhebliche Vorleistungen"

"Alle Geschäftsführungen beklagen, dass sie das Freihalten von Betten in größtmögliche Schwierigkeiten stürzt", berichtet Reinickendorfs Amtsarzt Patrick Larscheid. Das trifft auch den kommunalen Klinikkonzern Vivantes mit allein neun Kliniken. "Aufgrund der Ausnahmesituation gehen wir in erhebliche Vorleistungen", sagte Sprecherin Mischa Moriceau. "Es müssen aber Wege gefunden werden, die entstandenen Kosten zu refinanzieren." Die Auslastung bei Vivantes liege derzeit zwischen 50 und 60 Prozent. Normal seien im Jahresschnitt knapp 90 Prozent.

Einen Gesamtüberblick hat die Berliner Krankenhausgesellschaft, in der sich 60 Kliniken und 46 stationäre Pflegeeinrichtungen zusammengeschlossen haben. Sie errechnet für die rund 22.000 vollstationären Betten eine momentane Auslastung von 55 Prozent. Normal seien 85 Prozent, berichtete Sprecherin Barbara Ogrinz. Es lägen noch keine Erhebungen vor, ob die Entlastungsmittel des Bundes nach der Absage planbarer Operationen ausreichten.

"Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber Patienten, deren Operationen verschoben wurden", ergänzte Ogrinz. Für sie könnten die Kliniken behutsam unter Beobachtung der Zahlen eine Regelversorgung ermöglichen. "Wichtig ist für uns auch die Botschaft, dass die Angst vor Ansteckung mit Corona in Berliner Krankenhäusern unbegründet ist. Die Bereiche für Covid-Patienten sind räumlich getrennt, inzwischen auch in den meisten Notaufnahmen."

Berliner Amtsarzt: Patienten in Krankenhäusern gefährdet

Amtsarzt Larscheid geht da nicht in allen Punkten mit. "Dass Berlins Krankenhäuser sichere Orte sind, können wir mit den Erfahrungen der vergangenen Wochen leider so nicht bestätigen", sagt er. "Im Gegenteil. Wir sehen, dass Patienten aufgrund des Mangels an Barriere-Materialien und Infektionen beim Personal durchaus gefährdeter sein können als außerhalb."

Bundesweite Befürchtungen der Kliniken, dass Patienten mit Herzinfarkt-Symptomen oder anderen akuten schweren Leiden nun aus Sorge vor einer Coronavirusinfektion zu Hause blieben, teilt Larscheid nicht. Amtsärzte erlebten, dass die wirklich Kranken auch weiter in die Kliniken strömten, berichtete er. Richtig sei aber, dass es Eingriffe gebe, die nicht unmittelbar nötig seien. "Sie sollten auch nicht unendlich verschoben werden. Da gebe ich der Krankenhausgesellschaft Recht."

Das gelte zum Beispiel bei Krebsdiagnosen. "Und irgendwann ist es auch ein Riesennachteil, wenn die Hüfte schlecht ist und ein Mensch deshalb weitere sechs Wochen nicht laufen kann." Doch nun mit einer Holzhammermethode Kliniken zu öffnen, sei der falsche Weg. Darum geht es der Krankenhausgesellschaft auch nicht.

Reproduktionsrate nur ein Schätzwert

Für Experten hat die Erfahrung der vergangen Wochen gezeigt, dass höchstens rund 20 Prozent der erkrankten Berliner Infizierten ins Krankenhaus mussten. Von ihnen brauchten weniger als 4 Prozent eine Behandlung auf einer Intensivstation. Kalkuliert wird auch mit der Reproduktionsrate, die angibt, wie viele andere Menschen ein Infizierter ansteckt. Bliebe dieser Wert unter 1,3, heißt es, wären zunächst Kapazitäten für Patienten ohne Covid-19 vorhanden. Ende April schwankten die Werte nach Angaben des RKI zwischen 0,76 und 0,9.

Allerdings ist auch die Aussagekraft dieses Werts umstritten. Denn im Moment sei oft nicht mehr klar, wo sich ein Mensch infiziert habe, sagt Amtsarzt Larscheid. Damit lasse sich auch eine Infektionskette nicht immer abbilden - und damit auch nicht exakt sagen, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt. Hochrechnungen für die gesamte Stadt stünden damit auf wackeligen Füßen. Im Blick bleiben müsse das große Ganze - und das sei die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zu den bisherigen.

Sendung: Inforadio, 02.05.2020, 19:04 Uhr

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