Mobilität in Berlin und Brandenburg - Alles wie vor Corona? Wohl zum Glück nicht

Fr 22.05.20 | 17:38 Uhr
Ein Streifenwagen der Polizei fährt durch den Volkspark Schöneberg. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Bild: dpa/Kay Nietfeld

Rumsitzen in der Gruppe. Keine Maske im Bus. Und beim Abschied für jeden ein Küsschen. Schaut man auf andere, hat man das Gefühl, niemand halte sich an die Corona-Regeln. Aber lässt sich das so sagen? Und was könnten die Auswirkungen sein? Von Haluka Maier-Borst

Eine Anekdote bleibt eine Anekdote. Und auch viele Anekdoten sind keine Daten und schon gar keine Gewissheiten. Das sind etwas neunmalkluge Sätze, die aber wichtig sind. Zum Beispiel wenn es darum geht, wie sehr sich Menschen noch an die Vorsichtsmaßnahmen rund um Corona halten.

Natürlich wundert man sich, wenn sechs Männer einen Stehtisch auf eine Verkehrsinsel am Rosenthaler Platz stellen und dort ihr Herrentagsbier trinken. Aber man käme angesichts dieser Beobachtung nicht auf die Idee, gleich zu sagen, dass alle Männer gedankenlos sind. Genauso wenig heißt es, dass die Mehrheit sich nicht an die Regeln hält. Diejenigen, die zu Hause bleiben oder eine Radtour mit der Familie machen, sieht man nicht. Und das ist das Problem.

Corona ist eine Krise, in der vieles nicht greifbar ist, allen voran das Virus selbst. Mancher zweifelt am Virus, weil er ihn nicht sehen kann. Andere zweifeln an der Vernunft der Mitmenschen, weil vor allem die zu bemerken sind, die sich nicht an die Regeln halten. Und vieles lässt sich weiterhin nur mit vorläufigen Daten und vorsichtigen Theorien beantworten. Aber es lassen sich vielleicht folgende Sachen zumindest mit Vorsicht für den Moment sagen.

Nein, Berlin tickt bei weitem nicht wie vorher, Brandenburg schon eher

Die Mobilität in Deutschland ist mehr oder weniger auf dem Niveau des Vorjahres, in Brandenburg sogar leicht darüber. Aber in Berlin ist das nicht der Fall. Zwar steigt die Mobilität, aber sie hat noch längst nicht das Niveau von 2019 erreicht, wie Mobilfunkdaten zeigen.

Einige der Gründe dafür werden wohl sein, dass nach wie vor das kulturelle Leben auf Sparflamme läuft. Womöglich vermeiden die Menschen in Berlin aber auch, quer durch die Stadt für Einkäufe zu fahren, oder arbeiten mehr von zu Hause. In Brandenburg hingegen gibt es anscheinend weniger Bewegungen, auf die man noch verzichten kann oder will.

So oder so sei aber gesagt, dass ein Anstieg an Mobilität nicht zwangsläufig auch wieder zu mehr Neuinfektionen führt. Es könnte auch bedeuten, dass sich keine Veränderungen am Infektionsgeschehen ergeben. So stieg zwar die Mobilität seit Ostern, aber bisher blieb eine zweite Welle aus. Das könnte an einem saisonalen Effekt liegen. Oder zum Beispiel daran, dass alle Abstand halten und in unvermeidbaren Situationen Maske tragen.

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Wie die Berlinerinnen und Berliner sich fortbewegen, hat sich verändert

Ob Letzteres aber noch zur Genüge geschieht, wird infrage gestellt. Die Maskenpflicht für Bus und Bahn gilt zwar nach wie vor. Trotzdem berichten Kollegen, Freundinnen und auch Leserbriefschreiber davon, dass sie Menschen ohne Maske in den öffentlichen Verkehrsmitteln antreffen würden. Nun gibt es keine Daten, die das klar widerlegen oder belegen. Doch zumindest die BVG sieht noch keine Verstöße en masse gegen die Regeln. Man habe die Lage im Blick und kommt zum Fazit, dass in "bis zu 95 Prozent" der Fälle die Hinweise zur Mund-Nase-Bedeckung beachtet würden. 

Allerdings räumt die BVG auch ein, dass besonders abends sich ein anderes Bild biete. "Wir bemerken insbesondere in den Abendstunden, dass deutlich weniger Mundschutz getragen wird. Allerdings sind in diesen Zeiten auch nur noch etwa 30 Prozent der üblichen Fahrgäste unterwegs", sagt BVG-Sprecherin Petra Nelken.

Gleichzeitig hat der Fahrradverkehr zugenommen, wobei das vor allem an den Wochenenden sichtbar wird. Sprich: Auch hier könnte es sein, dass zwar die sichtbaren Bus- und Bahnnutzer und -nutzerinnen inzwischen weniger die Regeln beachten. Viele andere aber meiden ganz den öffentlichen Nahverkehr und tragen womöglich somit dazu bei, dass das Infektionsrisiko sich verringert.

Das Infektionsgeschehen scheint sich zu verlagern, weswegen mehr Normalität erstmal folgenlos bleibt

Wie genau sich Menschen anstecken, ist derweil immer noch nicht in allen Details geklärt. Vieles spricht aber dafür, dass große Gruppen, die in Innenräumen dicht gedrängt stehen, ein sehr großes Problem sind. Das würde zum Beispiel erklären, wieso ein infizierter Clubbesucher in Südkorea mehrere Dutzend Neuinfektionen zur Folge hatte [koreanherald.com] oder auch wieso Schlachthöfe gleich mehrfach neue Hotspots von Erkrankungen waren [tagesschau.de].

Insgesamt scheint das Infektionsgeschehen sich zudem für den Moment zu verlagern. Insbesondere die durch das Infektionsschutzgesetz gesondert unter Beobachtung stehenden Bereiche wie Lebensmittelindustrie, Kliniken, Pflegeheime oder auch Kitas haben größere Zuwächse bei den Neuinfektionen. In anderen Bereichen steigen die Fallzahlen weniger stark.

Dieses Verlagern des Infektionsgeschehens in gewisse Bereiche und die Tatsache, dass wohl im Freien die Übertragung des Virus weniger wahrscheinlich ist, könnte einiges erklären. Zum Beispiel, warum das Zusammensitzen von Grüppchen im Park oder an einer Straßenkreuzung nicht notwendigerweise neue Infektionswellen auslöst – auch wenn man sich dabei näher kommt als die vorgeschriebenen anderthalb Meter. Ein Grund zur Entwarnung ist das aber nicht.

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Antwort auf [Paula W.] vom 23.05.2020 um 19:15
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