Interview | Verschwörungsmythen - Wir sind die Auserwählten, die elitäre Gruppe von Wissenden

Mi 13.05.20 | 10:55 Uhr
Auf einer Protestdemonstration hält eine Person ein Schild hoch, mit der Aufschrift "Gib Gates keine Chance" (Bild: imago-images/Sascha Steinach)
Video: rbb SPEZIAL | 08.04.2020 | Dr. Julia Fischer | Bild: imago-images/Sascha Steinach

Rund um die Corona-Pandemie kursieren reihenweise Verschwörungstheorien - von bösen Kräften, Zwangsimpfungen oder Biowaffen. Was steckt dahinter und was können wir tun? Ein Interview mit Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun.

rbb|24: Katharina Nocun, das Corona-Virus ist eine Biowaffe, Bill Gates will uns alle zwangsimpfen, die Weltordnung soll gekippt werden – warum glauben Menschen, dass hinter der Pandemie eine Verschwörung steckt?

Katharina Nocun: Wir neigen generell dazu, bei Großereignissen – Kriegen, Terroranschlägen oder eben auch einer Pandemie – davon auszugehen, dass eine große Ursache dahintersteckt. Es passt nicht in unser inneres Bild, dass gewisse Dinge durch Zufall, Inkompetenz von Politikern oder den Lauf der Natur entstehen und nicht geplant sind. Wir haben einen großen Drang, Zusammenhänge herzustellen.

Gerade Menschen, die einen Kontrollverlust erleben, sehen dann Muster, wo keine sind. Für einige ist der Glaube an Verschwörungserzählungen auch wichtig für ihr Selbstbild. Man ist Teil der Auserwählten, Teil einer kleinen, elitären Gruppe von Wissenden, die die angebliche Wahrheit kennen. Da kommen viele verschiedene Faktoren zusammen.

Warum rückt etwa Bill Gates in den Fokus, wenn es um Verschwörungen geht?

Wir wissen aus Untersuchungen, dass Menschen eher dazu neigen, Verschwörungen an Einzelpersonen oder Gruppen festzumachen, die wir für mächtig und einflussreich halten. Viele Verschwörungserzählungen konstruieren eine Schwarz-Weiß-Welt, in der diejenigen, die man als Verschwörer sieht, zusätzlich überhöht werden.

Wer sich eine globale Verschwörung herbeidenkt, muss zwangsläufig auch jemanden haben, der mächtig genug ist, um das umzusetzen. Da heißt es etwa, der jüdische Investor George Soros würde dahinterstecken, er sei Teil einer jüdischen Weltverschwörung. Bei Bill Gates wird immer sein hoher Einfluss auf diverse Organisationen zitiert. Natürlich ist die Bill & Melinda Gates Foundation die weltweit größte Stiftung im Privatsektor.

Doch das bedeutet noch lange nicht, dass Staaten tun, was der Stifter möchte. Wenn man die Gelder der Stiftung mit den Bruttoinlandsprodukten diverser Länder vergleicht, dann ist das doch ein Witz. Zu behaupten, dass die Stiftung so viel gestalten könnte, ist vollkommen überzogen.

Was kennzeichnet eigentlich Verschwörungstheorien?

Wir sprechen in unserem Buch nicht von Verschwörungstheorien, sondern von Verschwörungserzählungen, Verschwörungsmythen oder Verschwörungsideologien. Denn was da kursiert, wird nicht den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Theorie gerecht. Verschwörungsideologen halten oft an ihrem Glauben fest, selbst wenn Gegenbeweise eindeutig erbracht worden sind.

Gibt es gemeinsame Nenner bei solchen Verschwörungserzählungen?

Wir haben uns unterschiedliche Milieus angeschaut. So glauben etwa gerade in der Esoterik- und Impfgegnerszene viele Menschen an eine große Pharma- oder Wissenschaftsverschwörung: Man dürfe keiner Studie vertrauen, weil alle Wissenschaftler weltweit unter einer Decke stecken. Das ist natürlich eine immense Unterstellung.

Dann gibt es das Narrativ der globalen Medienverschwörung: Alle Medien sind gesteuert und gekauft. Das führt dazu, dass Menschen sich im eigenem Informationsökosystem abkapseln und sich auch von einem Faktencheck nicht mehr überzeugen lassen, weil sie sagen: Grundsätzlich vertraue ich keinen Journalisten mehr. Ich vertraue nur noch Leuten, die von zuhause aus ihren eigenen YouTube Channel betreiben, denn nur die reden "Klartext".

Und dann ist da natürlich die Erzählung von der großen politischen Verschwörung: Finstere Mächte im Hintergrund steuern die Welt und die Politiker. Rechtsextreme Attentäter der letzten Jahre benutzen solche Narrative, um ihre Taten zu rechtfertigen. Wenn man glaubt, dass Wahlen oder Proteste nichts bringen, dann ist Gewalt die letzte Option. In der rechtsextremen Szene sind Verschwörungsnarrative ein konstituierendes Element von Radikalisierungsstrategien.

Nun äußert die Politik zunehmend Befürchtungen, dass auch diese Pandemie von Extremisten instrumentalisiert wird, um Zustimmung zu radikalen Positionen zu erzeugen. Proteste gegen die Regierungsverordnungen scheinen sich gerade bei Demos verstärkt mit Verschwörungsideologien zu vermischen.

Die Kritik an den Maßnahmen hat überhaupt nichts mit Verschwörung zu tun, es muss sie geben. In dem Moment, wo man aufhört, darüber zu diskutieren, was in der Politik richtig und was falsch ist oder wie man es vielleicht besser machen könnte, geht ein Teil der Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie kaputt.

Ich finde es sehr ärgerlich, dass die größten Demonstrationen anscheinend von Verschwörungsideologen gekapert werden. Doch wenn sich Organisatoren von Demonstrationen nicht von diesem Milieu abgrenzen, sondern teilweise solche Redner einladen und mit ihnen für die Veranstaltungen werben, müssen sie sich natürlich die Frage gefallen lassen, inwiefern sie Behauptungen dieser Verschwörungsideologen teilen.

Wie beurteilen Sie die Hygiene-Demos in Berlin?

Bei den Hygiene-Demos wurden keine Abgrenzungen ins rechtsextreme Lager getroffen. Da waren teilweise Schilder mit einer Relativierung des Holocaust zu sehen. Das war ein Sammelbecken aus Verschwörungsideologen, rechtsextremen Influencern – und ein paar Menschen, die wahrscheinlich wegen etwas Anderem gekommen sind und sich dann gefragt haben, wo sie da gelandet sind. Wer Redebedarf hat in Bezug auf Pandemie-Maßnahmen sollte sich deswegen genau angucken: Wer veranstaltet eine Demonstration, hinter welche Forderungen stelle ich mich, wer redet dort?

Welche Bedeutung hat das Netz für die Verbreitung von Verschwörungs-Inhalten?

Natürlich ist das Netz ein wichtiger Kanal: Es gibt Influencer mit YouTube-Channels, es gibt Podcasts, Messenger-Gruppen, wo viele Inhalte geteilt werden, Instagram. Aber Verschwörungserzählungen gab es lange vor dem Internet. Man kann das Problem auch nicht beseitigen, wenn man das Internet noch stärker reguliert. Der Hang, an eine Verschwörungserzählung zu glauben, ist tief in uns verankert. Das Netz ist nur ein Medium, in dem sich das äußert.

Was kann ich tun, wenn jemand im Freundeskreis oder in der Familie an eine Verschwörung hinter der Corona-Pandemie glaubt?

Nicht erst, wenn Menschen irgendwann bei Chemtrails und Echsenmenschen angelangt sind, sollte man eingreifen. Es hilf, Fragen zu stellen: Warum glaubst du das, wer behauptet das? Dabei sollte man sich in Diskussionen nicht im Klein-Klein verlieren, denn meist geht es um das grundlegende Narrativ: dass jemand den Medien, der Politik, der Wissenschaft als Ganzes misstraut. Wenn jemand über "die Medien" redet, sollte man einhaken und nachfragen: Wer sind "die Medien"? Die Bildzeitung, die taz? Ist es sinnvoll, derart unterschiedliche Akteure in einen Topf zu werfen?

Wir können auch schauen: Hat die Person finanzielle Schwierigkeiten, kriselt es in der Beziehung, im Job? Wenn man an zugrunde liegenden Problemen etwas ändert, dann ist manchmal die Verschwörungserzählung als Fluchtpunkt nicht mehr attraktiv. Bei öffentlichen Diskussionen ist Gegenrede wichtig. Vor allem rassistische, antisemitische Verschwörungserzählungen sollte man nicht einfach so stehen lassen, schon um ein Zeichen zu setzen: Das glaubt nicht die Mehrheit.

Gibt es Beratungsstellen?

Es gibt keine spezialisierten Beratungsstellen zum Thema Verschwörungsideologien. Die meisten Hilfesuchenden gehen zu Sektenberatungsstellen oder mobilen Beratungen für Rechtsextremismus. Alle sind chronisch unterfinanziert. Der Staat könnte natürlich mehr Geld reinstecken, weil es viele Menschen gibt, die sich alleingelassen fühlen. Wichtig wäre es auch, in der Schule über Verschwörungserzählungen zu sprechen. Wenn man weiß, dass es bestimmte psychologische Mechanismen gibt, die bei allen wirken – etwa, dass ich meiner Umgebung eher misstraue, wenn ich unsicher bin –, dann können wir auch lernen, besser damit umzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte  Ula Brunner

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Antwort auf [Helmut Krüger] vom 14.05.2020 um 17:01
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