Interview | Personalratschef der Charité - "Die Pflege war sehr lange sehr stumm"

Di 12.05.20 | 19:08 Uhr
Symbolbild - Ein Graffito zeigt eine Krankenschwester als Superheldin (Bild: imago-images/Friedrich Stark)
Audio: Inforadio | 12.05.2020 | Interview mit Jörg Pawlowski | Bild: imago-images/Friedrich Stark

Pflegekräften wird in Zeiten von Corona viel Respekt entgegengebracht. Doch wie lange hält diese Stimmung an? Jörg Pawlowski, Personalratschef der Berliner Charité, will auch nach der Krise für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

rbb: Herr Pawlowski, die Menschen klatschen jetzt für die Pflegekräfte. Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie das sehen und hören?

Jörg Pawlowski: Ich bin etwas zwiegespalten. Ja, es ist schön, dass unser Berufsstand eine Anerkennung in der Gesellschaft erhält. Aber eigentlich gibt es uns schon seit vielen hundert Jahren - nur in einer anderen Gestalt. Wir wurden bisher in der Gesellschaft so nicht wahrgenommen und als selbstverständlich hingenommen. Wir haben auch alles dafür getan, dass das Gesundheitswesen so läuft, wie es gelaufen ist. Allerdings zu Lasten der eigenen Beschäftigten.

Hat die Corona-Krise dadurch vielleicht noch etwas Gutes für die Pflege gebracht?

Ja, kann man schon sagen. Jetzt besteht die Chance, außerhalb der Diskussion, die innerhalb unserer Berufsgruppe ja schon seit zehn Jahren läuft, dass auch die Gesellschaft sensibilisiert wird. Es ist wichtig, dass diese Diskussion weitergeführt wird, losgelöst von Corona und auch wie sich die Berufsgruppe der Pflegenden entwickelt. Ursprünglich entsprang unser Berufsstand aus kirchlichen, konfessionellen Einrichtungen. Das sind wir schon lange nicht mehr.

Was ist bisher falsch gelaufen, dass es eine Pandemie braucht, um die Pflege in das Bewusstsein von Menschen und Politik zu bringen?

Die Pflege war sehr lange sehr stumm. Als es 1994 darum ging, Ost- und West-Gehälter anzugleichen, war ich tatsächlich der einzige, der an einer Großdemo von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im OP der Charité teilgenommen hat. Es brauchte tatsächlich die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, bis die Pflegenden aufgestanden sind und gesagt haben, das machen wir nicht mehr mit. In den Jahren 2015/2016 ging es bei den Streikmaßnahmen an der Charité nicht nur um mehr Geld, sondern auch um bessere Arbeitsbedingungen und ein gesundes Verhältnis von anfallender Leistung und vorhandenen Personal. Das ist für mich nach wie vor noch der Schlüssel zum Ganzen. Wir können nur Leistungen erbringen, wenn das entsprechende Personal dafür auch da ist.

Müssen die Pflegekräfte nach Corona selbst aktiver werden?

Komischerweise ist der Krankenstand in der Pflege während des Shutdowns gesunken - und zwar auf ein Normalmaß, wie es in anderen Betrieben üblich ist. Das ist für mich der Beweis, dass die vorherige Arbeitsmenge die Kolleginnen und Kollegen krank gemacht hat und auch krank macht. Es darf nicht wieder dazu kommen, dass von wenigen Pflegenden so viele Patienten betreut werden, die auch einen Anspruch haben auf eine qualitativ gute, hochwertige und professionelle Pflege. Man muss nicht jeden Patienten gleich operieren, so wie wir es jetzt unter Corona-Rahmenbedingungen haben. Man muss sehr wohl abwägen, welcher Patient in welcher Dringlichkeit behandelt wird und nicht alle Betten vollstopfen auf Gedeih und Verderb.

Was können Sie in Ihrer Funktion als Klinikpersonalrat tun, um nach Corona die Situation für die Pflegekräfte zu verbessern?

Ganz konkret sehe ich für mich die Aufgabe darin, dieses Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung durch Diskussionen und Gespräche in der Politik aufrechtzuerhalten. Denn es muss politische Rahmenbedingungen geben, die dieses auch sicherstellen.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte Anfang April in einer Talkshow, dass die Pflege nach Corona besser bezahlt werde. Reicht denn Geld?

Geld ist nicht alles. Es ist ein Mittel zum Zweck. Geld motiviert, aber auch nur bedingt. Mir geht es dabei eher um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Altenpflege in den freien Trägerschaften oder den Krankenhauskonzernen, die auf Dividende ausgerichtet sind. Das sind Dinge, die ich persönlich moralisch überhaupt nicht vertreten kann. Mit Krankheit Geld zu verdienen, ist für mich ein absolutes No-Go.

Die Kolleginnen und Kollegen sind eher daran interessiert, Arbeitsbedingungen zu haben, die man auch so bezeichnen kann. Doppeldienste, permanent Überstunden, Wochenend- und Feiertagsdienste grenzen einen sozial aus.

In den letzten 20 Jahren habe ich viel mit politischen Versprechungen zu tun gehabt. Politik sagt sehr viel. Wie Karl Marx schon sagte, die Praxis ist das Kriterium der Wahrheit und daran wird man sich messen lassen müssen. Wir werden weiterhin den Finger in die Wunde legen.

Wenn wir uns in einem Jahr wieder verabreden, was hat sich dann für die Pflege verändert in Deutschland?

Pflege wird flächendeckend gut bis sehr gut bezahlt. Pflege hat einen verbindlichen Dienstplan und ist nicht mehr auf Abruf in permanenter Anspannung, zu Hause angerufen zu werden. Pflege hat ein vernünftiges Verhältnis von Pflegekraft zu betreuenden Patienten.

Und die gesetzlich festgelegten Grenzen und die da daraus resultierenden Konsequenzen, wenn das Personal schlicht und ergreifend nicht vor Ort ist, nämlich Leistungseinschränkungen. Das ist sehr viel Wunschdenken, dass diese bis dahin tatsächlich verankert festgeschrieben sind und auch Rechtskraft entfalten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Jörg Pawlowski führte Tina Friedrich für Inforadio.

Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Inforadio, 12.05.2020, 10:45 Uhr

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