Wettlauf um Wirkstoffe - Berliner Lungenmodell könnte Coronaforschung beschleunigen

Mo 04.05.20 | 06:39 Uhr
Foto eines Lungenmodells der Technischen Universität Berlin. (Quelle: rbb/LaboM)
Bild: rbb/LaboM

Der Biotechnologe Prof. Jens Kurreck hat mit seinem Forscherteam ein menschliches Lungenmodell entwickelt, das die Suche nach einem Wirkstoff gegen das Coronavirus erleichtern könnte. Im Interview spricht er über die Möglichkeiten des Organmodells.

Die Welt wartet auf einen Impfstoff oder Wirkstoff gegen das Coronavirus SARS-COV-2. Verschiedene internationale Forscherteams arbeiten mit Hochdruck daran. Auch in Berlin hat sich Anfang April ein Forschungsverbund aus den drei Berliner Universitäten und der Charité Berlin gegründet, um einen nachhaltigen Impfstoff und Therapien gegen das Coronavirus zu entwickeln. Der Biotechnologe Prof. Jens Kurreck ist für die TU Berlin mit am Start.

Er hat mit seinem Forscherteam in den vergangenen vier Jahren ein menschliches Lungenmodell entwickelt, das im 3-D-Druck entsteht. Dieses waffelförmiges Organmodell ist nur einen Quadratzentimeter groß und zwei Millimeter hoch. Es besteht aus Biotinte mit Millionen menschlicher Zellen und soll jetzt erstmals bei der Suche nach einem Wirkstoff gegen das Coronavirus eingesetzt werden.

Prof. Jens Kurreck, Sie sind seit 20 Jahren in der Infektionsforschung tätig und arbeiten seit vier Jahren Sie an diesem Organmodell aus dem 3-D-Drucker. Warum haben Sie dieses Lungenmodell entwickelt? Das neue Coronavirus SARS-COV-2 war ja vor vier Jahren noch gar kein Thema.

Jens Kurreck: Wir haben dieses Lungenmodell entwickelt, um Tierversuche in der Infektionsforschung zu ersetzen. Von den rund 2,8 Millionen Tieren, die in Deutschland jährlich für Versuchszwecke eingesetzt werden, werden rund 200.000 in der Infektionsforschung genutzt. Das sind sehr viele Tiere, die sehr viel Leid durchmachen. Das weiß man, wenn man schon mal eine schwere Infektion hatte. Gleichzeitig ist die Aussagekraft der Experimente nur bedingt, weil der Infektionsverlauf bei Tieren anders ist als beim Menschen. Daher die Idee, dass man menschliche Zellen in Organmodelle druckt und damit ein relevanteres Modell hat und Tierversuche einsparen kann.

Bisher haben Sie Wirkstoffe gegen Grippeviren an diesem Lungenmodell getestet. Nun soll dieses Organmodell bei der Coronaforschung eingesetzt werden. Wobei genau?

Wir wollen versuchen, das Lungenmodell mit den Coronaviren zu infizieren. Das Lungenmodell simuliert ja die menschliche Lunge und wir wollen daran dann neue therapeutische Strategien entwickeln, was wir wissenschaftlich als RNA-Interferenz bezeichnen. Man kann sich vorstellen, dass wir Scheren basteln, die ganz spezifisch das Genom des Coronavirus zerschneiden und damit das Coronavirus blockieren. Und das wollen wir an unserem dreidimensionalen gedruckten Modell austesten.

3-D-Drucker zur Herstellung von Organmodellen. (Quelle: Felix Noack)
3D-Drucker zur Herstellung von Organmodellen.Bild: Felix Noack

Dazu müssen Sie das Lungenmodell optimieren. Ihre Teammitarbeiter sind seit wenigen Tagen mit einer Sondergenehmigung wieder im Labor an der TU Berlin. Was geschieht da jetzt genau bei der Optimierung des Lungenmodells?

Wir verbessern das Lungenmodell kontinuierlich, so dass es der menschlichen Lunge immer besser entspricht. Über die Charité haben wir Stützzellen, sogenannte Lungenfibroblasten, direkt von einem menschlichen Spender erhalten, mit denen wir eine Basis drucken, auf der wir dann eine Schicht der eigentlich aktiven Lungenzellen kultivieren. Außerdem bauen wir Immunzellen, Makrophagen ein, da natürlich beim Studium von Infektionen die Immunreaktion sehr wichtig ist.

Momentan werden neu entwickelte Corona-Wirkstoffe, bevor sie in klinischen Studien am Menschen getestet werden, immer vorher im Tierversuch überprüft. Welchen Vorteil hat es aus Ihrer Sicht gleich am menschlichen Organmodell zu testen?

Das Coronavirus stammt ursprünglich von Tieren, infiziert aber viele der typischen Labortiere nicht, so dass die Tiermodelle erstmal angepasst werden müssen. Das hängt zusammen mit den Oberflächenstrukturen, über die das Virus in die Zellen eindringt. Mit unserem gedruckten Modell haben wir natürlich den Vorteil, dass wir menschliche Zellen haben mit dem menschlichen Oberflächenrezeptor und damit ein realistisches Abbild haben von der Situation im menschlichen Patienten. Aber man muss natürlich auch sagen, dass das gedruckte Lungenmodell die Komplexität der menschlichen Lunge noch nicht nachstellt, so dass wir das Modell noch weiter entwickeln müssen.

Was ist Ihr Ziel?

Unser Ziel ist es, das Organmodell immer besser zu machen, immer mehr verschiedene Zelltypen in das Modell einzubauen und auch räumlich immer ähnlicher wie das biologische Organ zu machen. Allerdings wird man das biologische Organ nicht ganz erreichen. Und wir arbeiten hauptsächlich mit einem Organ und haben nicht den ganzen Zusammenhang der Organe im Körper. Da gibt es dann andere Ansätze in der Forschung.

Die Entwicklung eines Coronawirkstoffs ist ein Wettlauf mit der Zeit. Je eher ein Impfstoff und auch therapeutische Wirkstoffe auf dem Markt sind, umso schneller bekommen wir die weltweite Coronakrise in den Griff mit all ihren Folgen. Kann man die Wirkstoffentwicklung mithilfe von Organmodellen beschleunigen?

Tierversuche sind sehr aufwändig. Die Tiermodelle müssen erstmal angepasst werden für die Coronaviren. Es müssen Tierversuchsanträge gestellt werden. Das dauert alles sehr lange. Mit unserem Modell können wir sehr schnell drucken und wir können es auch in sehr hoher Stückzahl reproduzierbar herstellen. Wir hoffen, hiermit auch einen erheblichen Beitrag leisten zu können, damit wir in der Coronaforschung vorankommen.

Viele Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Maren Schibilsky

Sendung: rbb, 04.05.2020, 21:00 Uhr.

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