Messengerdienst - Warum Telegram eine große Rolle bei der Verbreitung von Verschwörungsmythen spielt

Fr 15.05.20 | 14:36 Uhr
Symbolbild: Eine Person benutzt ein Smartphone (Quelle: dpa/Leung Cho Pan)
Bild: dpa/Leung Cho Pan

Momentan erreichen Fake-News und Verschwörungsmythen rund um das Corona-Virus ein Millionenpublikum. Dabei spielt der im Vergleich zu anderen Anbietern kleine Messengerdienst Telegram eine große Rolle. Warum? Von Efthymis Angeloudis

Ob in Social-Media-Kanälen und Messenger-Diensten oder auf den Straßen von Berlin: Das Coronavirus dient Verschwörungsanhängern und Rechtsextremisten weltweit als Sammelruf, um ihre kruden Theorien in die Öffentlichkeit zu tragen. In vereinfachten und deswegen verlockenden Erklärungen wird mal Christian Drosten, mal Angela Merkel vorgeworfen wegen eines "ungefährlichen Grippevirus" Panik zu schüren, um die Impfpflicht durchzusetzen. Bill Gates soll angeblich die Pandemie instrumentalisieren, um daraus Profit zu schlagen, oder sogar die Weltherrschaft an sich zu reißen [tagesschau.de].

Neben den beliebten Social-Media- und Video-Plattformen Facebook und Youtube, verbreiten die Anhänger dieser Verschwörungstheorien ihre Thesen immer häufiger über Telegram. Sie nennen sich "Corona-Rebellen", "Volksaufstand ID-2020" oder "Widerstand 2020" [ndr.de] und folgen Prominenten, wie dem Vegan-Koch Attila Hildmann oder Ken Jebsen. Warum aber nutzen sie gerade den aus Russland stammenden und in Dubai ansässigen Messenger-Dienst, um ihre Theorien zu propagieren, wenn man zum Beispiel über Youtube ein weitaus größeres Publikum erreichen könnte?

Telegram setzt seinen Nutzern keinerlei Grenzen

"Das liegt in der Funktion und in der Nutzungsweise der App", erklärt Kira Ayyadi von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Das Monitoring-Team der Stiftung beobachtet auf Telegram unter anderem klassisch rechtsextreme und rechtsterroristische Gruppen. Diese seien tatsächlich auf beinahe allen Social Media Plattformen zu finden. Telegram werde aber immer beliebter. "Hier behindert kein Algorithmus die Verbreitung von menschenfeindlicher Propaganda. Im Dark Social, also auf Telegram, greifen keine Kontrollmechanismen", sagt die Forscherin rbb|24.

Die Inhalte kommen in den unterschiedlichen Gruppen-Funktion ungefiltert und direkt auf dem Smartphone an. "Die Nutzer*innen fühlen sich hier sicherer - 'unter sich' - da es sich bei Telegram um einen halböffentlichen Raum handelt", sagt Ayyadi.

Telegram setzt der Meinungsäußerung seiner Nutzer also keinerlei Grenzen. Das betont das Unternehmen auch auf seiner Website, wie der Bayerische Rundfunk recherchierte [br.de]. Dort ist zu lesen: "Terroristische (zum Beispiel ISIS-bezogene) Bots und Kanäle werden von uns blockiert, jedoch werden wir keinesfalls Nutzer daran hindern, auf friedliche Weise alternative Meinungen zum Ausdruck zu bringen."

Auch ISIS benutzte Telegram

Das machte Telegram auch bei IS-Terroristen beliebt. Über den Messenger-Dienst warb der IS um Anhänger und teilte seine Propaganda. Hier hatte Telegram jedoch letztendlich Einsehen: Der Dienst startete, auf Druck von Europol, im Dezember 2019 eine Kampagne, um Konten der IS-Nutzerbasis zu entfernen. IS-Channels können gemeldet werden und wurden anschließend gelöscht. Die Initiative des Unternehmens war Insidern zufolge effektiv [wired.com].

Schnittmengen zwischen Rechtsextremen und Anhängern von Verschwörungstheorien

Gegen Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker ist der Anbieter der App bis jetzt allerdings nicht vorgegangen. Beide Gruppen dürfen weiterhin uneingeschränkt die Dienste des Messengers nutzen. Dabei ist dies nicht die einzige Gemeinsamkeit. "Es gibt zahlreiche Schnittmengen dieser Szenen", sagt die Forscherin der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die rechtsextreme Szene mit Neonazis, Reichsbürgern, "neuen" Rechten und völkischen Siedlern sei auch schon extrem heterogen.

Ein bindendes Element beider Szenen sei allerdings ihr Antisemitismus [tagesschau.de]. "Der mag beim klassischen Rechtsextremismus deutlicher zu Tage treten, als bei Verschwörungsideolog*innen, die ihren Antisemitismus eher verklausuliert äußern, doch beide Formen sind extrem gefährlich." Weitere Gemeinsamkeiten seien Medienfeindschaft, Elitenfeindschaft, sowie ein einfaches "Gut-gegen-Böse"-Denken.

"Menschen sind bereit, Waffengewalt einzusetzen"

Doch was schreiben Anhänger von Verschwörungstheorien auf Telegram. Kira Ayyadi und das Monitoring Team der Amadeu-Antonio-Stiftung beobachten mit Sorge, dass sich in extrem kurzer Zeit sehr viele lokale Gruppen auf Telegram gebildet haben, die Proteste gegen die Regierung organisieren. Die Sprache, die diese Gruppen benutzen, sei extrem radikal. "Wir lesen, dass Menschen bereit sind, Waffengewalt einzusetzen, vermeintlich um Freiheiten zurück zu bekommen und auch, dass sie bereit sind ihren eigenen Tod in Kauf zu nehmen", sagte Ayyadi gegenüber rbb|24. "Wir beobachten auf Telegram, dass sich hier Menschen in extrem kurzer Zeit radikalisieren - das ist sehr erschreckend."

Was ebenfalls auffalle, seien die Abonnenten-Zuwächse bei Kanälen von zentralen Aktivisten und Aktivistinnen rund um eine neue Querfront-Bewegung. "Die Inhalte sind meist problematisch, weil sie Desinformationen beinhalten, oder Antisemitismus und Rassismus verbreiten und zu Gewalt aufrufen." Diese Aufrufe gelangen direkt auf die Smartphones der Nutzer – und zwar in dem Moment, in dem sie gepostet werden. Auch deshalb ist Telegram gerade für Mobilisierungen und für das Schüren von Hass sehr beliebt. Der direkte, ungefilterte Zugang ist dafür perfekt.

Warum ist Telegram so beliebt?

Ein weiterer Grund für die Beliebtheit von Telegram sind Gruppen und Channels. Während es bei WhatsApp keine Channelfunktion gibt und der Messenger Gruppen auf 256 Mitglieder begrenzt hat [br.de], können sie bei Telegram über bis zu 200.000 Mitglieder verfügen. Channels wiederum, in denen wenige schreiben und der Rest nur mitliest, können sogar unbegrenzt viele (und anonym bleibende) Follower haben.

"Einige User haben ein geschlossenes verschwörungsideologisches Weltbild"

Natürlich seien nicht alle Nutzer dieser Plattform radikal. "Es kommt auf die Gruppen an, in denen die User*innen drin sind." Auch hier müsse man zwischen den Gruppen unterscheiden. Akteure der rechtsextremen Szene hätten bereits ein geschlossenes Weltbild. "Hier bedarf es professioneller Deradikalisierungsarbeit. Wenn wir aber von den User*innen sprechen, die besonders momentan auffallen und die die Abonnenten-Zahlen von verschwörungsideologischen Kanälen in die Höhe schnellen lassen, können wir diese nicht alle über einen Kamm scheren", erklärt Ayyadi.

"Die Menschen in diesen lokalen Anti-COVID19-Schutzmaßnahmen Gruppen sehen wir ja auch auf den zahlreichen Demonstrationen." Einige von ihnen hätten sicherlich bereits ein geschlossenes verschwörungsideologisches Weltbild. Doch bei Menschen, die diese Ideologien noch nicht so verinnerlicht haben, lohne sich der Diskurs. Das Wie und Wo sei allerdings wichtig. "Wir sollten immer beachten, dass wir menschenfeindlichen Positionen keine Plattform bieten."  

Hetze, Beleidigungen oder Verleumdungen sind nicht von Meinungsfreiheit gedeckt

Diese Plattform erhalten Menschenfeinde stattdessen auf Telegram. Während Facebook, Youtube und Twitter zumindest versuchen, Hetze, Holocaust-Leugnung und gefährliche Falschinformationen zu identifizieren und zu entfernen, können diese auf der App problemlos geteilt und veröffentlicht werden. Dabei werden Hetze, Beleidigungen oder Verleumdungen laut dem Grundgesetz, auf das sich viele der Anti-COVID19-Gruppen beziehen, nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

"Social Media-Plattformen sind mittlerweile Big-Player und haben eine gesellschaftliche Verantwortung", glaubt auch Kira Ayyadi. "Wir dürfen nicht vergessen, dass Verschwörungserzählungen tödliche Konsequenzen haben können." Aber eine Lösung, wie das Schüren von Hass oder die Verabredung von Straftaten auf Telegram verhindert werden könnte, sei bisher jedoch leider noch nicht in Sicht.

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Antwort auf [toberg] vom 15.05.2020 um 18:30
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