Berlin-Oberschöneweide - Wie sich die Werkstätten für behinderte Menschen auf die Teilöffnung vorbereiten

So 17.05.20 | 17:13 Uhr | Von Christiane Hög
Kantine der Stephanus-Werkstätten (Bild: rbb/Christiane Hög)
Audio: rbbKultur | 15.05.2020 | Christiane Hög | Bild: rbb/Christiane Hög

Am kommenden Montag kehrt auch für Menschen mit Behinderungen wieder ein Stück Normalität zurück: Ab dem 18. Mai ist eine Teilöffnung für Werkstätten erlaubt. Christiane Hög hat eine Einrichtung in Berlin-Oberschöneweide besucht.

Jetzt einen Kaffee und ein belegtes Brötchen dazu - eigentlich kein Problem für das Team der Waschbar. So heißt das kleine Café, das die Stephanus-Werkstätten im Erdgeschoss ihres Hauses in Berlin-Oberschöneweide betreiben. Zwei Gruppenleiter und zehn Beschäftigte mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen haben hier abwechslungsreiche Arbeit.

Sven Rywoldt ist seit neun Jahren dabei und leidenschaftlicher Gastgeber. Normalerweise wäre jetzt Hochbetrieb – die Studierenden der benachbarten Hochschule für Technik und Wirtschaft stünden Schlange. Doch in Corona-Zeit ist kein Student mehr auf dem Campus zu sehen. Und auch die dreistöckige Werkstatt mit ihren verschiedenen Arbeitsbereichen ist verwaist. Nichts wird mehr montiert oder verpackt, die Waschbar bleibt zu und Sven Rywoldt zuhause. So hat es der Senat festgelegt.

Betriebsstättenleiter Detlef Schönrock im leeren Produktionsraum der Stephanus-Werkstätten in der Betriebsstätte Wilhelminenhof (Bild: rbb/Christiane Hög)
Betriebsstättenleiter Detlef Schönrock | Bild: rbb/Christiane Hög

Spätes Betretungsverbot für Werkstatt-Beschäftigte

Die ersten Maßnahmen wegen der Corona-Pandemie ließen die Werkstätten im Ungewissen. Die Schulen waren schon längst geschlossen, große Wohneinrichtungen behielten ihre Bewohner zuhause in selbstauferlegter Quarantäne. Es war völlig unklar, ob und wie gearbeitet werden dürfte. Seit dem 19. März gilt für alle Werkstatt-Beschäftigten ein Betretungsverbot. Sie dürfen nicht mehr wie gewohnt zur Arbeit gehen. Wegen ihrer körperlichen oder kognitiven Einschränkungen wurden alle pauschal zur Risikogruppe gezählt.

Ab Montag, dem 18. Mai, ist eine Teilöffnung wieder erlaubt, beschränkt auf 35 Prozent der Arbeitsplätze.

Belastung für die Beschäftigten

150 Beschäftigte kommen in normalen Zeiten in die Werkstatt in Oberschöneweide. Sie arbeiten an Montage- und Verpackungsaufträgen aus der Industrie, in einer Druck-Werkstatt oder auch in der Waschbar. Die Arbeit sei ein wichtiger Halt für die Menschen, sagt Betriebsstättenleiter Detlef Schönrock. Auf dem 1. Arbeitsmarkt seien sie chancenlos. Hier könnten sie erfahren, dass das, was sie tun, "notwendig und wichtig und gut ist". Dass die Beschäftigten jetzt allein zuhause oder ausschließlich in ihren Wohngruppen bleiben müssen, belaste sie stark. Die wichtigen sozialen Kontakte fallen weg, was zu Vereinsamung und schweren Krisen führen kann. "Und es fehlt die gewohnte Wochen- und Tagesstruktur", ergänzt er.

Vielen falle es unendlich schwer, einen neuen Lebensrhythmus zu finden und einzuhalten, bestätigt auch Sven Rywoldt, der jetzt viel telefoniert. Er vertritt im Werkstattrat die Interessen seiner Kollegen. So manchen geht an den langen Tagen zuhause die Ideen aus und Langeweile mache sich breit. Einige können die drohenden Gesundheitsgefahren nicht verstehen. Andere wiederum haben riesige Angst vor einer Ansteckung. Und viele machen sich Sorgen, wie es mit der Werkstatt weitergeht.

Produktionsraum der Stephanus-Werkstätten (Bild: rbb/Christian Hög)Der verwaiste Produktionsraum der Stephanus-Werkstätten

Werkstatt-Mitarbeiter halten die Verbindung und organisieren Notbetreuung

Regelmäßig telefonieren die Gruppenleiter und Mitarbeiter der Wilhelminenhof-Werkstatt mit den Beschäftigten. Per Päckchen gibt es jede Woche Bildungsangebote. Knapp 40 Beschäftigten wird auch einfache Montage-Arbeit nach Hause gebracht. "Wir haben eine Notbetreuung für Leute, die eine psychische Einschränkung haben, das finde ich gut", sagt Rywoldt. So können immerhin zehn Menschen in Schöneweide an ihren gewohnten Plätzen arbeiten. Sie helfen auch mit, die Produktion am Laufen zu halten.

Werkstatt als Wirtschaftsunternehmen

Zuverlässige Lieferungen sollen möglichst Aufträge für die Zeit nach Corona sichern. Schon jetzt melden erste Berliner Werkstätten erhebliche Umsatzrückgänge. Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft der 17 Werkstätten fordert zielgerichtete Maßnahmen von der Politik. An über 90 Standorten arbeiten über 10.000 Beschäftigte und verdienen eigenes Geld. Sie brauchen eine sichere Perspektive. Bislang bekommen sie ihre Entgelte ohne Abstriche, doch die vorgehaltenen Rücklagen reichen maximal sechs Monate.

Arbeitsblätter aus dem Bildungsbereich zum Nachhauseschicken an Beschäftigte der Stephanus-Werkstätten, im Betriebsstätte Wihelminenhof (Bild: rbb/Christiane Hög)Arbeitsblätter für das Home-Office

Eingeschränkte Wiederaufnahme des Werkstatt-Betriebes

Wenn ab kommendem Montag jeder dritte Arbeitsplatz in den Berliner Werkstätten wieder besetzt werden darf, müssen strikte Hygienevorgaben und Abstandsvorschriften beachtet werden. Die Wilhelminenhof-Werkstatt ist vorbereitet. Im Speisesaal sind Tische entfernt und Abstandsmarkierungen am Boden angebracht. Überall erinnern Poster ans Händewaschen, selbstgenähte Stoffmasken liegen bereit. In den großzügigen Arbeitsräumen wird die Sitzordnung verändert. Einen Ansturm von Beschäftigten erwartet Detlef Schönrock noch nicht. Einige Wohngruppen haben schon angekündigt, dass sie ihre Leute weiter zuhause behalten wollen – zum Schutz von besonders gefährdeten Mitbewohnern. Dennoch bleibt es eine schwierige Frage, über einen längeren Zeitraum soziale Kontakte zu verbieten.

Sven Rywoldt ist schon ungeduldig, er freut sich auf das Wiedersehen mit seinen Kollegen und auf Kunden in der Waschbar. Zuerst aber wird er mithelfen, das kleine Café umzuräumen, um die Sicherheitsmaßnahmen zu gewährleisten: Tische und Stühle raus, Abstandsmarkierungen kleben, so wie in allen anderen gastronomischen Einrichtungen auch. Die Mitarbeiter von Gewerbebetrieben ringsum können wieder versorgt werden. Auf studentisches Publikum wird die Waschbar allerdings weiter warten müssen. Die Studenten müssen zuhause lernen und sich ihren Kaffee selbst kochen.

Sendung: rbbKultur, 15.05.2020, 19:04 Uhr

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Beitrag von Christiane Hög

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