Viele fallen durchs Raster - Warum Prostituierte trotz Sexkaufverbot auf den Strich gehen

Di 16.06.20 | 06:36 Uhr | Von Birgit Raddatz
11.05.2019, Berlin. Prostituierte stehen nachts am Erotik-Store "LSD" und auf dem Straßenstrich an der Kurfürstenstraße im Stadtteil Schöneberg. (Quelle: dpa/Steinberg)
Audio: Inforadio | 15.06.2020 | Birgit Raddatz | Bild: dpa/Steinberg

Wegen des Coronavirus' gilt das Sexkaufverbot in Berlin bis mindestens Anfang Juli. Sogar ein generelles Prostitutionsverbot wird diskutiert. Gearbeitet wird trotzdem, denn viele Frauen fallen bei den Hilfsangeboten durchs Raster. Von Birgit Raddatz

Vor der Tür des Berliner Vereins Neustart e.V. liegt eine Frau und schläft. Eine zweite steht bereits an der Straße und hält Ausschau nach Freiern. Zwar war es seit Mitte März ruhig geworden auf dem Straßenstrich zwischen Mitte und Schöneberg, seit gut zwei Wochen tauchten aber immer mehr Frauen plötzlich wieder auf, erzählt Neustart-Vorsitzender Gerhard Schönborn: "Zuerst haben die Zuhälter vorsorglich alle Frauen zurück nach Rumänien oder Bulgarien gebracht, aber jetzt dachten einige, dass es wieder in Deutschland erlaubt ist."

Das liegt wohl daran, dass Rheinland-Pfalz zunächst Bordelle vergangene Woche unter Hygieneauflagen und mit eingeschränkten Angeboten wieder öffnen wollte. Nach Protest der Ordnungsämter zog die dortige Landesregierung wieder zurück [swr.de]. Auch, um die Sexarbeit nicht in das Bundesland zu verlagern. Schönborn weiß von mindestens einer Frau, die bereit war, für die Arbeit umzuziehen.

Viele bekommen kaum staatliche Leistungen

So arbeiten die Frauen also weiter illegal in Berlin. Immer wieder findet Schönborn Kondome auf den Toiletten an der Kurfürstenstraße. "Viele stehen auf der Straße, weil sie in den Bordellen, in denen sie gearbeitet haben, auch gewohnt haben", sagt er. Nicht alle Bordellbetreibende lassen das auch weiterhin zu. Die Senatsverwaltung für Gesundheit hat deswegen die Obdachlosenunterkunft "Pumpe" mit 77.000 Euro finanziert.

Bestraft werden die Prostituierten nach der neuen Eindämmungsverordnung nicht mehr. Freier zahlen jedoch bei Verstoß gegen das Verbot zwischen 250 und 1.000 Euro, Bordellbesitzende bis zu 10.000 Euro.

Geschätzt gibt es rund 8.000 Prostituierte in Berlin, nur gut ein Fünftel davon ist offiziell angemeldet. Statista-Daten für Deutschland zeigen: 35 Prozent der Sexarbeiterinnen kommen aus Rumänien, gefolgt von Bulgarien und Ungarn. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat rund ein Fünftel. Alexa Müller vom Verein Hydra macht sich um die Frauen Sorgen. Denn auch wenn sie aus EU-Ländern kommen, Hartz IV darf nur beantragen, wer eine Steuernummer besitzt und fünf Jahre lang durchgehend in Deutschland gearbeitet hat. "Wer für ein halbes Jahr seine kranke Mutter in Bulgarien gepflegt hat, fällt schon durch’s Raster", beklagt die Sexarbeiterin.

Mit Maske, Massage und Desinfektionsmittel hin zur Öffnung

Zwar prüft die Senatsverwaltung derzeit, wie sie denjenigen helfen kann, die gar keinen Anspruch auf Leistungen haben. Alexa Müller wäre eine Öffnungsperspektive für Bordelle und ein Ende des Sexkaufverbots in Berlin aber lieber. Sie kann sich vorstellen, erst einmal nur erotische Massagen anzubieten und eine Maske zu tragen. Selbst die Dokumentationspflicht sei kein Problem. "Unsere Kunden akzeptieren das, sie wollen wissen, wenn es einen Infektionsfall gegeben hat", so Müller. Im Restaurant könne sie auch niemand zwingen, ihren richtigen Namen einzutragen, trotzdem würde es aus ihrer Sicht der Großteil der Menschen machen.

"Man kann nicht von unserer Branche mehr verlangen, als von anderen", sagt Alexa Müller. Sexarbeit sei ähnlich wie Kosmetikstudios oder Friseursalons zu behandeln. Das sieht die Gesundheitsverwaltung anders und teilt schriftlich mit: "Das Infektionsrisiko ist als hoch einzuschätzen." Bis mindestens zum 4. Juli soll es daher keine Öffnungen geben.

Angst vor generellem Verbot

Je mehr Lockerungen es im öffentlichen Leben geben wird, desto mehr wird auch in der Branche gearbeitet, da sind sich Gerhard Schönborn und Alexa Müller einig. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Branche schätzen beide jedoch unterschiedlich ein. Die Sexarbeiterin fürchtet, dass es zu einem generellen Prostitutionsverbot kommen könnte. Ein Brief von 16 Abgeordneten legt das nahe [deutschlandfunk.de]. Darin verweisen fordern sie die Länder auf, Bordelle derzeit über die Pandemie hinaus geschlossen zu halten. "Auf jeden Fall wird es danach weniger Angebot geben, das verschlechtert die Arbeitsbedingungen eher", sagt sie.

Gerhard Schönborn zieht einen anderen Schluss aus der Corona-Pandemie. Einige Frauen seien bereits zu ihm gekommen und hätten nach anderen Jobs und einer Kontoeröffnung gefragt. Das koste ihn und seine Sozialarbeiterinnen viel Zeit und Geld. "Es gibt kein Hilfsprogramm des Senats dafür", beklagt er. So kann Schönborn nur zusehen, wie draußen auf der Kurfürstenstraße weiter trotz Verbot gearbeitet wird.

Sendung: Inforadio, 15.06.2020, 11:10 Uhr

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