Unterricht auf Distanz - Bilanz eines Schuljahres wie keines zuvor

Mi 24.06.20 | 08:00 Uhr | Von Kirsten Buchmann
Ein Junge sitzt an seinem Schreibtisch und erledigt seine Mathe-Aufgaben im Homeschooling (Quelle: dpa/HMB Media)
Audio: Inforadio | 24.06.2020 | Kirsten Buchmann | Bild: dpa/HMB Media

Wegen der Corona-Pandemie mussten Mitte März die Berliner Schulen schließen, die Schüler zu Hause lernen. Seit einigen Wochen dürfen sie zwar in kleinen Gruppen in ihre Klassen zurück. Trotzdem ist noch nicht alles wieder beim Alten. Von Kirsten Buchmann

Lernen vor allem zu Hause allein am Computer. Ansonsten in den wenigen Stunden in der Schule: 1,50 Meter Abstand halten, sich auf gekennzeichneten Einbahnstraßen durch die Gänge bewegen, Hofpausen zum Teil mit Mundschutz. Corona hat den Alltag der Schüler geprägt, auch den des Abiturienten Miguel Góngora: "Für mich persönlich hat sich das ganze Umfeld in der Schule geändert. Dass man sich mal umarmt, mal die Hände schüttelt – man konnte das nicht aufrechterhalten." Manche Schüler vereinsamten, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Tom Erdmann, sogar.

2.000 Klassenfahrten fielen aus

Eine Zahl spiegelt wider, dass das soziale Miteinander der Schüler in den zurückliegenden Monaten litt: 2.000 geplante Klassenfahrten mussten laut der Bildungsverwaltung storniert werden. Ausflüge, Exkursionen sowie Theater-, Tanz- oder Sport-Projekte fielen ebenfalls weg – und damit die Möglichkeit für die Kinder und Jugendlichen, gemeinsam mit Schulfreunden neue Gegenden, Länder, Themen und Fähigkeiten zu erkunden. Stattdessen lernten sie wochenlang erst allein zu Hause, und danach in kleinen Gruppen mit einem Teil ihrer Klassenkameraden, immer mit Corona-Abstand.

Miguel Góngora fehlte, wie er sagt, nicht nur der vertraute Umgang der Schüler untereinander. Als Vorsitzender des Landesschülerausschusses blickt er noch aus einem anderen Grund kritisch auf die zurückliegenden Monate. Denn in der Corona-Zeit habe sich die soziale Ungleichheit unter den Schülern vertieft, sagt er. "Aus den Rückmeldungen, die wir erhalten haben, waren die Schülerinnen und Schüler, die zu Hause keinen Internetzugang oder keine oder nicht ausreichend digitale Endgeräte hatten, auf jeden Fall stärker benachteiligt als andere."

Ein Drittel des Lernstoffs nicht geschafft

Das bestätigt auch die Leiterin der Erika-Mann-Schule im Wedding, Birgit Habermann: "Das macht sich natürlich ganz offensichtlich bemerkbar." Ein Drucker habe an ihrer Schule höchstens jede vierte Familie – keine Chance also für sie und ihr Kollegium ihren Grundschulkindern Arbeitsmaterialen per Mail zu übermitteln. "Das hat ja ganz klar mit dem Geld zu tun, das den Familien zur Verfügung steht." Für 55 Kinder ihrer Schule, die gar keine Geräte zu Hause haben, sind inzwischen 20 Leih-Tablets des Landes angekommen, um damit zu arbeiten. 9.500 solcher Leih-Tablets wurden laut der Bildungsverwaltung an Berliner Schüler verteilt, bis Ende Mai.

Der Unterricht von Angesicht zu Angesicht fehlte aber in der ersten Zeit der Corona-Pandemie ganz. Später fand er in stark reduzierter Stundenzahl statt. Lässt es sich beziffern, wieviel Stoff den Schülern beigebracht werden konnte und wie viel nicht? Die Rektorin Birgit Habermann schätzt, dass an ihrer Schule im zurückliegenden Halbjahr rund ein Drittel des Lernstoffs nicht geschafft worden sei. "Ein neues Thema nur über ein Arbeitsblatt oder ein Video-Tool zu vermitteln, ist eben doch was anderes."

Sprachnachrichten an die Lehrer

Der Leiter der Lisa-Tetzner-Schule in Neukölln, Stephan Witzke, auch Vorstandsmitglied der GEW-Schulleitervereinigung, berichtet von neuen Erfahrungen der Kinder in der Corona-Zeit: vom Download der Aufgaben - und von der Kontaktaufnahme mit dem Lehrer per Sprachnachricht. "Es haben aber auch Dinge nicht funktioniert, wenn es darum geht, wie ich meine Aufgaben strukturiere und wann ich sie mache".

Nicht funktioniert hat aus Sicht von Ralf Treptow von der Vereinigung der Oberstudiendirektoren vieles, weil Berlin bei der Digitalisierung der Schulen im vergangenen Jahrzehnt seine Hausaufgaben nicht erledigt habe. "In der Corona-Krise hätten wir von Anfang an besser reagieren können, wenn es denn nun endlich mal dazu gekommen wäre, dass die Schulgebäude an das schnelle Internet angeschlossen und in sich vernetzt sind", sagt Treptow. Denn nur so ließe sich Unterricht, der vor Ort in der Schule gegeben wird, zu zwei oder zwanzig nicht anwesenden Schülern nach Hause übertragen, damit sie von dort aus mitarbeiten könnten.

Nun hoffen die Schulen auf Normalbetrieb ab August. Denn dann wollen sie im Unterricht und mit Tests genauer feststellen, was die Kinder können und wo sie Lücken schließen müssen.

Sendung: Inforadio, 24.06.2020, xx:xx Uhr

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Antwort auf [Alt-West-Berlinerin] vom 24.06.2020 um 15:00
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