Datenauswertung - Wie sich der Berliner Verkehr durch Corona entwickelt hat

Do 23.07.20 | 06:43 Uhr | Von Götz Gringmuth-Dallmer
Symbolbild: Radfahrerin, Bus und PKW - Verkehrsteilnehmer an einer roten Ampel in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf. (Quelle: dpa/K. Sprembe)
Bild: dpa/Sprembe

Fahrrad, Kfz, ÖPNV: Es gibt viele Möglichkeiten in Berlin, sich auf Rädern fortzubewegen. rbb|24 hat aktuelle Daten ausgewertet und festgestellt: Die Pandemie hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf unser Verkehrsverhalten. Von Götz Gringmuth-Dallmer

Die einen gehen lieber zu Fuß, andere haben das Rad neu für sich entdeckt und manch ein Haushalt, der das eigene Auto bisher nur für Wochenendeinkäufe oder Ausflüge genutzt hat, fährt damit nun wieder zur Arbeit. Das Mobiltätsverhalten hat sich durch die Corona-Pandemie verändert. Dies zeigen Studien und Zahlen - und nicht zuletzt die eigene Alltagserfahrung.

rbb|24 hat Verkehrsdaten vom Juni 2020 für Berlin ausgewertet und festgestellt: Für die Fahrradnutzung im Juni zeigen sie eine deutliche Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, für den öffentlichen Nahverkehr hingegen einen deutlichen Rückgang.

Im Infas-Mobilitätsreport [bmbf.de, S.18] zur Alltagsmobilität während der Corona-Pandemie, der Ende Mai erschienen ist, hat jeder zehnte Befragte angegeben, aktuell den ÖPNV grundsätzlich zu meiden und stattdessen lieber auf Wege zu verzichten. Ein gutes Drittel weicht grundsätzlich auf das Auto aus. Und jede(r) Fünfte schwingt sich demnach lieber auf den Fahrradsattel, als auf Bus oder Bahn zu setzen. Auch zu Fuß werden mehr Wege als zuvor zurückgelegt.

26,5 Prozent mehr Fahrräder im Juni

Die vorliegenden Zahlen aus Berlin sprechen für die Ergebnisse des oben erwähnten Reports. So hat die Auswertung der 16 aktiven Fahrradzählstellen in Berlin [berlin.de] ergeben, dass im Juni 2020 dort 26,5 Prozent mehr Fahrräder gezählt wurden, als ein Jahr zuvor: von insgesamt 1.847.245 Fahrrädern im Juni 2019 stieg die Zahl ein Jahr später auf 2.251.967, also fast 490.000 mehr.

Jeweils mehr als verdoppelt hat sich der Radverkehr an der Yorckstraße (+115 Prozent) sowie an der Invalidenstraße (+109 Prozent). Lediglich am Kaisersteg wurde 0,8 Prozent weniger Räder als im Vorjahresmonat gezählt. Am Paul-und-Paula-Uferweg (+2,4 Prozent) und am Maybachufer (+5 Prozent) blieb der Zuwachs einstellig.

Zunahme an Wochentagen

Im Gegensatz zu unserer Auswertung für den April 2020 ist die Zunahme vor allem an Wochentagen zu beobachten. Den deutlichsten Zuwachs haben der Dienstag und der Mittwoch in der durchschnittlichen Nutzung. Im Vergleich zu 2019 wurden im Juni in der Wochenmitte 26.493 Räder mehr gezählt, gefolgt vom Dienstag mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 19.492 Rädern. Eher bescheiden fallen dagegen die Zuwächse an Freitagen (5.021) sowie an Samstagen (7.215) aus, die restlichen Wochentage liegen irgendwo dazwischen.

Über die Gründe kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Vermutlich sind wieder mehr Menschen aus dem HomeOffice oder der Kurzarbeit an ihren Arbietsplatz zurück gekehrt. Ähnlich wie beim motoristieren Verkehr muss bei diesen Zahlen immer beachtet werden, dass Baustellen dazu führen können, dass sich Radfahrerinnen und Radfahrer eine andere Strecke suchen, auf der möglichwerweise nicht gezählt wird.

Mehr Verkehr auf der Heer- und Müllerstraße

Etwas anders sieht es beim KfZ-Verkehr aus. Das Verkehrsaufkommen nähert sich wieder an die durchschnittlichen Werte der Zeit vor den Corona-Maßnahmen an [viz.berlin.de]. Das zeigt eine Auswertung der Daten zur täglichen Verkehrsstärke der Verkehrsinformationszentrale Berlin.

An der Heerstaße westlich der Jafféstr. (103,7 Prozent) sowie der Müllerstaße nördlich der Seestraße (101,8 Prozent) wurden an Werktagen im Juni 2020 etwas mehr Kraftfahrzeuge gezählt als im Durchschnitt im Jahr 2019. Auf der Berliner-, Ecke Potsdamer-Straße in Zehlendorf hat die Verkehrsstärke auf der Höhe Clayallee mit 98,3 Prozent fast wieder ihr Vorjahresniveau erreicht. Bislang deutlich hinter den Werten von 2019 zurück bleibt der KfZ-Verkehr auf der Leipziger Straße (78,2 Prozent) und auf dem Tempelhofer Damm (84,5 Prozent). Alle anderen betrachteten Straßen liegen etwa zwischen 88 und 95 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Verkauf von Einzelfahrscheinen und Tageskarten eingebrochen

Laut einer Studie der Initiative Agora Verkehrswende zur Mobilität in deutschen Städten wurden in Berlin vor Corona 15 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad gefahren. 27 Prozent wurden zu Fuß zurückgelegt, 22 Prozent (Fahrer) bzw. neun Prozent (Mitfahrer) entfielen auf den Autoverkehr und 26 Prozent auf öffentlichen Personenverkehr [Quelle: Agora Verkehrswende (2020), agora-verkehrswende.de, S. 32].

Das dürfte sich aktuell zu ungunsten des öffentlichen Personenverkehrs verschoben haben. Im Juni erreichte die Auslastung von Bussen und Bahnen nach Angaben der BVG nur etwa 70 Prozent des Vorjahreswertes. Deutlich eingebrochen ist bei der BVG im Juni 2020 der Verkauf von Einzelfahrscheinen und Tageskarten: zwischen dem 1. Juni und 29. Juni 2020 waren es 55 Prozent weniger Einzelfahrscheine und sogar 81 Prozent weniger Tageskarten als im Vergleichszeitraum Juni 2019. Das ist wenig überraschend, da im Moment auch nur wenige Touristen in der Stadt sind.

Rückgang zum Beginn der Sommerferien

Andreas Müer, Leiter der Verkehrsinformationszentrale, weist darauf hin, dass die Zahlen immer nur Momentaufnahmen seien. So habe etwa der Rückgang am Tempelhofer Damm mit einer Baustelle in Richtung Süden zu tun. "Generell haben die Baustellen in der Stadt einen großen Einfluss darauf, wieviel Verkehr an bestimmten Orten gezählt wird", so Müer.

Insgesamt habe sich die tägliche Verkehrsstärke in den letzten drei Wochen auf dem Niveau der Vorwochen fortgesetzt und liege auf den meisten untersuchten Abschnitten nur noch gering unter dem Durchschnittswert vor Beginn der Coronamaßnahmen. Mit Beginn der Schulferien ist der Verkehr jedoch ferienbedingt um etwa fünf Prozent zurückgegangen, so seine Analyse.

Boom fürs Auto und Fahrrad

Die enormen Anstiege bei der Fahrradnutzung hingegen führt Uta Bauer, Mobilitätsforscherin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) auf Corona zurück. Die Zahlen würden zeigen, dass die Menschen in der Innenstadt von Bussen, Bahnen und zum Teil vom Auto aufs Fahrrad umgestiegen seien und Pendler aus dem Umland noch mehr das Auto nutzen und vermutlich weniger den öffentlichen Nahverkehr. "Das schöne Wetter und Pop-Up Radwege unterstützen die Attraktivität des Radfahrens", sagt Bauer.

Wie stark die Menschen das Rad nutzen, hängt auch vom Wetter ab. An Regentagen gehen die Zahlen deutlich zurück. Im Juni wurden an der Jannowitzbrücke an Donnerstagen im Schnitt 12.835 gezählt. Am Donnerstag, 9. Juli, war es grau und regnerisch und der Zählerstand endete bei 9.620. Auch am ebenso regnerischen Freitag wurden dort etwa 3.000 Räder weniger als an Freitagen im Juni gezählt.

Berlin ist kein Einzelfall

Mobilitätsforscherin Uta Bauer geht davon aus, dass die Zahlen zurück gehen, wenn im Herbst das Wetter schlechter wird. Mit Blick auf die kalte Jahreszeit fürchtet Bauer, dass der ÖPNV sich noch nicht erholt hat, Leute vermehrt das Auto nutzen und der Verkehr in der Stadt dann an seine Leistungsgrenzen stößt.

Insgesamt sei Berlin kein Einzelfall: "In repräsentativen Erhebungen zum Verkehrsverhalten in großen Städten ist nachweisbar, dass über die letzten zehn Jahre der Radverkehr ansteigt".

Uta Bauer prophezeit für das Fahrrad einen Boom in der Zukunft. Doch sie warnt: Wenn das Auto in den Städten nicht gebremst werde, nähmen die Konflikte auf den Straßen drastisch zu.

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Beitrag von Götz Gringmuth-Dallmer

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Antwort auf [Helmut Krüger] vom 23.07.2020 um 15:19
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