Interview | Gastronomin Cynthia Barcomi - "Wir sind in dem Konzept verloren gegangen"

Do 30.07.20 | 15:07 Uhr
Cynthia Barcomi backt eine Schokoladentorte mit doppeltem Boden und Schokoladenbuttercreme. (Quelle: imago images/Sabeth Stickforth)
Audio: rbb 88,8 | 28.07.2020 | Interview mit Cynthia Barcomi | Bild: imago images/Sabeth Stickforth

Nach 23 Jahren musste die Gastronomin Cynthia Barcomi das "Deli" in Berlin-Mitte nach dem Corona-Shutdown schließen - auch um ihr Geschäft in der Bergmannstraße zu retten. Im Interview spricht sie über Hilfen vom Staat und ihrem Kampf ums Überleben.

rbb: Frau Barcomi, so richtig gut geht es Ihnen in diesen Zeiten nicht - wie vielen im Mittelstand. Als Sie wussten, dass es mit dem "Deli" in Mitte nicht mehr weitergeht, wie war das für Sie?

Cynthia Barcomi: Ich habe das "Deli" in Mitte fast 23 Jahre geführt, und es war wahnsinnig erfolgreich. Ich habe das Objekt geliebt und mich auch sehr stark damit identifiziert. Es floss über die Jahre eine Menge Arbeit hinein. Aber ich habe wahrnehmen müssen, dass es jetzt eine ganz andere Situation ist. Und ich habe wirklich Angst gehabt, dass, wenn ich das Objekt so weiterführe wie bisher, was natürlich nicht möglich ist, dass es auch das Geschäft in der Bergmannstraße runterzieht. Und dann habe ich am Ende des Tages alles verloren.

Und deshalb haben Sie beschlossen, sich von dem Geschäft in Mitte zu trennen und das "Deli" in der Bergmannstraße zu retten. Wie läuft denn die Rettung?

Die Lage ist so, dass wir eine Relevanz im Kiez haben. Das hat uns sehr geholfen. Aber ich kann natürlich nicht wissen, wie es im Herbst sein wird. Im Moment genießen wir es sehr, dass wir draußen sehr viele Sitzplätze haben, weil wir weniger Sitzplätze im Innenbereich haben. Dort stehen jetzt sechs Tische. Im Herbst und Winter, wenn wir nicht mehr nach draußen ausweichen können, weiß ich nicht, was wir machen können. Ich weiß es nicht.

Das heißt, wenn die Lage so bleibt und Sie nur das Geschäft drinnen haben - mit Maskenpflicht und den üblichen Abstandsregeln - dass es Sie nicht retten wird?

Na ja, ich meine, das ist ein Vertrag, den ich vor 27 Jahren abgeschlossen haben, unter ganz anderen Bedingungen und mit ganz anderen Räumlichkeiten. Wir müssen darauf achten, dass wir die Auflagen erfüllen, auch als Gastronomen. Das ist extrem wichtig. Manche Gastronomen machen das sehr gut, manch andere locker. Aber wir sehen es als extrem wichtig an, dass wir dazu beitragen, dass man sich bei uns nicht ansteckt.

Sie haben gesagt, die Miete bleibt vermutlich gleich. Das habe ich jetzt schon von vielen Mittelständlern gehört. Es gab einige Vermieter, die Verständnis haben und die Miete mindern, wenigstens ein bisschen. Die Vermieter haben es in der Pandemie besser als die, die Läden betreiben. Und Sie bemängeln das ein bisschen.

Der Vermieter in der Bergmannstraße ist mir zum Glück zwei Monate entgegengekommen, indem ich nur die Hälfte der Miete leisten musste. In Mitte ist das nicht der Fall gewesen. Im März haben wir von der Hausverwaltung eine Rund-Mail bekommen, dass wir bloß nicht dran denken sollen, nach einer Mietminderung zu fragen. Und ich muss ganz ehrlich sagen, als wir versucht haben, ab 16. März Take-away in Mitte anzubieten, haben wir gemerkt, dass das in diesem Kiez nicht funktioniert. Wir müssen zumachen, bevor wir noch mehr Schulden machen.

Und wir wussten natürlich nicht, wie lange das so weiter geht. Bleiben wir jetzt einen Monat oder sechs Monate zu? Und wenn wir nichts umsetzen, da hilft mir auch keiner. Es war natürlich eine Hilfe, dass man den Mitarbeitern Kurzarbeit anbieten konnte. Aber das hilft nicht mit den Unkosten.

Und als Mittelständler habe ich zu viele Mitarbeiter, um diese ersten Zuschüsse bekommen zu können. Und es hätte für mich überhaupt keinen wirtschaftlichen Sinn gemacht, wenn ich einen Kredit genommen hätte, um fehlende Umsätze zu finanzieren. Also, das geht gar nicht.

Fühlen Sie sich von der Politik ein bisschen hängengelassen?

Ich finde, dass wir verloren gegangen sind. Man hat ja gesagt, dass Geschäfte mit bis zu zehn Leuten unbedingt unterstützt werden müssen, damit sie nicht untergehen. Ich bin jetzt seit fast 27 Jahren Gastronomin und habe nicht erst gestern damit angefangen. Problematisch ist auch die Aussage zum Teil vom Publikum, dass man falsch gewirtschaftet hat, wenn man als Gastronom zum Beispiel Insolvenz anmeldet. Das musste ich zum Glück bis jetzt nicht machen. Der Vorwurf, dass wir schlecht gewirtschaftet haben, stimmt einfach nicht. Ich denke, dass wir verloren gegangen sind in dem gesamten Konzept.

Und das heißt, das ist der Vorwurf an den Staat, dass da niemand Sie mitgedacht hat?

Ja, ich denke, das ist ein Problem. Die Hotelerie und die Gastronomie haben sehr viele Umsätze und sehr viele Steuern eingebracht und sehr viele Arbeitsplätze geschaffen. Wir waren auch ein Anziehungspunkt für Touristen, nach Berlin zu kommen, und es wird jetzt eine Art Korrektur geben. Ich kämpfe dafür, dass wir überleben. Aber ich glaube, es ist nicht selbstverständlich, dass jede Gastronomie und jedes Hotel diese Phase überleben wird.

Es gibt deshalb eine Sammelklage, der Sie sich angeschlossen haben – auch um das Thema ein bisschen in die Öffentlichkeit zu bringen?

Ich bin keine Juristin. Ich habe wirklich alles dafür getan, dass eine Geschäft zu retten. Ich zahle bis in den Winter den Laden in Mitte ab, ohne jegliche Unterstützung. Das heißt, ich finanziere das mit den Einnahmen meines Ladens in der Bergmannstraße. Das ist nicht besonders toll. Ich denke, das ist eine juristische Frage, und wenn uns als Gastronom was zusteht, dann steht uns das zu. Aber das wird Jahre dauern, bis es eine Entscheidung gibt. Aber ich denke, dass das berechtigt ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Cynthia Barcomi führte Ingo Hoppe, rbb 88,8.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb 88,8, 28.07.2020,??

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Antwort auf [Sandra] vom 31.07.2020 um 08:21
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