Verbreitung von Coronaviren - Wie sicher ist das Fliegen?

Fr 24.07.20 | 17:33 Uhr | Von Oliver Noffke
Eine Frau sucht ihren Platz in einem Flugzeug (Quelle: Imago Images/Jeffrey Groeneweg)
Bild: Imago Images/Jeffrey Groeneweg

In einer Welt mit zig Millionen Flugreisenden jeden Tag konnte sich das Coronavirus rasant verbreiten. Im März kehrte Stille in der Atmosphäre ein: Lockdown, Reisebeschränkungen. Nun rappelt sich die Branche wieder auf. Aber ist Fliegen sicher? Von Oliver Noffke

Dutzende, oft sogar Hunderte Menschen sitzen eng nebeneinander in einem geschlossenen Raum. Auf den ersten Blick erscheint das Flugzeug als einer der ungünstigsten Orte, an dem man sich während der Pandemie aufhalten kann. Vertreter von Airlines und Flugzeugbauern werden hingegen nicht müde, die technischen Vorzüge der Maschinen hervorzuheben. So rein wie in einem Operationssaal soll die Luft in den Fliegern sein, behaupten einige von ihnen.

Nach den Wochen des Lockdowns und internationalen Reisebeschränkungen läuft der Luftverkehr langsam aber stetig wieder an. Heißt mehr Luftverkehr auch, dass sich das Virus wieder stärker verbreiten kann? Und welchem Risiko sind Passagiere wie Mitarbeiter in den Flugzeugen ausgesetzt?

Gab es bereits Corona-Übertragungen in einem Flugzeug?

In zumindest einem Fall sind sich staatliche Behörden sicher, dass es eine Übertragung von Sars-CoV-2 an Bord gegeben haben muss. Auf einem Flug der Vietnam Airlines von London nach Hanoi saß am 2. März eine infizierte Person. Als dies erkannt worden war, konnten 14 Passagiere durch Nachverfolgung ermittelt werden, die ebenfalls infiziert waren. Alle saßen im Flugzeug in unmittelbarer Nähe zueinander.

Bei dem eng mit dem neuen Coronavirus verwandten ersten Sars-Virus konnte 2003 ebenfalls in einem Fall ein Flugzeug als Übertragungsort ausgemacht werden. Bei vielen anderen Krankheiten sind Infekteionen gesichert. Das "Westfälische Ärzteblatt" bezeichnete bereits 2013 neben Sars auch Tuberkulose, Meningokoken-Erkrankungen, Grippe sowie die hochansteckenden Masern als "gefährliche luft- und tröpfchenübertragbare Infektionskrankheiten, die an Bord eines Flugzeugs erworben werden können". Viren können sich innerhalb von Flugzeugen also verbreiten.

Wie funktionieren die Klimaanlagen an Bord?

Was die Klimaanlagen in Verkehrsflugzeugen mit denen in Operationssälen gemein haben, ist die Zufuhr von Frischluft und der Einsatz von Schwebstofffiltern. Diese sind als Hepa-Filter (High Efficiency Particulate Air Filter) bekannt und können neben Staub, Pollen oder Rauchpartikeln auch Aerosole und sogar Bakterien und Viren aus der Luft filtern. Beide Orte werden aber keinesfalls auf die gleiche Weise belüftet.

In einem OP-Saal strömt die Frischluft durch den Hepa-Filter von oben herein. Am Boden wird sie abgesaugt und ausgeleitet. Es herrscht ein steter Luftstrom, der verhindert, dass Partikel in der Luft lange stehen können.

In einem Flugzeug wird ebenfalls ständig Frischluft zugeleitet. In den allermeisten Fällen wird sie durch die Turbinen angesaugt. In der Kabine herrscht ein ständiger Strom: Die Luft wird von der Decke eingeleitet und über den Boden abgesaugt. Ein wichtiger Unterschied ist, dass die Luft in der Kabine nicht zu 100 Prozent aus Frischluft besteht. Je nach Bauart werden 40 bis 50 Prozent rezirkuliert. Das heißt, dieser Teil der Luft wird aus der Kabine abgezweigt, dann mithilfe der Hepa-Filter gereinigt und schließlich neu eingeleitet.

Gute Klimaanlagen, schlechte Klimaanlagen

Generell müssen in Deutschland Klimaanlagen in Restaurants oder Büros so konstruiert sein, dass ihnen Frischluft zugeführt wird. Üblicherweise sollen sie auch so gebaut sein, dass es durch Abluftsysteme einen kontinuierlichen Luftstrom nach oben oder unten gibt.

In den USA und vielen asiatischen Ländern, in denen Klimaanlagen weitaus verbreiteter sind als hierzulande, werden hingegen oft Systeme ohne Frischluftzufuhr eingesetzt - auch weil sie viel günstiger sind. Diese Anlagen erzeugen kreisförmige Luftströme, wobei die Luft weder gefiltert noch abgeleitet wird. Es sind Fälle nachgewiesen, in denen solche Klimaanlagen die Ausbreitung von Coronaviren begünstigt haben.

Was heißt das alles für das Risiko im Flugzeug?

Für die Behauptung vieler Airlines – die Luft in Flugzeugen sei Corona-sicher – spricht, dass es bisher auch noch keine wissenschaftliche Studie gibt, die in deren Klimaanlagen ein erhöhtes Risiko erkennt. Andererseits ist Covid-19 noch immer eine recht junge Erkrankung. Langzeitbeobachtungen existieren nicht. Aufgrund des radikalen Zusammenbruchs der Flugbranche im März und ihrer gerade erst angelaufenen, langsamen Erholungen entfiel auch lange die Möglichkeit, einen direkten Zusammenhang anhand realer Daten zu beobachten. Derzeit ist es deshalb nicht möglich, eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage zu geben.

Der Fall des Vietnam-Airlines-Flugs zeigt, dass eine Übertragung trotz ausgetüftelter Klimaanlagen möglich ist, wenn der Sitznachbar ansteckend ist. US-Wissenschaftler haben in Strömungsmodellen gezeigt, dass sich bei Niesanfällen in Flugzeugen Partikel zwar nicht in der gesamten Kabine ausbreiten. Über die Nebensitze werden sie jedoch in jedem Fall geschleudert, bevor sie abgesaugt werden können. Diese Modelle gingen allerdings davon aus, dass die Passagiere keine Masken tragen.

Momentan ist auch noch unklar, ob es besser ist, die persönlichen Luftdüsen über den Sitzen geschlossen zu halten oder zu öffnen. Letzteres könnte möglicherweise zu ungünstigen Verwirbelungen führen.

Tiefere Erkenntnisse könnte eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) liefern. In einem aufwendigen Verfahren wird dabei das Verhalten von Tröpfchen und Aerosolen in Flugzeugen unter realen Bedingungen getestet. Bei laufender Klimaanlage wird mit Puppen Ausstoß und Einatmung simuliert. Die Ergebnisse sollen allerdings frühestens Ende des Jahres vorliegen.

Was nun?

Es wird mehr Fälle geben, das weiß auch die EU. "Wir wollen das Risiko vermindern - eliminieren können wir es nicht", antwortete ein Sprecher der EU-Kommission auf eine Anfrage der ARD-Sendung Report Mainz.

Wie das aussehen könnte, präsentierte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Donnerstag. Die EU-Staaten hätten sich darauf verständigt, die Hygiene-Regeln für das Fliegen zu verschärfen, sagte er. Überall sollen einheitliche Standards herrschen, Mund-Nasen-Masken sollen ab dem 6. Lebensjahr Standard sein, die Flugzeuge sollen öfter gereinigt werden, Informationen in mehreren Sprachen ausgegeben, Abstandsgebote für die Abfertigung eingeführt werden. Unklar ist, wie die Flughäfen in ihren Wartebereichen massiv mehr Platz vorhalten sollen.

Zudem forderte Scheuer, dass für "eine hohe Frischluftquote im Flugzeug" gesorgt werden müsse. Details nannte er nicht. Technisch ist es möglich, den Anteil der Frischluft an der Kabinenluft zu erhöhen. Möglicherweise werden Airlines künftig auch dann die Klimaanlagen ihrer Flugzeuge aufdrehen müssen, während sie noch am Boden stehen.

Bis vor Kurzem war dies von den Flughafenbetreibern aus Umweltschutzgründen untersagt. Denn die Klimaanlagen der Flugzeuge funktionieren nur, wenn mindestens das dritte Triebwerk am Heckflügel eingeschaltet ist. Das verbraucht Kerosin und erzeugt Lärm. Alternativ sind Bodenbelüftungen über Schläuche möglich, die aber weniger Zugkraft haben und an Außenpositionen oft nicht vorhanden sind.

Check-In-Bereich des Flughafens Paris Orly am 26.06.2020 (Quelle: Imago Images/JB Autissier)
Der Check-In-Bereich am Flughafen Paris-Orly Ende Juni 2020 | Bild: Imago Images/JB Autissier

Die Alarmketten sind weitaus komplexer als die Verbreitung des Virus

Ende Juni sorgte ein Flug der Linie Emirates von Dubai nach Hongkong für Aufregung. 26 Personen wurden nach der Ankunft positiv auf Corona getestet. Dass es eine Übertragung auf diesem Flug gegeben hat, scheint ausgeschlossen, denn die Passagiere waren über das gesamte Flugzeug verteilt und saßen nicht beieinander. Für die Airline dennoch ein Debakel, denn zum damaligen Zeitpunkt wurde bereits jeder Transitpassagier vor dem Einstieg auf seine Temperatur getestet – und den 26 war gemein, dass sie alle aus Pakistan kamen.

Es war jedoch unklar, ob sie sich kannten, gemeinsam nach Dubai angereist waren und sich unabhängig voneinander angesteckt hatten. Die Behörden in Hongkong erhielten keine weiteren Informationen.

Schon innerhalb Deutschlands ist die Nachverfolgung kompliziert, wie der Fall der vier Cottbusser Mallorca-Rückkehrer zeigt. Sie waren in Nürnberg gelandet und dann über Land nach Hause gefahren. Gemeldet wurde der Fall beim Gesundheitsamt Nürnberg, doch zuständig für die Kontaktverfolgung ist man in Cottbus.

Der Faktor Mensch

Die britische Zeitung "The Guardian" hat mit einem Betroffenen gesprochen, der auf dem Vietnam-Airlines-Flug infiziert wurde. Vor dem Abflug sei er gefragt worden, ob er sich vor Kurzem in China, Italien oder Iran aufgehalten habe, sagte der Mann der Zeitung. Danach habe er sich gefragt: "Was wäre denn passiert, wenn ich dort gewesen wäre, aber mit 'nein' geantwortet hätte?"

Ein Großteil der Corona-Konzepte setzt auf die Ehrlichkeit und die Eigenverantwortung jedes Einzelnen - und das kann zum Problem werden. Viele Airlines haben etwa aufwendige Prozeduren beim Borden und Aussteigen eingeführt. Passagiere werden in kleinen Gruppen aufgerufen, um Ansammlungen zu vermeiden. Nur befolgen das viele nicht. An den Gates entstehen Schlangen; sobald die Flugzeuge stehen, springen viele auf und verstopfen die Gänge. Auch beim Fliegen können sämtliche Hygienekonzepte nur dann erfolgreich sein, wenn sie eingehalten werden.

Beitrag von Oliver Noffke

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Antwort auf [Heike] vom 24.07.2020 um 18:01
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