Anstieg der Corona-Fallzahlen in Berlin - So problematisch ist die Situation wirklich

Fr 14.08.20 | 16:51 Uhr
Mitarbeiter des Tropeninstituts München nehmen einen Corona-Abstrich aus der Nase eines Testpatienten (Bild: imago images/Stefan M. Prager)
Bild: imago images/Stefan M. Prager

Eine hohe Zahl an Neuinfektionen wird gerade in Berlin heiß diskutiert. Ist das schon die zweite Welle? Verändert sich gerade die Lage? Oder ist das nur der erhöhten Zahl an Tests geschuldet? Und welche Rolle spielen Urlauberinnen und Urlauber? Von Haluka Maier-Borst

Berlin verzeichnet nun drei Tage in Folge mehr als 100 Neuinfektionen. Und die Meinungen darüber, wie die Lage zu bewerten ist, gehen extrem auseinander - selbst zwischen Senat und manchen Amtsärzten. rbb|24 versucht darum so neutral wie möglich mit Daten die aktuellen Fragen zu beantworten – und auch transparent darzustellen, was unklar bleibt.

Wie stark steigt die Zahl der Fälle momentan?

Einen so starken Anstieg der registrierten Neuinfektionen wie jetzt hat Berlin seit Wochen nicht erlebt. Das letzte Mal, dass mehr als 100 Neuinfektionen pro Tag verzeichnet wurden, war Mitte Juni, als es insbesondere im Umfeld eines Hauses in Neukölln zu Dutzenden von Ansteckungen kam. Davor waren solch hohe Fallzahlen letztmalig im April zu beobachten.

Liegt das daran, dass mehr getestet wird?

Nein, dafür spricht wenig. Denn die Quote an positiven Tests für Berlin lag seit Anfang Juni, bis auf einzelne Ausreisser, dauerhaft ungefähr bei einem Prozent oder darunter. Das ist nach aktuellem Stand weiterhin der Fall. Wäre tatsächlich der Anstieg an Fällen nur dem Umstand geschuldet, dass man mehr testet, müsste die Quote der positiven Tests deutlicher fallen.

Allerdings muss man beim Nutzen dieser Daten zur Test-Quote ein paar Fallstricke beachten. Zum einen gibt es zwar eine Meldepflicht für Fälle, aber keine für Labortests. Sprich in dem Datensatz des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind nicht alle Corona-Tests für Berlin enthalten und auch nicht alle positiven Tests. Zum anderen fehlen, wie das RKI mitteilt, aufgrund technischer Probleme die Testergebnisse auf Länderebene für diese Woche. Man muss also für die Bewertung der aktuellen Lage zwei Annahmen machen:

1. Die Berliner Labore, die ihre Tests melden und die, die sie nicht melden, unterscheiden sich nicht in ihrer Positivquote.

2. In der letzten Woche hat sich die Teststrategie in Berlin nicht so stark verändert, dass die Positivquote massiv gefallen ist.

Speziell beim zweiten Punkt muss man beachten, dass bundesweit die Zahl der Tests tatsächlich deutlich zugenommen hat, von rund 570.000 in der Vorwoche auf 670.000. Aber die Positivquote ist eben auch mit einem Prozent auf dem gleichen Niveau geblieben.

Nochmal kurzgefasst: Man hat wohl nicht mehr Fälle, weil man mehr testet. Sondern man testet mehr, weil man mehr Fälle vermutet.

Ist die Lage also ähnlich dramatisch wie Mitte April?

Nein, denn die Quote der positiven Tests ist geringer. Die Positivquote kann nämlich als Indikator dafür gesehen werden, wie gut die Fallzahlen das tatsächliche Geschehen abbilden. Je höher die Quote, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass noch viele Fälle unentdeckt bleiben. Je niedriger die Quote, desto niedriger die Wahrscheinlichkeit, dass es wesentlich mehr Fälle gibt.

Die Testberichte für Berlin gehen zwar nur zurück bis Ende April. Aber wenn man die Quote von damals (3,4 Prozent) auch für den Rest des Monats annimmt, dann gab es wohl deutlich mehr unentdeckte Fälle im April als heute.

Hinzukommt, dass die derzeitigen Neuinfektionen in einer deutlich jüngeren Altersgruppe auftreten, die eine weniger hohe Wahrscheinlichkeit hat, dass positiv Getestete zur Behandlung ins Krankenhaus oder gar auf die Intensivstation müssen.

Dennoch: Möglich ist, dass die Jüngeren die Älteren anstecken und damit wieder für mehr Fälle in Krankenhäusern sorgen. Und selbst bei leichten Verläufen gibt es laut ersten Studien mögliche Langzeitschäden [faz.net].

Wie gut kann man die neuen Fälle nachverfolgen?

Derzeit noch einigermaßen gut. Laut Angaben des Senats vom Mittwoch war bei 195 von 475 Fällen die Infektionsquelle bekannt. Das ist also etwas weniger als die Hälfte und nicht so schlecht wie etwa im April. Hinzukommt außerdem, dass – anders als im April – auch die Situation der aus dem Ausland eingeschleppten Fälle wichtig ist. Weitere 255 Fälle kommen nämlich wohl von Reiserückkehrern. Zählt man dieses ebenfalls als Fälle mit bekannter Infektionsquelle, kommt Berlin auf fast 95 Prozent geklärte Fälle. Trotzdem stellt sich zunehmend die Frage, ab wann die Gesundheitsämter nicht mehr die Kontaktverfolgung erfolgreich durchführen können.

Es gibt derweil auch einzelne Beispiele von Städten, die derzeit besser abschneiden. So erklärt die österreichische Hauptstadt Wien auf rbb-Anfrage, das dort noch mehr Fälle rückverfolgbar seien.

Neben den geringeren Fallzahlen von zuletzt knapp über 350 innerhalb einer Woche könnte die Rückverfolgbarkeit in Wien auch damit zusammenhängen, dass schneller getestet wird. Denn an sich ist die Strategie in Wien [vienna.at] recht ähnlich zur deutschen [rki.de]. Sowohl hier wie da werden alle Kontaktpersonen eines positiven Falls untersucht, auch diejenigen, die keine Symptome zeigen.

Welche Rolle spielen Rückkehrende aus dem Urlaub?

Eine recht große Rolle. Laut Senatsangaben hatten 54 Prozent der Fälle der letzten 7 Tage "Auslandsexposition".

So oder so ist aber zu beachten: der Ballermann und Spanien waren zuletzt zwar in den Schlagzeilen. Problematischer sind laut RKI-Bericht aber eher die Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Kosovo, Türkei, Serbien und Bulgarien. Die "Süddeutsche Zeitung" weist zudem darauf hin, dass in der Statistik des RKIs nicht berücksichtigt wird, wer sich wiederum durch Rückkehrerinnen und Rückkehrer angesteckt hat.

Anmkerung der Redaktion: Der Senat weist "Fälle mit bekannter Infektionsquelle" und "Fälle mit Auslandsexposition" aus. Fälschlicherweise ging rbb|24 davon aus, dass das zwei separate Formen der Erfassung sind. Also dass zum Beispiel ein Fall eine bekannte Infektionsquelle haben und aus dem Ausland kommen kann. Tatsächlich ist es aber so, dass ein Fall mit bekannter Infektionsquelle, mit Auslandsexposition oder mit unbekannter Infektionsquelle klassifiziert werden kann. Wir haben entsprechend einige Passagen im Text inzwischen korrigiert und angemerkt, dass die Rückvefolgung nach dieser Metrik besser funktioniert als bisher eingeschätzt.

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Antwort auf [chr/christiane] vom 16.08.2020 um 10:12
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