Interview | Mediziner Leif Erik Sander - "Diese Covid-Impfstoffe sind schon außergewöhnlich gut"

Mi 25.11.20 | 08:21 Uhr
Ein Infektionsschutzzentrum (Quelle: dpa/Christoph Hardt)
Bild: dpa/Christoph Hardt

Es ist die gute Nachricht des Jahres: Schon bald könnte ein Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen sein. Wieso das so schnell ging, wie sicher die Impfstoffe sind und wo es kompliziert werden könnte, erklärt der Charité-Forscher Leif Erik Sander im Interview.

rbb: Herr Sander, kann die Impfstoff-Zulassung noch scheitern?

Leif Erik Sander: Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Natürlich kann es bei jedem Impfstoff oder Arzneimittel passieren, dass sich im Verlauf noch seltene Nebenwirkungen herausstellen. Dann kann ein Medikament vom Markt genommen werden.

In welcher Phase würde man das dann feststellen?

Bei diesem Impfstoff ist die Phase-III-Studie abgeschlossen. Das bedeutet, dass alle Probanden geimpft worden sind und über den vorgegebenen Beobachtungszeitraum von 60 Tagen beobachtet wurden. Die Ergebnisse werden jetzt von den Behörden begutachtet. Sobald die Ergebnisse positiv beschieden werden, kann eine vorläufige Zulassung erfolgen. Die Probanden werden aber weiter nachbeobachtet, und es könnte sich in diesem Nachbeobachtungszeitraum noch etwas ergeben.

Wenn das Medikament im Einsatz ist - das nennt man dann Phase IV - und vielleicht Millionen von Menschen geimpft wurden, und sich in ganz seltenen Fällen Nebenwirkungen zeigen sollten, gibt es theoretisch die Möglichkeit, das Medikament aus dem Verkehr zu nehmen. Aber aktuell würde es mich sehr wundern, wenn der Impfstoff nicht zugelassen würde.

Wie läuft die Zulassung eines Impfstoffs eigentlich ab?

Die Firmen schließen ihre Phase-III-Studien ab und überprüfen, ob der primäre Endpunkt erreicht wurde. Das heißt: Vor der Studie muss ein Ziel definiert sein, das erreicht werden sollte. Im aktuellen Fall soll der Impfstoff verhindern, dass symptomatische Sars-CoV-2-Infektionen entstehen. Wenn dieses Ziel erreicht wurde und auch das Sicherheitsprofil das zulässt, können die gesamten Unterlagen eingereicht werden.

Dieses Mal war es allerdings so, dass man in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren bereits während der laufenden Studie Zwischenergebnisse einreichen konnte. Dadurch konnten sich die Zulassungsbehörden schon früh ein Bild von den erhobenen Daten machen. Das bildet die Grundlage dafür, dass die Behörden eventuell schon früh eine Zulassung aussprechen können.

Viele Menschen sind besorgt, dass wegen der hohen Geschwindigkeit der Zulassung der Impfstoff nicht sicher sein könnte. Wie ist Ihre Einschätzung?

Da kann ich beruhigen, weil nicht an der Zeit gekürzt wurde, in der auf die Sicherheit des Impfstoffs geschaut wird: Die sonst lange Zeit bei der Zulassung liegt an den Phasen, die zwischen der klinischen Erprobung und den behördlichen Genehmigungsprozessen liegen. Hinzu kommt, dass normalerweise die Testphasen nacheinander durchlaufen werden müssen, und man immer die jeweiligen Ergebnisse überprüft. Erst dann entscheiden Firmen, ob sie in die nächste klinische Phase investieren wollen. Denn das ist immer ein großes finanzielles Risiko.

Im Fall des Covid-Impfstoffs ist es so, dass die Regierungen viel Geld zur Verfügung gestellt haben, so dass während die eine Phase noch lief, schon direkt die weitere Logistik finanziert werden konnte. Damit wurden Jahre eingespart. Zudem haben die Firmen selbst investiert. Es wurde also vor allen Dingen in der Entwicklung Zeit gespart, weil man direkt vorinvestiert hat. Zudem hat man schon früh begonnen, zu produzieren. Woran nicht gespart wurde, ist die Beobachtungszeit der Probanden.

Die Wirksamkeit des Impfstoffs soll bei etwa 90 Prozent liegen – ist das ein besonders guter Wert?

Die Wirksamkeit der zwei Impfstoffe liegt sogar darüber, wenn man den Zwischenergebnissen glaubt. Die liegen bei 95 Prozent. Das ist schon außergewöhnlich gut. Es gibt auch eine Reihe anderer Impfstoffe, die so gut sind - der Röteln-Impfstoff oder Tetanus-Impfstoffe etwa, die landen bei über 95 Prozent. Aber es gibt gerade gegen Atemwegsinfektionen eine Reihe Impfstoffe, wie der Grippe-Impfstoff oder der Impfstoff gegen Pneumokokken, die sind viel schlechter. Die liegen eher bei 60 Prozent oder deutlich darunter. Von daher sind diese Covid-Impfstoffe schon außergewöhnlich gut.

Der Impfstoff braucht zwei Dosen, bis er wirksam ist – welches Wirkprinzip steckt dahinter?

Viele Impfstoffe werden zwei Mal gegeben, das hängt mit unserem Immunsystem zusammen. Unser Immunsystem wird durch die Impfung angeregt, ein Immungedächtnis auszubilden. Damit das Immunsystem ein Gedächtnis und eine starke Antwort ausbildet, braucht es einen längeren Kontakt mit dem sogenannten Antigen. Das Antigen ist die Struktur, die das Immunsystem erkennen kann. Wenn das eine ganze Weile im Körper ist, merkt sich das Immunsystem das und bildet eine Gedächtnis-Antwort und eine noch stärkere Antikörper-Antwort. Genau das kann man provozieren, indem man einen Impfstoff zwei Mal mit einem gewissen Abstand gibt. Dadurch wird das Immunsystem nochmal angeregt, bildet dann ein Gedächtnis aus, und es amplifiziert [erweitert, Anm.d.Red.] und verstärkt dann noch mal die Immunantwort. Das nennt man Prime-Boost und ist ein ganz herkömmliches Prinzip bei Impfungen.

Ist es sinnvoll, unterschiedliche Impfstoffe zu haben?

Perspektivisch ist es sicher sinnvoll, verschiedene Hersteller und Plattformen zu haben. Es kann immer Probleme mit der Herstellung oder Auslieferung geben, zumal man sich auch nicht von bestimmten Herstellern abhängig machen will. Es ist auch gut, Impfstoffe mit unterschiedlichen Wirkprinzipien zu haben, weil sich im Verlauf immer noch herausstellen könnte, dass bestimmte Impfstoffe bei bestimmten Personen oder Bevölkerungsgruppen besser wirken. Oder es könnte sein, dass bei einem Impfstoff eine bestimmte Nebenwirkung doch häufiger auftritt. Deswegen ist es tatsächlich ein Vorteil, mehrere Impfstoffe zu haben.

Wie unterscheiden sich die beiden Impfstoffe?

Der deutsche und der amerikanische Impfstoff sind sehr ähnlich. Beide haben als Grundprinzip eine sogenannte mRNA, das ist die Abschrift vom viralen Erbgut. Beide richten sich gegen ähnliche Strukturen im Erbgut. Die deutsche Firma Biontech hat sich für einen Kandidaten entschieden, der nur die sogenannte Rezeptorbindungsdomäne, RBD, enthält. Das ist genau der Teil von diesem Dornprotein im Virus, der sich an die Zellen in unserem Atemwegstrakt anheftet. Bei Moderna aus den USA richtet sich der Impfstoff gegen das gesamte Dornprotein. Das ist sehr viel größer und die mRNA ist somit länger. Dann gibt es auch noch Unterschiede in der Art und Weise, wie die Moleküle chemisch verändert sind. Da hat jede Firma ihre eigenen Verfahren, wie sie zum Beispiel die Stabilität des Moleküls erhöhen. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass der Impfstoff aus den USA auch bei höheren Temperaturen besser zu lagern ist.

Kann es sein, dass das Virus in kurzer Zeit so mutiert, dass der Impfstoff schon bald wirkungslos ist?

Das ist sehr unwahrscheinlich. Corona-Viren verändern sich nicht so schnell. Es kann schon sein, dass es im Verlauf zu einer Veränderung kommen könnte. Es ist aber aufgrund der Art des Virus nicht davon auszugehen, dass es rasch zu einer Mutation kommt, bei der die Impfstoffe ihre Wirksamkeit verlieren.

Ab wann wird wieder ein normaleres Leben möglich sein?

Diesen Winter werden die Impfstoffe nicht helfen, da brauchen wir weiter die allgemeinen Hygienemaßnahmen, um die Ausbreitung zu verlangsamen, beziehungsweise zu verringern. Wenn wir um die Jahreswende mit dem Impfen beginnen, wird es noch eine ganze Weile dauern, bis relevante Teile der Bevölkerung geimpft sind. Das heißt, man muss immer noch aufpassen. Meine Hoffnung ist, dass wir bis zum nächsten Herbst weite Teile der Risikopopulation geimpft haben und auch andere Teile der Bevölkerung mit Impfstoff versorgt haben. Dann könnten die schweren Verläufe, die Todesfälle und die Intensivbelegung in Krankenhäusern soweit sinken, dass nicht mehr so ein Druck auf dem Gesundheitssystem ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Laura Will, rbbPraxis.

Sendung: rbbPraxis, 25.11.2020, 20:30 Uhr

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