Studienstart in Corona-Zeiten - "Ich vermisse etwas, was ich gar nicht kenne"

Sa 28.11.20 | 17:57 Uhr
Symbolbild: Ein Student im Homeoffice lernt zu Hause an seinem Laptop. (Quelle: dpa/C. Klose)
Bild: dpa/C. Klose

Tausende Erstsemester haben in Berlin ihr Studium begonnen - und sitzen erst mal zu Hause. Erstsemesterveranstaltung, Tutorium, Vorlesung - all läuft digital. Und wie lange das noch dauert ist unklar. Wie geht es ihnen damit? Drei Gesprächsprotokolle.

Valentin, 18, studiert Geschichte und Philosophie an der Humboldt Universität in Berlin

Ich bin für das Studium aus Waldkirch im Breisgau nach Berlin gezogen. Natürlich habe ich keinen Vergleich, wie es sich ohne Corona studiert. Aber ich habe den Eindruck, in Präsenz wäre es deutlich angenehmer und auch einfacher. Zum einen, weil das Verständnis leichter fiele und ich mich nach der Vorlesung auch mit den Kommilitonen ganz easy austauschen könnte. Aber natürlich wäre es dann auch einfacher, Kontakte zu knüpfen und einen Freundeskreis aufzubauen. Das ist über Videocalls mit Zoom kaum möglich. Um die Inhalte und Arbeitsweisen kennenzulernen reicht das, aber nicht für das Drumherum, für das Uni-Leben. Das ist eine unvollständige Situation gerade irgendwie.

Valentin Heib. (Quelle: privat)
ValentinBild: privat

Dass die Vorlesungen darin bestehen, vorm Computer zu sitzen und viel mitzuschreiben, damit komme ich im Großen und Ganzen klar. Ziemlich schade finde ich, dass die Tutorien auch so stattfinden. Ich glaube, dass Diskussionen viel einfacher laufen würden, wenn sie live stattfänden und man nicht immer so eine kleine digitale Hand heben müsste. Es fehlt einfach die Lockerheit und Spontaneität.

Es gab tatsächlich eine Präsenzveranstaltung für mich bisher. Das war ein Einführungskurs Geschichte. Der besteht eigentlich sowieso nur aus 30 Leuten, musste aber nochmal geteilt werden, damit er überhaupt stattfinden konnte. Ich fand es sehr gut, die beiden Dozierenden auch mal live zu erleben und nicht nur vor der Kamera. Insofern war das schon gewinnbringend, aber das Format hat es leider nicht hergegeben die anderen Kommilitonen wirklich kennenzulernen. Mit ein paar Studierenden aus einem Philosophiekurs habe ich mich vor dem Lockdown einmal in einem Park getroffen. Das war ziemlich nice. Das zu vertiefen ist jetzt natürlich schwierig.

Da ist so eine Art Vorfreude darauf, dass es endlich richtig losgeht mit dem Studentenleben.

Eigentlich habe ich eine Wohnung in Tempelhof. Momentan wäre dort mein einziger Kontakt zur Außenwelt mein PC. Deswegen bin ich zu meinen Großeltern "geflüchtet", die am Rand von Berlin wohnen. So habe ich Kontakt zu Menschen, die ich kenne und bin nicht so allein. Bis Ende November bleibe ich jetzt mindestens hier.

Es ist nicht einfach, die derzeitige Situation zu beschreiben. Ich vermisse etwas, was ich gar nicht kenne. Alle sagen immer, "studieren ist die beste Zeit des Lebens". Deswegen vermisse ich im Prinzip nur, dass sich diese Erzählungen endlich erfüllen. Positiv ausgedrückt ist da eigentlich so eine Art Vorfreude darauf, dass es irgendwann richtig losgeht mit dem Studentenleben.

Ich hoffe, dass zu Weihnachten oder vielleicht danach die Infektionszahlen so weit zurückgehen, dass wieder ein Tutorium mit ein paar Dutzend anderen stattfinden kann, in einem großen Vorlesungssaal vielleicht. Und dass spätestens zum Ende des Semesters ein bisschen Normalität an die Uni zurückkehren kann.

Ava-Silva, 20, studiert Deutsch und Geschichte an der HU Berlin

Wir machen eigentlich alles über Videokonferenz-Programme wie Zoom. Ich finde, bei den Vorlesungen und Seminaren geht das in Ordnung. Zumindest so lange, wie die Internetverbindung nicht schwächelt. Mir ist es leider schon öfter passiert, dass ich aus den Kursen rausgeschmissen wurde. Wenn man sich immer wieder neu einwählen muss, verpasst man natürlich auch jedes Mal wieder etwas. Aber viele Dozenten geben sich Mühe, wollen sicherstellen, dass alle mitkommen, und stellen ihre Präsentationen und Materialien nach den Veranstaltungen online zur Verfügung.

Den Campus kenne ich nur von einer Führung, die von der Fachschaft Geschichte organisiert wurde. Aufgrund von Corona war es allerdings nicht gestattet, dass wir selbst in ganz kleinen Gruppen in irgendeines der Gebäude reindurften. Immerhin habe ich bei der Gelegenheit ein paar Kommilitonen getroffen und konnte Studenten aus höheren Semestern, die die Führungen gegeben haben, Fragen stellen.

Den Campus kenne ich nur von einer Führung

Ich bin aus Berlin. Deswegen ist der Studienbeginn für mich nicht so ein kompletter Neubeginn wie für viele der anderen. Allerdings ist es wirklich schade, dass das Zwischenmenschliche so komplett fehlt. In meiner Kindheit habe ich mir das Studium immer etwas romantischer vorgestellt, so wie in amerikanischen Filmen, man lernt viel Neues kennen, tauscht sich aus, geht auch mal feiern und wird irgendwann Teil einer Gemeinschaft. Jetzt hocke ich jeden Tag stundenlang vor meinem Laptop und bin eigentlich immer zu Hause. Meine Generation hat nun aber leider Pech gehabt.

Ich könnte zwar in eine der Bibliotheken gehen, wenn ich mich vorher anmelde, aber der Aufenthalt ist dort auf zwei Stunden begrenzt. Dafür eine lange Anfahrt von 40 Minuten einzuplanen, lohnt sich für mich gerade nicht.

Ich blicke trotzdem hoffnungsvoll nach vorne. Vor den Prüfungen habe ich keine Angst, weil ich mich in der derzeitigen Situation ganz gut darauf vorbereiten kann. Und vielleicht klappt es ja, dass wir im Frühjahr ein hybrides Semester erleben können.

Lena Rückerl (Quelle: Marlene Bücker)
Bild: Marlene Bücker

Lena, 18, studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaft mit Nebenfach Politikwissenschaft an der FU Berlin

Ich wollte nach der Schule eigentlich für ein Jahr nach Aserbaidschan gehen. Das wurde natürlich wegen Corona abgesagt. Deswegen habe ich mich spontan für das Studium entschieden. In Berlin kannte ich bis vor ein paar Wochen niemanden. Jetzt wohne ich zwar in einer WG, aber es ist schon verrückt, dass ich sonst niemanden habe, den ich treffen kann.

Wir haben tatsächlich 100 Prozent des Unterrichts online. Manche Veranstaltungen sind live, andere sind asynchron, wurden also aufgezeichnet. Das sind dann entweder eine Art Folien-Podcasts, so vertonte Powerpoint-Präsentation oder Videos. Das hat Vorteile. Ich kann zum Beispiel mal anhalten und es mir nochmal anhören.

Ich habe totale Stimmungsschwankungen, was ich normalerweise nicht habe.

Ob eine Veranstaltung gut ist, hängt aber auch stark von den Dozierenden ab. Manche machen das extrem gut. Sie zeigen viele Hilfsmöglichkeiten auf, verlinken hier noch was und machen einfach sehr gute Videos. Andere nuscheln in das Mikrofon, so dass man eigentlich gar nichts versteht. Aber da weiß ich auch nicht, ob es in Päsenz besser wäre.

Die erste Woche war total chaotisch. Manche waren noch nicht immatrikuliert, hatten deshalb keinen Zugriff auf das Netzwerk und konnten dann nicht an den Vorlesungen teilnehmen oder mussten sich Links von den Kommilitonen schicken lassen. Es gab auch einen Tag, an dem unsere Videoplattform komplett zusammengestürzt ist. Da hieß es schlicht: "Tja, Sie haben jetzt halt keine Vorlesung".

Im Vergleich zur Schule ist das Format Studium bereits eine Herausforderung, weil man sich alles selbst erarbeiten muss. Da war der Einstieg auf diese Weise schon ein bisschen totalüberfordernd. Bisher hatte ich allerdings Glück, dass bei mir sehr viel funktioniert hat, dass ich mit den Computerprogrammen gut klargekommen bin, dass ich gutes Internet habe. Ich finde, Google löst 80 Prozent aller Probleme. Wenn man nach irgendeinem Begriff sucht plus "FU Berlin", klären sich Fragen meist schnell. Wir haben auch wirklich sehr gute technische Tutorials, die etwa die Installation aller möglicher Programme Schritt für Schritt erklären. Da merkt man, dass im letzten Semester bereits sehr viel ausprobiert wurde und daraus Lehren gezogen wurden.

Mitte Oktober war uns noch in Aussicht gestellt worden, dass wir die Hälfte der Veranstaltungen in Präsenz erleben können. Aber mich persönlich schockt inzwischen nicht mehr viel. Das ist jetzt eben so, das Abitur war auch schon so. Meine Situation ist sowieso nicht so schlimm. Das ist okay, aber natürlich nicht cool.

Allerdings merke ich, dass es von meiner Tagesform abhängt, wie ich mir den Rest des Semesters vorstelle. Manchmal bin ich optimistisch und denke, im nächsten Sommer wird es wieder besser und gerade ist alles machbar, es macht Spaß, ist interessant. Und an manchen Tagen zieht's mich richtig runter und ich denke: "Boah, alles irgendwie doof." Ich habe totale Stimmungsschwankungen, was ich normalerweise nicht habe. Wenn man sehr viel für sich alleine am Bildschirm ist, macht einen das auf Dauer schon fertig. Es ist schwierig sich zu motivieren, wenn es keinen interessiert, ob ich das jetzt mache oder nicht; ob ich mir jetzt die Vorlesung ansehe oder nicht. Wenn ich mit meinen Schulfreunden aus der Oberpfalz telefoniere, die jetzt in anderen Städten studieren, merke ich, dass es denen ähnlich geht. Viele sind ein bisschen resigniert und kämpfen mit Selbstzweifeln.

Gesprächsprotokolle: Oliver Noffke

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