Interview | Berliner Intensivkrankenschwester - "Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll"

Mo 28.12.20 | 19:51 Uhr
Symbolbild - Pflegekräfte versorgen auf einer Intensivstation einen Covid-19-Patienten, der im künstlichen Koma liegt und beatmet wird. (Bild: dpa/Marijan Murat)
Audio: Inforadio | 28.12.2020 | Interview Anja Voigt | Bild: dpa/Marijan Murat

Die Menschen in den Krankenhäusern arbeiten derzeit am Limit. Lange sei das so nicht mehr zu stemmen, sagt Anja Voigt, Intensivkrankenschwester in Neukölln. Die Corona-Impfung sei ein Hoffnungsschimmer.

Anja Voigt ist Betriebsrätin und Krankenschwester auf der Intensivstation des Vivantes-Klinikums in Berlin-Neukölln.

rbb: Frau Voigt, wie waren die Feiertage auf der Intensivstation Ihres Krankenhauses?

Anja Voigt:
Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich echt erschossen bin. Es war wirklich wahnsinnig viel zu tun – unglaublich viel Arbeit und außergewöhnlich viel für Feiertage.

Bekommen Sie auch immer mehr Covid-Patienten auf ihre Station?

Die Zahlen steigen bei uns insgesamt im ganzen Haus. Nicht nur auf der Intensivstation, sondern auch auf den normalen Stationen. Wir haben ständig steigende Zahlen. Ich habe große Hoffnungen, dass durch die Impfungen etwas passiert. Wir können das nicht mehr lange stemmen.

Die Krankenhäuser haben vor Weihnachten auf Notbetrieb umgeschaltet. Heißt das, dass Sie Patienten abweisen?

Nein, das machen wir nicht. Wir versuchen jeden zu behandeln. Manchmal müssen wir Patienten verlegen in andere Krankenhäuser, weil wir einfach keine Kapazitäten mehr haben. Aber innerhalb Berlins ist das alles immer noch möglich. Aber es ist wirklich knirsch und es ist an der Grenze. Das Problem ist jetzt auch zunehmend, dass Personal ausfällt, weil es krank ist. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Rechnen Sie damit, dass es im Januar noch schlimmer wird?

Wenn ich mir anschaue, was an den Feiertagen auf den Straßen los war - obwohl es eigentlich einen Lockdown gibt – dann befürchte ich Schlimmstes. Ich fand, es war voll, wenn ich vom Dienst kam. Alle fuhren zu ihren Verwandten, nehme ich mal an, und deshalb sehe ich da ein bisschen schwarz. Ich bin echt ein optimistischer Mensch, aber nach diesen Feiertagen und nach dieser Belastung bin ich maximal erschöpft und kann eigentlich auch nicht mehr. Und wenn ich mir vorstelle, die Situation geht noch ein, zwei Monate so weiter, dann finde ich das furchtbar.

Haben Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen Angst, dass irgendwann Fehler passieren?

Ich hoffe natürlich nicht, dass Fehler passieren. Aber man kann das ja nicht ausschließen, wenn man ständig unter so einer Belastung, unter Stress und unter Zeitdruck arbeitet. Wir versuchen alle immer ordentlich zu arbeiten. Aber es ist ja eigentlich schon ein Fehler, wenn man nicht mehr alles an Arbeit schaffen kann. Wenn man nicht nach Hause gehen kann und sagen kann "Ich habe alles geschafft". Da kommt alles zusammen: Die zeitintensive Betreuung von Covid-Patienten und all die anderen Patienten, die betreut werden müssen. Ich bin Pflegekraft und wir arbeiten am Limit wie auch die Ärzte.

Sie haben gesagt, dass die Impfung jetzt für Sie ein kleiner Lichtblick ist. Dann gehe ich mal davon aus, dass Sie sich auch impfen lassen werden. Wie groß ist ein insgesamt die Impfbereitschaft unter den Beschäftigten in Ihrer Klinik?

Die Impfbereitschaft unter den Beschäftigten ist bei uns groß. "Lieber heute als morgen", hat gestern eine Kollegin zu mir gesagt. Ich glaube, dass das für uns alle so dieser Hoffnungsschimmer am Horizont ist.

Zum Jahreswechsel ist viel Platz für Wünsche und Hoffnungen. Was sollte Ihrer Meinung nach die Politik aus den Pandemie-Zeiten mitnehmen? Was muss sich an unserem Gesundheitswesen ändern?

Es muss grundlegend anders finanziert werden. Dann gäbe es die Probleme nicht, die wir heute haben. Wir brauchen unbedingt mehr Personal. Da muss endlich etwas passieren. Das ist das A und O.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung des Interviews, das Inforadio mit Anja Voigt geführt hat. Die Fragen stellt Sabine Dahl. Das vollständige Gespräch können Sie oben im Beitrag hören.

Sendung: Inforadio, 28.12.2020, 06:45 Uhr

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