Interview | Corona-Streit in der Familie - "Zuhören, Ordnung reinbringen, Fakten checken"

So 20.12.20 | 12:43 Uhr
Ein Mann trägt während einer "Querdenken"-Kundgebung einen Aluhut mit einem Schild, auf dem "Verschwörungstheoretiker" steht (Quelle: dpa/Sebastian Gollnow)
Audio: Inforadio | 18.12.2020 | Interview mit Mirko Bode | Bild: dpa/Sebastian Gollnow

Corona-Streit geht mitunter bis in die Familien hinein: Impfen oder nicht? Maske oder nicht? Mirko Bode arbeitet als Berater bei der Organisation "Der Goldene Aluhut", die helfen will, wenn Familien durch Verschwörungstherorien oder Sektendenken unter Druck geraten.

rbb: Herr Bode, was passiert in dieser Pandemie-Zeit? Auf einmal denken Menschen ganz anders. Wie kommt das bei Ihnen in der Beratungstätigkeit an?

Mirko Bode: Seit Corona bekommen wir unheimlich viele Anfragen. Es ist eine deutliche Steigerung. Viele Menschen sind verunsichert und versuchen, dieses abstrakte Geschehen - ein Virus hält die Welt in Atem - realitätsnah in eine Geschichte zu packen, die für sie einen Sinn ergibt. Und dann landen viele nicht bei der Wissenschaft, sondern bei Verschwörungsmythen oder Verschwörungsmärchen, die das Ganze halt irgendwie plausibel erklären. Und dann kommt es zu Konfliktsituationen natürlich mit dem Umfeld.

Was passiert in den Gesprächen unter Familien?

Das treibt Familien schon auseinander. Es fängt mit der Frage an, ob das Virus in einem Labor entstanden ist oder nicht. Mittlerweile gab es dazu eindeutige Studien von unterschiedlichsten Wissenschaftlergruppen, die das erforscht haben - aber es klingt natürlich viel spannender. Wir kennen das aus Hollywood-Filmen: Es muss immer einen Grund geben, warum etwas passiert, und das wird dann in die Realität bewusst oder unbewusst übertragen. Das sorgt für ein Erklärungsmodell, was aber in Konflikt zum Weltgeschehen steht. Dann reiben sich die Leute untereinander, weil sie versuchen, ihr Erklärungsmodell den Familienmitgliedern nahezubringen.

Woran erkennt man das? Wenn so ein Thema am Frühstückstisch beim Blick in die Zeitung aufkommt und gesagt wird: 'Das stimmt doch alles gar nicht'?

Eine gesunde Skepsis ist natürlich völlig normal. Wenn man aber dann die Vermutung hat, dass alles instruiert ist, dass Angela Merkel bei jeder Zeitschrift, bei jedem Radiosender morgens persönlich anruft, um zu diktieren, was dieser Sender oder diese Zeitung berichten darf und was nicht, dann ist man natürlich schon irgendwo tief in diesem Kaninchenbau gefangen.

Kann man dann noch miteinander reden?

Schwierig. Wir bekommen sehr viele Anfragen - quer durch alle Gesellschaftsschichten -, dass Vater, Ehemann, Bruder, Cousin oder Kind sich auf einmal total seltsam äußert. Diese gemeinsame Basis, das, was unsere Demokratie ausmacht - der Konsens - ist irgendwann nicht mehr gegeben, wenn es halt nicht nur ein Skeptizismus ist, sondern ein komplettes Leugnen von bestimmten basisdemokratischen Werten.

Kann das auch zu Wut gegen den eigenen Partner oder die eigenen Kinder führen?

Das kann durchaus passieren. Das wird uns sehr oft berichtet, dass auch die Familienmitglieder, wenn die versuchen, dagegen zu argumentieren, als "Schlafschafe" oder "Mainstream-Medien-Hörige" bezeichnet werden. Das kann die partnerschaftliche oder familiäre Beziehung besonders belasten.

Wie kommt man aus solchen Mustern wieder raus, wenn man auf einmal die Demo-Konfrontation am eigenen Küchentisch hat?

Natürlich muss man erst mal diesen Menschen zuhören. Erstmal gucken, woran er glaubt. Nicht jeder, der ein Video oder einen Kettenbrief bei Whatsapp teilt, ist gleich ein Verschwörungsgläubiger. Wenn es aber falsche Fakten sind, sollte man am besten Notizen machen und versuchen, mit der Person einzeln die Fakten abzuarbeiten. Meistens sind diese Leute emotional sehr erregt, sie sind sehr gefühlsmäßig unterwegs, und dann bricht es aus ihnen heraus. Sie wollen viel erzählen, die komplexen Zusammenhänge darstellen. Mit diesen Menschen sollte man versuchen, Ordnung reinzubringen und nacheinander zu überlegen, ob es überhaupt plausibel ist.

Aber das klingt jetzt so sehr ruhig. Wenn man erst mal angegangen ist, dann ist man vielleicht selber auch erregt und muss sich selber auch erst einmal wieder abkühlen.

Das ist eine unheimlich schwere Gratwanderung, dass man da sich nicht mitreißen lässt. Aber sobald wir anfangen, ebenfalls emotional zu werden, schaukelt sich das hoch. Das kennt man aus normalen Streitsituationen am Arbeitsplatz oder mit dem Partner oder Freunden - wenn es gar nicht mehr um die eigene Sache geht, sondern sich in Nebenkriegsschauplätzen verliert.

Was raten Sie den Menschen in solchen Situationen?

Man sollte sich erstmal runterbringen, eine Pause einlegen oder alles auf den nächsten Tag vertagen und dann noch mal neu starten. Es ist unheimlich schwierig und es ist, muss ich ehrlich sagen, teilweise auch hoffnungslos, wenn die Leute schon sehr, sehr tief in diesem Kaninchenbau der Verschwörungsmythen drin sind.

Wir haben eine Zeit, wo Familien jetzt noch mehr Zeit als normal miteinander verbringen - jetzt sogar verordnet. Wenn man in so einer vertrackten Situation drinsteckt: Wäre es auch eine Möglichkeit, etwas zusammen zu machen und sich zu erinnern, dass man Gemeinsamkeiten hat?

Natürlich. Jeder sollte versuchen, den anderen nicht abzuschreiben, sondern eine helfende Hand reichen. Wir müssen uns das so vorstellen, diese Verschwörungsmythen sind wie eine völlig neue Form von Sekte. Vorher waren Sekten immer eine geschlossene Gesellschaft, die sich auf irgendein Buch berufen haben. Durch Internet-Videos, die sehr schnell und sehr kostengünstig erstellt werden können, kommen Menschen, die sich das anschauen, sehr schnell in so einen Dauerfeuer. Das Gehirn kann die Widersprüche nicht mehr aufarbeiten und selber logisch erklären, sondern man wird emotional abgeholt und ist sehr erregt. Darunter leidet halt einfach das logische Denken. Und natürlich ist es wichtig, mit diesen Menschen auch Zeit zu verbringen, vielleicht gemeinsame Aktivitäten. Einfach um diese Zeit im Internet ein bisschen einzuschränken.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Mirko Bode führte Christian Wildt, Inforadio.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das komplette Interview können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Inforadio, 18.12.2020, 10:45 Uhr

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