Interview | Intensivpflegerin in Berlin - "Wir müssen alle durchhalten"

Do 17.12.20 | 14:46 Uhr
Symbolbild: Eine Covid-Patient wird auf einer Intensivstation behandelt (Quelle: dpa/Bodo Schackow)
Video: Abendschau | 16.12.2020 | Iris Marx / Studiogast: Anja Voigt | Bild: dpa/Bodo Schackow

Derzeit werden in Berlin rund 370 Covid-Patienten intensivmedizinisch behandelt - drei Viertel davon werden beatmet. Ab dem nächsten Jahr soll sich ein Pfleger um je zwei Patienten kümmern. Die Berliner Intensivpflegerin Anja Voigt hält dies für unrealistisch.

Anja Voigt ist Intensivpflegerin am Vivantes-Klinikum in Berlin-Neukölln. Im Interview mit dem rbb spricht sie über die Lage auf der Station für Covid-19-Patienten.

rbb: Frau Voigt, ab 2021 soll eine Pflegekraft sich auf einer Intensivstation um je zwei Patienten kümmern. Ist das realistisch?

Anja Voigt: Ab 2021 auf keinen Fall. Nicht bei dieser Pandemie-Lage, nicht bei dieser dünnen Personaldecke derzeit. Ich sehe die Zahl eher bei drei oder vier Patienten pro Pflegekraft. So ist die Lage bereits bei vielen.

Wie kann man sich die Betreuung eines Covid-Patienten vorstellen? Ist das ständige Alarmbereitschaft? Oder hat man die meiste Zeit Ruhe, wenn er beatmet werden muss?

Nein, eigentlich nicht. Man hat acht Stunden mit diesem Patienten zu tun. Man muss sich vorstellen, das sind Menschen, die nichts mehr alleine machen können. Sie können sich nicht waschen, alleine essen oder Medikamente einehmen. Bei den Covid-Patienten kommt erschwerend hinzu, dass ich sie regelmäßig in die Bauchlage lagern muss. Das ist extrem personalaufwändig. Ich bin eigentlich acht Stunden mit diesem Patienten beschäftigt.

Seit Wochen steht die Corona-Ampel, was die Intensivbetten angeht, auf Rot. Das ist der externe Blick. Wie sieht es bei Ihnen direkt aus? Ist das noch zu schaffen?

Es ist noch zu schaffen – mit großen Anstrengungen. Wir haben deutlich mehr zu tun, als noch vor einem Jahr, sage ich mal. Noch geht es. Aber die Zahl der Covid-Patienten steigt unaufhörlich. Wir haben aber auch noch viele andere Patienten – also ganz normale Intensivpatienten. Ich denke, wir arbeiten momentan alle am Limit. Am häufigsten höre ich von meinen Kollegen: 'Ich bin erschöpft, ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, wie lange diese Situation noch so weitergehen soll.'

Was geht in Ihnen vor, wenn Menschen sagen, sie hätten keine Lust mehr, es werde ihnen zuviel und sie, beispielsweise in der Bahn oder im Bus, keine Maske tragen?

Es ärgert mich. Ich kann es gar nicht anders beschreiben. Ich habe auch keine Lust mehr und ich kann auch nicht mehr. Aber ich kann auch nicht einfach meine Maske absetzen und sagen, jetzt ist Schluss und ich betreue einfach keine Patienten mehr. Wir müssen alle durchhalten, wie ich mit meinen Kollegen auf der Station.

Und ich bitte die Menschen da draußen, das im tagtäglichen Leben auch zu tun. Und ich finde eine Maske aufzusetzen, ist nicht so schwer und nicht lebenseinschränkend. Ich laufe acht Stunden mit einer Maske rum und ich kann sagen, es geht. Insofern lege ich auch allen ans Herz, Abstand zu halten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Anja Voigt führte Eva-Maria Lemke, Abendschau.

Sendung: Abendschau, 16.12.2020, 19:30 Uhr

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