Interview | Pflegeheim-Leiter zu Corona-Regeln - "Auch Angehörige zu testen, würde uns kolossal überfordern"

Mo 21.12.20 | 06:12 Uhr
Symbolbild: Ein alter Mann sitzt allein an einem Tisch eines Berliner Seniorenheims, aufgenommen am 27.04.18 (Quelle: imago images / Florian Gaertner/photothek.net).
Audio: rbb 88.8 | 18.12.2020 | Interview mit Alexander Blum | Bild: imago images / Florian Gaertner/photothek.net

Besucher dürfen Berliner Senioreneinrichtungen nur noch dann betreten, wenn sie ein negatives Corona-Testergebnis vorweisen können. Die Umsetzung dieser Regeln stellt viele Heime vor Probleme, sagt Alexander Blum, Leiter eines Seniorenzentrums in Hohenschönhausen.

rbb: Herr Blum, wie ist die Situation in Ihrer Caritas-Pflegeeinrichtung angesichts der nun für Besucher verpflichtenden Schnelltests?

Alexander Blum: Die Verordnung des Senats sieht vor, dass jeder Besucher der Einrichtungen entweder einen tagesaktuellen Antigen-Schnelltest vorlegen soll oder einen PCR-Test, der nicht älter als 24 Stunden ist. Wir sehen das mit sehr gemischten Gefühlen. Wir finden es sehr traurig, dass wir solche Einschränkungen hinnehmen müssen. Für unsere Bewohner der Einrichtung war eigentlich unser oberstes Ziel, die Einrichtung offenzuhalten.

Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass sich der Senat es einfach gemacht hat oder ob man sagen soll, dass es doch sehr verantwortungslos ist, diese große, gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf die Pflegeeinrichtungen abzuwälzen - nämlich dass Aufgaben der gesundheitlichen Dienste, die Angehörigen zu testen, jetzt von den Pflegeeinrichtungen übernommen werden sollen. Das sehen wir deutlich anders. Vor allem haben wir überhaupt nicht die personellen Ressourcen dafür. Das würde uns kolossal überfordern, das können wir niemals in der Realität abbilden. Letztendlich sind die Leidtragenden die Bewohner und die Angehörigen, die sich dann sehr, sehr eingeschränkt an den Festtagen sehen können.

Also sind die Schnelltests selbst gar nicht das Problem? Haben Sie davon ausreichend?

Wir haben die Schnelltests schon, aber nur in sehr limitierter Anzahl. Die Tests reichen für die Testung unserer Mitarbeiter, die alle zwei Tage getestet werden müssen, und für die Testung unserer Bewohner. Aber wenn wir jetzt noch im großen Stil auch Angehörige testen würden, würden wir an unsere Kapazitätsgrenzen kommen. Aber man muss ganz klar sagen: Das Hauptproblem ist unsere personelle Situation.

Wir können die Strukturen nicht bieten, die da gefordert sind. Dass unsere Mitarbeiter die Angehörigen unserer Bewohner testen, wird in der Praxis nicht funktionieren. Man muss da auch wirklich sehr deutlich sagen, dass der Senat in unseren Augen sehr verantwortungslos gehandelt hat. Denn er lässt die Pflegeeinrichtungen und das Personal damit ziemlich im Stich und allein auf weiter Flur.

Rufen bei Ihnen nun viele Angehörige an und sind verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie nun an Schnelltests kommen können?

Natürlich rufen die ersten an, weil sie es aus den Medien erfahren haben. Wir raten dazu, die Berliner Testzentren aufzusuchen, um dort Schnelltests durchführen zu lassen. Wenn die Angehörigen andere Möglichheiten haben, an Schnelltests oder PCR-Tests zu kommen, ist das natürlich auch richtig. Sie können auch einen Schnelltest mitbringen und sich in unseren Einrichtungen testen, ein Mitarbeiter kann das Testergebnis dann ablesen.

Kann man überhaupt als normale Person in die Apotheke gehen und sich einen Schnelltest besorgen?

Bei uns kann man keinen Schnelltest kaufen; in den Apotheken gibt es solche Tests [für medizinisches Personal; Anm. d. Red.], man kann sie sicherlich auch bestellen. Ein Stück weit müssen wir auch auf die Eigeninitiative der Angehörigen setzen, sich da selbst zu informieren, auch wenn wir immer gerne beraten. Da stoßen wir letztendlich an unsere Grenzen.

In Brandenburg soll es mobile Teams geben, die in Pflegeeinrichtungen die Schnelltests abnehmen können. Wie sieht es in Berlin aus?

Es gibt auch in Berlin diese Teams. Wenn ich richtig informiert bin, sind es zwölf Teams, die für 300 Pflegeeinrichtungen in ganz Berlin zuständig sein sollen. Bei der Differenz hört man ja schon, dass das nie im Leben aufgehen kann. Ich habe für unsere Pflegeeinrichtung schon Anfragen rausgeschickt, damit diese Testteams uns an den Feiertagen unterstützen. Aber ich weiß nicht, wie das ausgehen wird.

Überlegen Sie parallel, wie Sie es personell doch noch einrichten zu können, eine Art Testzentrum an der Pforte, beispielsweise mit Medizinstudenten, hinzubekommen, um Angehörige zu testen?

Wir spielen alle möglichen Szenarien für uns durch und überlegen, wie man die Situation noch bewerkstelligen kann. Aber im Moment ist es so, dass wir so schnell keine tragbare Lösung auf die Beine stellen können und diese Tests leider nicht durchführen können.

So ein Test kostet bis zu 70 Euro. Müssen die Angehörigen das aus eigener Tasche zahlen?

Sicherlich kosten die Tests in den Testzentren Geld, die Schnelltests sind günstiger als die PCR-Tests - das würde ja bei uns reichen. Die Krankenkassen werden selber damit überfordert sein, wenn jetzt da Anfragen kommen. Ich glaube, man hat bei der ganzen Verordnung bezüglich der Testpflicht für Besucher überhaupt nicht daran gedacht. Die Einrichtungen tun das wirklich nicht aus bösem Willen. Wir können es einfach nicht leisten.

Was wünschen Sie sich jetzt von der Gesundheitsverwaltung den Gesundheitsämtern, damit die Verordnung, so wie sie jetzt aussieht, möglichst gut umgesetzt werden kann?

Das Beste, was die Senatsverwaltung tun könnte, wäre den Pflegeeinrichtungen ausreichend Personal zur Verfügung zu stellen, das die Testung der Besucher übernehmen könnte. Ich glaube, das ist ein Wunsch, den momentan alle Pflegeinrichtungen haben, weil alle damit überfordert sind und der Senat überhaupt nicht im Sinne dieser Einrichtungen gehandelt hat.

Tauschen Sie sich mit anderen Pflegeheimbetreibern aus? Hören Sie da Ähnliches?

Man hört momentan aus jedem Pflegeheim, jeder Einrichtung, egal welcher Träger das ist, von derselben Situation: Dass da eine Flut von Informationen ist, die bearbeitet und umgesetzt werden muss - und das bei der ohnehin schon knappen Personalsituation. Es herrschen eine sehr große Anspannung und ein sehr hohes Stresslevel, schon seit dem Beginn der Pandemie im Frühjahr.

Können Sie - was den Infektionsschutz angeht - nachvollziehen, dass die Gesundheitsverwaltung diese Regeln erlassen hat?

Es ist auf jeden Fall eine sinnvolle Maßnahme, Infektionsketten mit Schnelltests zu entdecken, um dann schnell reagieren zu können. Die Maßnahme kann ich nachvollziehen, aber sie kann halt so nicht umgesetzt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Alexander Blum sprach Anke Michel für rbb 88.8. Dieser Beitrag ist redaktionell bearbeitet. Das Originalinterview können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Aufmacherfoto nachhören.

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