Bescheinigungen gegen Maskenpflicht   - Wie ein falscher Kreuzberger Arzt Geschäfte mit Fake-Attesten macht

Sa 19.12.20 | 06:00 Uhr | Von Torsten Mandalka
Mit Mund-Nasen-Schutz verlässt ein Mann am 10.11.2020 eine S-Bahn am Bahnhof Alexanderplatz. (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Audio: Inforadio | 18.12.2020 | Torsten Mandalka | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Auf dubiosen Internetseiten bieten falsche Ärzte Fake-Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht an. Doch auch einige echte Mediziner machen Geschäfte mit falschen Attesten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Von Torsten Mandalka

Sie gefährden andere und schaden denen, die wirklich keine Maske tragen können: Attest-Betrüger, die mit gefälschten oder Gefälligkeits-Attesten unterwegs sind, um keine Maske tragen zu müssen. Auf diese Weise beteiligen sie sich als Spreader an der Verbreitung des Coronavirus und säen Misstrauen gegen die diejenigen, die keine Maske tragen können, weil sie etwa ein Herz- oder Lungenleiden haben. Trotzdem hat sich das Ausstellen von entsprechenden Attesten nach Informationen von rbb24 Recherche in den letzten Wochen und Monaten zu einem richtigen Geschäft entwickelt.

Bis vor einigen Tagen waren Fake-Atteste zum Beispiel über die Webseite "Freiheit ohne Maskenzwang" erhältlich. Ein "Dr. med. Wolfgang Rösner" präsentierte sich dort mit Foto als aufgeschlossener, sportlicher Mitt-Fünfziger, der sich als homoöpathisch praktizierender Arzt ausgibt. "Corona ist kein Monster", schrieb er, alle seine Patienten seien wieder genesen und seit einigen Wochen hätten er und seine Kollegen keine an Corona erkrankten Patienten "in meiner täglichen Arbeit" gesehen.

Screenshot (Quelle: www.freiheit-ohne-maskenzwang.de)
Die Webseite von "Dr." Wolfgang Rösner | Bild: www.freiheit-ohne-maskenzwang.de

Fake-Atteste von einem nicht existierenden Arzt 

Mit der täglichen Arbeit ist das so eine Sache: Der geht "Dr. Rösner" angeblich in seiner Praxis am Kottbusser Tor in Berlin nach. Akribisch beschreibt er auf seiner Webseite, wie man dorthin kommt. Doch unter der angegebenen Adresse ist nur ein schäbiger Aufgang zu einem in die Jahre gekommenen Hochhaus zu finden. Von einer Arztpraxis weit und breit keine Spur. "Hier gibt es keinen Arzt", sagt der Frisör, der im Durchgang seinen Salon hat. Der Fischhändler nebenan ergänzt: "Ich bin seit 18 Jahren hier. Seitdem hat es hier noch nie eine Arztpraxis gegeben." Bei der Berliner Ärztekammer kennt man einen Arzt dieses Namens auch nicht.

Eingang zum Haus der Praxis (Quelle: rbb/Thorsten Mandalka)
Eingang zur angeblichen Praxis in Berlin-Kreuzberg | Bild: rbb/Thorsten Mandalka

Im Winter – so "Dr. Rösner" auf seiner Webseite – werde man ihn in Berlin nicht finden. Da residiere er auf Mallorca, in Palma, im Haus der Clinica Picasso. Doch auch dort ist keine Praxis von "Dr. med. Wolfgang Rösner" zu finden. Es gibt einen Wolfgang Rösner in Rio de Janeiro, der dort die Webseite "menshealth50plus" betreibt und das gleiche Foto eingestellt hat, wie es auch auf "Freiheit ohne Maskenzwang" zu finden war. Mittlerweile ist auch "menshealth50plus" vom Netz.

Kollegen von "t-online.de" haben den Rösner aus Rio noch fragen können: Mit der Fake-Webseite in Deutschland will er nichts zu tun haben. Sie haben auch eine vergleichbare Fake-Webseite entdeckt, die auf eine vermeintliche psychiatrische Praxis "Seelenfrieden" in Freiburg verweist. Beide Fake-Webseiten werden nach rbb24-Recherchen über einen Server in den Niederlanden betrieben.

Ein betrügerisches Geschäftsmodell

Dem Twitter-User @danny_mst (Identität ist der Redaktion bekannt) ist es gelungen, das Phantom "Dr. Rösner" zu kontaktieren. Er hat ein Attest von ihm bekommen, nachdem er auf seiner Webseite im Multiple-Choice-Verfahren angekreuzt hatte, er leide unter "psychosomatischen Beschwerden beziehungsweise Hyperkapnie" (erhöhter Gehalt von CO2 im Blut), wonach er nun "von der Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz im Sinne der Corona-Verordnung zu tragen, befreit" sei. Er bekam auch eine Rechnung – über 61,50 Euro. Angesetzt hatte "Dr. Rösner" den 3,5-fachen Satz aus der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). In Wirklichkeit beträgt der maximal 14,82 Euro.

Im Fall von @danny_mst hat das Geschäftsmodell nicht funktioniert: Er zahlte natürlich nicht. Anfragen dazu, wie viele Patienten "Dr. Rösner" auf die gleiche Weise "telemedizinisch" beraten und wie viel er dadurch eingenommen habe, beantwortete der Betreiber der Webseite nicht.

Die dort angegebene Mail-Adresse ist inzwischen auch nicht mehr zu erreichen. Die Ärztekammer hat diesen an sie weiter geleiteten Fall inzwischen der Staatsanwaltschaft übergeben. Die bestätigt, dass sie wegen der "Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse" (§ 278 StGB) ermittle – Tätern droht eine Geld- oder Haftstrafe bis zu zwei Jahren. Übrigens: Solche Atteste zu verwenden, steht nach § 279 auch unter Strafe.

Ermittlungen laufen auf Hochtouren

Strafe droht auch richtigen Ärzten, die Atteste ohne wirkliche Indikation ausstellen. Im bayerischen Passau wurden deswegen jetzt Praxis- und Privaträume durchsucht. Die Berliner Ärztekammer führt mehr als 100 Verfahren standesrechtlicher Art in solchen Fällen. Auch bei der Berliner Staatsanwaltschaft gibt es noch weitere anhängige Ermittlungsverfahren. Einschlägige Listen von Ärzten, die Atteste ausstellen, konnte man auf den Webseiten der "Ärzte für Aufklärung" oder der "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie" (MWGFD) suchen. Mittlerweile finden sich dort nur noch die Unterstützerlisten, unsere Mail-Anfragen bei den wenigen Ärzten auf diesen Listen wurden jetzt – wenn überhaupt – nur sehr vorsichtig beantwortet.

Bei beiden Organisationen übrigens tummeln sich etwa im Vergleich zur Gesamtzahl der rund 23.000 praktizierenden Ärzte in Berlin nur maximal zwei Dutzend auf den Listen dieser Corona-Kritiker. Einige von ihnen sind in den Ärzteverzeichnissen noch nicht einmal auffindbar. Stattdessen gibt es etwa bei den "Ärzten für Aufklärung" viele Heilpraktiker, auch eine Astrologin und eine Hundephysiotherapeutin. Bei den MWGFD gibt es einen besonderen Unterstützer: Grober U., den Hellseher.

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Beitrag von Torsten Mandalka

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