Datenauswertung - Weniger Frühgeburten während des ersten Corona-Lockdowns

Fr 04.12.20 | 06:13 Uhr | Von Dominik Wurmig
Ein zu früh geborenes Baby liegt in einem Inkubator. (Quelle: imago images)
Bild: Bild: imago images

Während des ersten Corona-Lockdowns sank die Zahl der Frühgeburten um rund sieben Prozent. Damit schafft der Lockdown, was jahrelang durch viele Bemühungen nicht gelingen wollte. Eine Gruppe von Schwangeren hat davon besonders profitiert. Von Dominik Wurnig

Nicht alles ist schlecht durch Corona: Während des ersten Lockdowns sank die Zahl der Frühgeburten. Das zeigt eine Auswertung der Daten von Millionen AOK-Krankenversicherten durch Wido, das Wissenschaftliche Institut der AOK.

Im März und April 2020 gab es demnach deutschlandweit rund sieben Prozent weniger Frühchen - also Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen - als durchschnittlich im gleichen Zeitraum 2017 bis 2019. Der deutlichste Rückgang mit minus zehn Prozent zeigte sich bei den späten Frühgeburten zwischen der 34. und der 36. Schwangerschaftswoche. Bei den ganz frühen Frühgeburten ist die Zahl dagegen gestiegen. Insgesamt ist dort die Fallzahl aber sehr gering, weshalb die Ergebnisse auch statistische Ausreißer sein könnten.

"Der Effekt ist vermutlich gut erklärbar, weil durch Corona das Bewusstsein gestiegen ist, dass Händewaschen und Hygiene besonders wichtig sind. So konnten viele Schwangeren Infektionen vorsorgen," sagt Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Frauenklinik am Berliner St.-Josephs-Krankenhaus. "Späte Frühgeburten werden vor allem durch Stress oder Infektionen verursacht. Auf beides hat sich der Lockdown sicher positiv ausgewirkt."

Lockdown schafft, was jahrelang nicht gelang

Frühgeburten sind eine der Hauptursachen für Kindersterblichkeit. Im langjährigen Schnitt kommt etwa jedes zehnt Kind zu früh - in den vergangenen Jahren ist deren Anteil sogar leicht angestiegen. Trotz großer Bemühungen - etwa durch Ultraschall-Feindiagnostik oder engmaschiger Überwachung der Schwangeren durch die Frauenärzte - gelang es zuletzt nicht, die Zahl der Frühgeburten zu reduzieren. Dass der Corona-Lockdown einen solch positiven Effekt auf Schwangere und Kinder hat, ist eine medizinische Sensation.

"Infolge von Corona sind auch zum Beispiel die Influenza-Zahlen implodiert. Auch wir in der Kinderklinik merken, dass seit Beginn der Pandemie die Zahl der häufigen Infekte gesunken ist", sagt Rainer Rossi, der am Klinikum Neukölln in der Kinderklinik eine der größten Neugeborenen-Stationen in Berlin leitet. "Dadurch gibt es wohl auch weniger Infekte bei Schwangeren, die zu einer Frühgeburt beitragen können."

"Manchmal ist weniger Medizin auch gut"

Es gibt auch eine ungewöhnliche Erklärung: Die Zahl der Arztbesuche sowie der Krankenhausaufenthalte sank während des ersten Lockdowns. "Man könnte auch spekulieren, ob der Rückgang der Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte gut für Schwangere war. Manchmal ist weniger Medizin auch gut: weniger Kontrollen und weniger Detailbefunde, die eine medizinische Maßnahme nahelegen, könnte zur Zurückhaltung beitragen. Wenngleich schwerwiegende Erkrankungen in der Schwangerschaft natürlich auf fortlaufend konsequent behandelt wurden", vermutet Rossi.

Konkrete Empfehlungen lassen sich bisher aus der Analyse nicht ableiten. Dafür fehlt in jedem Fall noch weitere Forschung. So wurde bisher etwa noch nicht ausgewertet, welchen Effekt Krankenstände oder ein etwaiger vorzeitiger Mutterschutzbeginn hatten.

Internationaler Trend

Die Zahl aus Deutschland stehen im Einklang mit Analysen aus Irland und Dänemark [nytimes.com] sowie einer umfassenden niederländischen Registerstudie, die auch in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" erschienen ist. In der quasi-experimentellen Studie heißt es, dass die niederländischen Covid-19-Maßnahmen mit einem substantiellen Rückgang an Frühgeburten in den Folgemonaten zusammenfallen. Besonders signifikant sei der Rückgang - wie in Deutschland - bei späten Frühgeburten (hier definiert als Geburt in 32.-36. Schwangerschangerschaftswoche plus fünf Tage). "Vielleicht hat der Lockdown sogar dazu geführt, dass Schwangere entspannter schwanger sein konnten", spekuliert Rossi. Die niederländische Studie zeigt auch, dass der Effekt positiv ausgefallen ist bei Schwangeren mit einem höheren sozialen Status.

Rund 15 Prozent aller Deutschen sind bei der AOK versichert. Die Datenauswertung hat dementsprechend eine starke Aussagekraft für ganz Deutschland, sie ist jedoch nicht zu 100 Prozent repräsentativ. Regionale Zahlen, etwa für Berlin und Brandenburg, haben keine Aussagekraft, da die Fallzahlen hier zu niedrig sind. Noch sind für den zweiten Lockdown im Herbst 2020 keine Daten zu Frühgeburten bekannt.

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