#Wiegehtesuns? | Berlinerin in Südfrankreich - "Manche haben mehr Angst vor der Polizei als vor dem Virus"

Di 05.05.20 | 08:06 Uhr
Sabines* Balkon mit ihrer Katze (Quelle: privat)
Bild: privat

Sabine lebt seit Jahrzehnten in der französischen Bergregion Cevennen und arbeitet dort an zwei Krankenhäusern. Sie kritisiert die strengen Corona-Maßnahmen in Frankreich. Ein Gesprächsprotokoll.

 

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Sabine (Name von der Redaktion geändert), Apothekerin, kommt aus Berlin und lebt seit 30 Jahren in Südfrankreich. Dort herrschen viel stärkere Beschränkungen als in Deutschland. So geht es Sabine:

Ich lebe in einer südfranzösischen Kleinstadt, die eingebettet ist in eine sehr dünn besiedelte, wunderschöne Natur. Gerade sitze ich mit meiner Katze auf meinem Balkon und trinke ein "Panaché", ein Alsterwasser. Wie alle in Frankreich bin ich durch Corona im "Confinement", der Ausgangssperre: Ich darf also das Haus nur noch verlassen, um mich zum Arbeitsplatz zu bewegen, für Arztbesuche oder um lebensnotwendige Einkäufe zu machen. Die Polizei kann kontrollieren und entscheiden, was lebensnotwendig ist.

Eine Stunde am Tag können wir in einem Umkreis von einem Kilometer um unsere Wohnung spazieren gehen. Sobald wir das Haus verlassen, müssen wir ein selbst ausgefülltes Papier dabeihaben, wo angekreuzt ist, warum man rausgeht und um welche Uhrzeit.

Einmal in der Woche bin ich am Krankenhaus in der Nachbarstadt. Dort haben wir noch keine Fälle von Covid, aber wir haben Covid-Stationen mit Beatmungsgeräten. Teile des Krankenhauses wurden abgesperrt und zu Isolierstationen umgewandelt. Wir sind vorbereitet – aber bei uns ist nicht die gleiche Situation wie im Elsaß oder in Paris.

Im Krankenhaus gebe ich die ärztlichen Verschreibungen frei und mache die Bestellungen, sowie den Auswärtsverkauf von Medikamenten. Es arbeitet nur ein Teil des Personals, weil sehr viel weniger Aktivität stattfindet. Operiert werden nur noch Notfälle, alle geplanten Interventionen sind gestrichen.

Das Krebszentrum macht zurzeit sehr wenig Chemos, da das Risiko, eine schwere Form von Covid zu entwickeln, für die immungeschwächten Krebspatienten groß ist. Eine Patientin ist sehr beunruhigt, weil ihr Krebs mit den Chemos seit fünf Jahren stabilisiert war. Jetzt befürchtet sie zu Recht ein Aufflammen und damit ein Todesurteil durch den Krebs.

Mein Alltag spielt sich ansonsten zuhause ab. Ich gehe einkaufen, zu Fuß, um mich zu bewegen. Ansonsten mache ich mehr als die eine erlaubte Stunde eine Runde ums Haus, darf mich dabei natürlich nicht erwischen lassen.

Ich bin schon viermal kontrolliert worden. Und bei der ersten Kontrolle wurde mir gesagt, dass ich das Datum und die Uhrzeit nicht mit Bleistift eintragen darf. Wenn die Polizei meint, man ist unberechtigterweise unterwegs, ist die erste Strafe 135 Euro, 385 Euro beim zweiten Mal und über 1.000 Euro beim dritten Mal.

Kürzlich bin ich zur Stadt gegangen zur Post – die Post ist offen. Es sind wenig Leute unterwegs, und da fuhr ein Polizeiauto rum mit Lautsprechern: "Gehen Sie zurück nach Hause! Retten Sie Leben! Respektieren Sie die Ausgangssperre!"

Kinder, die überhaupt nicht mehr rausgehen, zur Schule gehen, Freunde sehen dürfen, Familien, die sich nicht mehr sehen - für viele Leute sind die sozialen Kontakte völlig auf null, also wirklich völlig auf null. Da die Polizei sehr präsent ist und Kontrollen macht, haben manche Leute mehr Angst vor der Polizei, als vor dem Virus. Für mich sind die mangelnden sozialen Kontakte, die ich jetzt nur am Telefon habe, besonders schwer. Ich habe mich aufs Malen, auf Farben gestürzt, die mir in schwierigen Situationen immer sehr guttun.

Ich bedauere sehr, dass Frankreich so zentralisiert ist und zentralistisch regiert wird. Ich denke, dass diese Maßnahmen in manchen Regionen Frankreichs eher einen Sinn haben, als hier. Wo ich wohne sind riesige Strecken unberührter Landschaft, und trotzdem darf man noch nicht einmal allein spazieren gehen.

Wenn ich auf Berlin blicke, habe ich den Eindruck, dass die Leute mehr als hier den Sinn der Maßnahmen verstehen und sich weitestgehend daranhalten. Das wird weniger durch Angst, als durch Erklärung hervorgerufen. Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt, und will vermeiden, dass nur eine Person das Sagen hat. Sie erziehen ihre Mitbürger zur Eigenverantwortung.

In Frankreich hält man die Bevölkerung sehr stark durch Angst und Druck im Griff. Schon bei den Kindern in der Schule funktioniert das so. Ich habe erst jetzt richtig verstanden, dass das auch für die Erwachsenen gilt. Ich habe mich erschrocken und mich gefragt, ob ich in einem Polizeistaat lebe.

Ich beobachte sehr viel psychisches Unwohlsein und mehr und mehr wirkliche Unzufriedenheit. Unzufriedenheit dem Staat gegenüber mit dem Umgang mit dieser Krise.

Jetzt soll am 11. Mai die Öffnung anfangen - und da werde ich dem Himmel danken.

Gesprächsprotokoll: C. Winkler

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