#Wiegehtesuns? | Kapitän in Corona-Zeiten - "Wir durften nicht einmal vor dem Hafen ankern"

So 05.04.20 | 11:45 Uhr
Kapitän Christian Grothmann (Quelle: Grothmann)
Bild: Grothmann

Nach Monaten auf See in der Antarktis erfährt Christian Grothmann erst spät von der Corona-Pandemie. Wegen der Schließung der Seegrenzen in Südamerika müssen er und seine Crew improvisieren. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Christian Grothmann, 39 Jahre, ist Kapitän und lebt in Berlin-Friedrichshain:

Niemand lässt sein Boot über Winter auf den Falkland-Inseln. Niemand. Dort wüten tagelange schwere Stürme. Aber wir mussten uns so entscheiden. Wegen der Pandemie liegt das Segelschiff, auf dem ich arbeite, in einem ehemaligen Kohlendock der britischen Walfangflotte bei Port Stanley. Auch wir wären dort fast nicht weg gekommen.

Segelyacht Santa Maria Australis in der Antarktis (Quelle: Nikolay Khil)
Die Santa Maria Australis in der AntarktisBild: Nikolay Khil

Ich arbeite als Kapitän auf der "Santa Maria Australis" in der Antarktis. Während der Saison waren wir weitgehend unbehelligt von Corona. Zuerst fuhren wir mit Fotografen zu den Königspinguinen nach Südgeorgien, danach mit Seismologen aus Cottbus nach Deception Island. Schließlich schipperten wir mit Touristen entlang der Antarktischen Halbinsel. Zum Abschluss haben wir die ukrainische Forschungsstation “Akademik Vernadski” besucht. Vor dem Anlanden wurden wir per Funk gefragt, ob Chinesen aus Wuhan an Bord seien. Wir verneinten und konnten an Land. Das war am 24. Februar. Die Überfahrt zurück nach Chile verlief ohne Probleme, alle Passagiere konnten in Puerto Williams aussteigen.

Zwei Bootsleute und ich wollten dann das Schiff zur Überholung in die brasilianische Hafenstadt Itajaí bringen – eine Tour von etwa 16 Tagen. Am 9. März ging es los, am 13. März machten wir auf den Falklands einen Tankstopp. Anlegen durften wir auch hier erst, nachdem wir per Funk erklärten, dass keine Chinesen an Bord sind. Hier hatten wir auch zum ersten Mal gutes Netz und erfuhren von der pandemischen Ausbreitung.

Würde uns Brasilien anlegen lassen? Abgewiesen zu werden, wollten wir nicht riskieren, für eine Irrfahrt hatten wir nicht genügend Lebensmittel. Also zurück nach Chile. Nach drei Tagen kamen wir in Puerto Williams an - und durften nicht einmal ankern.  

Was jetzt? Zurück zu den Falklands war unsere einzige Idee, obwohl ein Winterlager in einem Land, das eigentlich aus Sturm besteht, alles andere als ideal ist. Da wir schon lange auf See waren, wurde uns eine Quarantänezeit erlassen. Wir durften anlegen. Das Boot dann für den Winter abzurüsten war schwierig: Es galten Ausgangssperren, und viele Geschäfte machten dicht.

Parallel mussten wir unsere Ausreise über die Botschaft organisieren. Kaum jemand konnte uns weiterhelfen und ich fand mich schon damit ab, an Bord überwintern zu müssen. Doch schließlich konnten wir mit einer Chartermaschine des britischen Militärs nach London fliegen und kamen von dort nach Berlin. Hier wohne ich jetzt in meiner Laube in Charlottenburg. In meine Friedrichshainer Wohnung kann ich nicht, da meine Untermieter aus der Schweiz wiederum nicht in ihre Heimat dürfen.

Aus einem völlig intakten und von Enge geprägten Sozialgefüge auf dem Schiff bin ich jetzt also in einem paranoiden Deutschland gelandet, wo es heißt, Abstand zu halten. Und die Geschichten mit dem Klopapier waren gar keine chilenischen Witze, das ist ja tatsächlich ausverkauft!

Mit den Regeln hier komme ich zurecht. An Bord muss ich schließlich auch Regeln folgen, und meist sind diese eben überlebenswichtig. Aber ein Gefühl, wie es weitergeht, habe ich nicht. Als Honorarkapitän werde ich jetzt erstmal von den letzten Einnahmen leben müssen. Wie sonst als Segellehrer werde ich nicht arbeiten können. Die Sportschifffahrt ist tot für dieses Jahr.

Wie geht es Ihnen? Wie sieht Ihr Alltag gerade aus? Erzählen Sie rbb|24 Ihre Geschichte in Zeiten von Corona! Einfach eine Mail schicken an internet@rbb-online.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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Antwort auf [Hans Meiser] vom 06.04.2020 um 17:36
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