Berlin und Brandenburg - Corona-Hotspots haben sich von Westen nach Osten verschoben - für den Moment
Noch bis weit in den Herbst hinein waren die Corona-Zahlen in Brandenburg und in den östlichen Berliner Bezirken besonders niedrig. Doch nun ändert sich die Situation rapide und einige frühere Thesen stellen sich wohl als falsch heraus. Von Haluka Maier-Borst
Wenn Journalismus der erste grobe Entwurf von Geschichte ist – dann kann der Entwurf manchmal ziemlich daneben liegen. Noch im Herbst wurde beschrieben und besprochen, wieso der Osten Deutschlands so viel besser durch die Corona-Krise kommt [zeit.de].
Auch rbb|24 beschrieb die Berliner Version dieses Phänomens. Denn, mit Ausnahme von Steglitz-Zehlendorf, waren die niedrigsten Inzidenz-Zahlen allesamt in den früheren Ost-Bezirken der Stadt zu finden.
Nun, gut gealtert sind diese Texte nicht.
Es ging dabei einerseits um Gründe, wieso wohl das Virus in gewisse Gebiete früher eingeschleppt wurde: Einkommen, Altersschnitt, Größe von Wohnraum, Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund – all das waren Faktoren, die erklären sollten, wieso das Virus hier mehr Chancen hatte, mitgebracht zu werden.
Andererseits ging es auch um Grundsätzlicheres. Die geringere Bevölkerungsdichte im Osten wurde als Schutz gegen Corona angeführt, genauso wie möglicherweise eine frühere Impfempfehlung in der DDR für das Tuberkulose-Vakzin Bacille Calmette-Guérin.
Und dann wurde mitunter noch die Küchenpsychologie bemüht. Im Osten habe man mehr Disziplin, man würde Gesundheitsämtern mehr vertrauen und würde mehr aufeinander schauen.
Nur genau dieser grundsätzlichen Erklärungen werden zunehmend fraglich. Bundesweit gesehen verzeichnen Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg mittlerweile die höchsten Inzidenz-Zahlen [rki.de]. Und in Berlin sind es die bislang verschont gebliebenen Ost-Bezirke, in denen die Zahlen nun stark steigen, während in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg - den früheren Corona-Hotspots - der Trend eher nach unten zeigt.
Inzwischen schwingt darum der Ansatz der Erklärungen für die Inzidenzen in die Gegenrichtung. Seit einiger Zeit zirkuliert die These, dass deutschlandweit gesehen es tendenziell in Regionen mit größeren AfD-Wähleranteilen auch höhere Inzidenzzahlen gibt. Der Kerngedanke dahinter: Dort, wo mehr Menschen einer Partei die Stimme geben, die Corona herunterspielt, werden auch die Corona-Maßnahmen wohl von gewissen Teilen der Bevölkerung weniger eingehalten. Daher die hohen Inzidenz-Zahlen.
Statistisch gesehen ist die Analyse, die der "Tagesspiegel" dazu im Dezember veröffentlichte, weitestgehend solide. Aber ähnlich sah es auch mit den Erklärungen für die niedrigen Zahlen im Herbst aus. Womöglich ist es darum wichtiger, einen Schritt zurück zu machen; und anzuerkennen, dass ein Virus auf eine nicht-immune Bevölkerung trifft und viele Faktoren die Verbreitung begünstigen. Es gibt eben nicht die eine schlüssige Erklärung für den Status Quo, die eine Sache, die man lassen muss, um den Erreger in Schach zu halten. Leider.
Risiko-Bewertung auf der Messlatte
Vielleicht eine der klügsten Dinge, die dazu gesagt wurden, kam von der Wissenschaftsjournalistin Jennifer Couzin-Frankel. Die Reporterin des Fachmagazins "Science" erklärte [sciencemag.com], wie sie versucht, das Risiko ihres Haushaltes, ihrer Familie zu managen. Sie würde sich das Ganze vorstellen wie einen Stock mit Kerben. Eine Art Messlatte, auf der man stets das Gesamtrisiko des Haushaltes ablesen kann.
Sport mit anderen treiben würde zum Beispiel dazu führen, auf der "Risikolatte" höher greifen zu müssen, genauso wie ein Besuch beim Zahnarzt. Am Ende müsse man all diese verschiedenen Risiken ausbalancieren, um nicht am Ende oberhalb der Risikolatte zu greifen. Dass das nicht einfach sei, gab Couzin-Frankel selbst zu. Und aktuell ist für uns alle diese Risikolatte wohl noch kürzer als sie es im Sommer war.