Interview | Paritätischer Wohlfahrtsverband - "Für die Über-90-Jährigen ist das eine Herausforderung"

Di 05.01.21 | 10:45 Uhr
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Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin Paritätischer Wohlfahrtsverband, spricht anlässlich der Übergabe von Schutzmasken und Handschuhen am 09.04.2020 in Berlin-Kreuzberg. (Quelle: dpa/Andreas Gora)
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Audio: Inforadio | 05.01.2021 | Dörthe Nath interviewt Gabriele Schlimper | Bild: dpa/Andreas Gora

Seit Montag können sich über 90 Jahre alte Menschen in Berlin Impftermine geben lassen. Gabriele Schlimper, Chefin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, erklärt, welche Probleme eine Impfung in Zentren bereitet und was die Gründe dafür sind.

Seit Montag können sich in Berlin auch Über-90-Jährige impfen lassen, die zu Hause wohnen. 2.500 Menschen wurden schriftlich eingeladen; sie können sich gratis mit dem Taxi in ein Impfzentrum fahren lassen. Doch für viele ältere Menschen ist das eine große Herausforderung.

Gabriele Schlimper ist die Chefin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, vertritt also viele Pflegeheime und Pflegedienste. Sie sieht die Hürden - aber auch wenig andere Möglichkeiten.

rbb: Frau Schlimper, ist das ein funktionierendes Angebot für die über 90-Jährigen in Berlin?

Gabriele Schlimper: Sagen wir mal, das ist das einzige Angebot, was man sich so vorstellen konnte. Die Alternative wäre gewesen, man würde die Leute alle zu Hause aufsuchen. Das ist aber rein logistisch wahrscheinlich gar nicht zu organisieren bei der Anzahl der Menschen, die in dieser Stadt impfen können.

Dass die Über-90-Jährigen in Berlin den Weg in die Testzentren selber finden müssen, ist natürlich eine Herausforderung. Da muss man schauen, wie das funktioniert. Aber eine andere Möglichkeit mit dem Hausbesuchen wäre schwierig gewesen, weil der Impfstoff so knapp ist. Sonst könnte man den Pflegediensten sagen: 'Sie haben den Impfstoff, Sie haben das Personal, Sie können jetzt loslaufen und die Leute impfen.' Aber wir haben bei dem Impfstoff zurzeit eine klassische Mangelwirtschaft. Und da muss man sehen, was geht.

Man bekommt einen Brief mit einem Code und einer Anleitung und muss sich dann den Termin online buchen: Ist das für 90-Jährige so ohne Weiteres möglich?

Nein, natürlich ist das nicht ohne Weiteres möglich. Deswegen haben die sich ja schon ein bisschen was ausgedacht: Es gibt auch eine Telefonnummer, wo Sie zur Terminfindung anrufen können. Es wäre aber natürlich auch sinnvoll, wenn die Leute sich dann auch die Adresse notieren und alles - ganz so einfach ist es nicht.

Ich gehe jetzt mal davon aus, dass sehr viele Menschen in Berlin, die über 90 sind, in irgendeiner Versorgungsstruktur drin sind, und dass sie unterstützt werden. Und diese Unterstützung muss natürlich da sein, wenn es jetzt darum geht, diese ganze Terminbuchung online oder über Telefon zu organisieren - sonst wird das nicht funktionieren.

Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Angehörigen, die die Alten zuhause pflegen, gleich mitgeimpft würden. Wie sehen Sie das?

Selbstverständlich ist es sinnvoll. In dem Moment, wo die Angehörigen auch in einer vergleichbaren Altersgruppe sind, ist das auch gar kein Problem. Aber problematisch ist es eben dann, wenn die Angehörigen deutlich jünger sind. Dann werden sie - leider - heute noch eingeordnet in die Logiik: 'Die Jüngeren sind dran, wenn wir eben daran sind.' Das liegt eben daran, das nicht genug Impfstoff da ist.

Es ist die Priorität - und das kann ich nachvollziehen -, dass eben erst die Hochaltrigen Menschen geimpft werden, weil diese, wenn sie infiziert sind, am schnellsten heftig erkranken oder auch versterben. Das ist leider so, das ist jetzt ganz fürchterlich. Ich bin der Meinung, dass alle mitgeimpft werden sollen - jeder. Aber wenn kein Impfstoff da ist ...

In den paar Tagen seit dem Impfstart sind jetzt 11.625 Menschen in den Heimen in Berlin geimpft worden. Das hört sich erst einmal viel an. Können Sie das so ein bisschen ins Verhältnis setzen? Ist das so gut, wie es klingt?

Es ist schon nicht ganz ohne Erfolg. Ich schätze, das ist knapp die Hälfte der Menschen in Berlin, die in Pflegeheimen leben. Und das war ein Riesenkraftakt, diese Menschen zu impfen, die Logistik zu organisieren. Ich weiß, dass alle Beteiligten zwischen Weihnachten und Neujahr wie wild geackert und gearbeitet haben, um das auf die Beine zu stellen und das jetzt schon 11.000 Menschen geimpft worden sind, das finde ich sehr gut.

Und dass man auch gleichzeitig vernünftigerweise damit angefangen hat, tatsächlich das Pflegepersonal mit einzutakten, das finde ich wirklich vernünftig. Entscheidend ist, dass die Leute dann auch zeitgerecht ihre zweite Impfung kriegen, dass dann ausreichend Impfstoff da ist. Ich will das gar nicht in Frage stellen - aber das ist in der Tat auch eine Herausforderung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Dörthe Nath für Inforadio. Dieser Text ist eine redigierte und gekürzte Version des Gesprächs. Sie können es mit Klick in das Aufmacherbild nachhören.

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18 Kommentare

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  1. 18.

    Nein, es gibt auch Alte , die noch allein lebten bis vor kurzem und Verwandte von denen leben in anderen Städten. Pflegestrukturen zu installieren braucht Zeit und gerade jetzt laufen die bürokratischen Mühlen sehr langsam. Beispeil erst Krakenhausaufenthalt, dan Entlassung nach hHause, nochmals Krankenhausaufenthalt, dann Kurzzeitpflege und nun wieder zu Hause, ja, alles wird versucht zu beantragen, aber wir haben Corona und in einem viertel Jahr ist bis jetzt nichts passiert. Es gibt nicht nur Idealfälle, vielleicht kann man das auch bedenken.

  2. 17.

    Meine Verwandten sind 90 und 89 , die Mutter sitzt im Rollstuhl und hat auch noch einen gebrochene Schulter, wartet auf eine Operation, sie hält sich nur in der Wohnung auf, gibt es für solche Alten einen Impftermin zu Hause? Im Taxi zum Impftermin ist eine glatte Illusion! Ist an diese Personen überhaupt gedacht? Eine Auskunft darüber wäre mehr als nötig.

  3. 16.

    Also ich möchte nicht so alt werden, immer dieser Drang nach dem ewigen Leben.

  4. 15.

    "Alte wollt ihr ewig leben?" Wenn sie mal so alt sind, die junge Generation nach ihnen, sagt das gleiche zu ihnen. Aber nur wenn sie so alt werden. Von ihrer Zukunft möchte ich erst gar nicht reden!!!

  5. 14.

    Was für eine böse Diskussion. Jeder kann eine Meinung haben. Und lesen kann wohl jeder, der hier teilnimmt.

  6. 13.

    Es gibt auch Menschen zwischen 60 und 90 die Probleme zur Erreichbarkeit der Impfzentren haben. Wer denkt an diesen Personenkreis?

  7. 12.

    Geht's noch??? So ein Menschenverachtender Kommentar.... Sie sollten sich was schämen...

  8. 11.

    Ich verstehe diese Diskussionen hier nur bedingt und bin hochgradig erfreut über die besonnene Art und die ausgewogenen Antworten von Frau Schlimper.
    Im Gensatz zu vielen Kommentatoren hier und an anderen Stellen ist ihr bewusst,dass VIELES wünschenswert wäre aber organisatorisch nicht umzusetzen ist. Aktuell werden Senioren ab 90 Jahren geimpft und das wurde auch mehrmals begründet. Da sie kostenlos mit dem Taxi hin und zurückfahren können,braucht niemand privat zu fahren.
    @4. hat völlig Recht,wenn die Leute sich unbedingt sehen WOLLEN,klappt der Kontakt ja auch. Natürlich wird es auch Senioren geben,die keine häusliche Pflege oder Verwandten haben. Ich habe 3 Senioren in meinem Haus,denen es so geht. Da habe ich angeboten Termine für sie zu machen. Bei dem Ehepaar will er sich aber selbst kümmern und auch der Nachbarin helfen. Wenn es Probleme gibt wird er sich melden. Wir müssen da eben gemeinsam durch.

  9. 9.

    Wer lesen kann ist klar im Vorteil, ich sagte O D E R
    Bei 90jährigen kann man davon ausgehen, dass ein Pflegedienst täglich vorbei kommt, gerade wenn man keine Kinder/Enkel hat, dass sind die Bezugspersonen, die sich um sowas kümmern müssen. Verstehen Sie das?

  10. 8.

    Meine Freundin im Nachbarhaus ist 84, ihre Stiefmutter,, die sie pflegt, ist 95. Ich bin 73.
    Ich benutze Computer, Smartphone, fahre Auto

    Die beiden älteren Damen bescheiden sich mit Brief und Festnetztelefon.
    Jetzt möchte ich helfen, bei Termin wie Transport.
    Was ist, wenn eine 84jährige und eine 73jährige mit Asthma eine 94jährige ins Impfzentrum bringen?
    Könnten die nicht gleich mit geimpft werden, zumal sie Kontakt zur 94jährigen haben?
    Oder werden im nicht ausgelasteten Impfzentrum aus bürokratischen Gründen lieber impfdosen vernichtet?

  11. 6.

    Antwort auf ShimaSani
    Die Bemerkung ist absolut unangebracht. Was heißt denn, jeder hat eine Bezugsperson? Nicht jeder hat Kinder und folglich auch keine Enkel.....

  12. 5.

    Da fällt einem immer wieder der Spruch ein: "Alte wollt ihr ewig leben?"...

    Ich frage mich wirklich wie sinnvoll es ist über 90 jährige zu impfen. In den Heimen ist das sinnvoll, da es sich dort massiv und schnell verbreitet. Ansonsten sollte man erstmal die Pflegekräfte und Ärzte impfen und dann alles was noch ne Weile zu leben hat (85 und jünger)...

  13. 4.

    Ich kann mich da nur noch einmal wiederholen, jeder über 90jährige hat in irgend einer Form eine Bezugsperson und/oder Kinder/Enkelkinder. Wo es um den Besuch zu Weihnachten ging, haben sich viele ins Hemdchen gemacht, weil sie nicht sollten, jetzt, wo Hilfe benötigt wird, wollen sie nicht???

  14. 3.

    Wäre es nicht möglich die Älteren in einem nahegelegenen Seniorenheim zu impfen? Die Häuser werden doch sowieso angefahren. Wie sollen selbst über 80 jährige zu den Impfzentren kommen? Erst haben sie sich isoliert und fahren jetzt mit den Öffentlichen durch die Stadt?
    Leider sehr realitätsfern.
    Schade.

  15. 2.

    Natürlich ist das für über 90jährige eine Herausforderung, die sie allein nicht schaffen. Ich gehe aber davon aus, dass über 90jährige in irgend einer Form eine Kontakt-, Pflege- oder Betreuungsperson haben. Da ist es doch wohl selbstverständlich, dass sich diese Leute um die hochbetagten Menschen kümmern, was gibt es da zu diskutieren.

  16. 1.

    Es dauert alles etwas länger wenn man mit Menschen in dem Alter was unternimmt. Dem zufolge sollte man dann auch mit dem aufziehen der Spritzen nicht im Akkord arbeiten. Der Impfstoff hält sich max. 2 Stunden, danach kann ich den Impfstoff entsorgen. Obwohl es kaum Impfstoff gibt ist das in Treptow sogar passiert. Da laufen 120 Menschen rum, die alle noch nicht geimpft sind, weil auch jünger wie 90 Jahre, da werden die Spritzen in den Müll geworfen, anstatt dann die anwesenden unter 90 J. damit zu impfen!? Was für eine Logik steckt da hinter, soviel Steuergelder in den Dreck zu werfen? Ein Irrenhaus sucht seines Gleichen, das kann ewig dauern. Furchtbar, wie unbeholfen und dumm das alles organisiert ist. Impfen nein, ich werde mich lieber weiter vermummen, da bleibe ich auf Nummer Sicher!

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