Corona-Pandemie - Brandenburg verzeichnet neue Höchststände bei Übersterblichkeit
Daten des Statistischen Bundesamtes belegen, dass zum Jahresende hin die Übersterblichkeit in Brandenburg neue Höchststände erreicht hat. Auch deuten die Zahlen auf einen klaren Unterschied zwischen Corona und Grippe. Von Haluka Maier-Borst und Sophia Bernert
Überraschend sind die Daten des Statistischen Bundesamtes nicht und doch bleiben die neuesten Zahlen zu Sterbefällen besorgniserregend - insbesondere für Brandenburg.
826 Tote verzeichnete das Bundesland in der 50. Kalenderwoche 2020, die vom 7. Dezember bis zum 13. Dezember dauerte. In früheren Jahren vor Corona hatte sich die Zahl in derselben Kalenderwoche deutlich darunter bewegt. Nun scheint also genau das einzutreten, was man im Frühjahr noch verhindern konnte: ein deutliches Mehr an Toten. Eine sogenannte Übersterblichkeit.
Für die Übersterblichkeit wird geschaut, ob deutlich mehr Menschen in einem Zeitraum gestorben sind, als aufgrund der vergangenen Jahre zu erwarten war. Der größte Vorteil, aber auch Nachteil dieser statistischen Methode, ist die simple Definition: jede/r Tote/r zählt. Man geht schlicht davon aus, dass der Effekt so groß ist, dass man ihn auch dann sieht, wenn man nur die reine Zahl der Toten anschaut, ganz ohne auf die Diagnose zu achten.
Einerseits heißt das im Konkreten, dass man nicht bei jedem Fall diskutieren muss, ob nun die Todesursache wirklich Covid-19 war. Anderseits heißt es aber auch, dass theoretisch ein indirekter Effekt für die Übersterblichkeit sorgen könnte. Würden nämlich zum Beispiel durch den Lockdown signifikant weniger Menschen mit Schlaganfall-Symptomen sich ärztliche Hilfe holen und dadurch sterben, würde Übersterblichkeit nicht durch Covid-19 ausgelöst - sondern durch die Maßnahmen. Doch genau darauf gibt es keinen Hinweis, erklärt Bettina Sommer, Referatsleiterin für demografische Analysen beim Statistischen Bundesamt. "Wir sehen, dass die Übersterblichkeit in der Größenordnung zu den offiziellen Zahlen der Corona-Toten passt", sagt sie.
In Berlin zeichnet sich derweil nach bisherigen Daten eine geringere Übersterblichkeit im Winter ab und für die Kalenderwoche 50 ein durchschnittlicher Wert an Sterbefällen. Allerdings muss man diesen Trend mit Vorsicht interpretieren.
Schon im Juni 2020 hatte nämlich der Statistiker Michael Neutze darauf hingewiesen, dass die Berliner Behörden einen erheblichen Meldeverzug bei den Sterbezahlen hatten [twitter.com]. Auch Bettina Sommer bestätigt zumindest allgemein für Deutschland, dass die für die Sterbefälle zuständigen Standesämter teils erhebliche Unterschiede bei den Meldeverzügen hätten.
Die neuen Daten zu den Sterbefällen ermöglichen aber nicht nur, insgesamt die Sterblichkeit zu vergleichen – sondern auch auf Unterschiede zwischen Älteren und Jüngeren zu schauen. Dabei zeigt sich: Sowohl in Berlin als auch in Brandenburg gibt es eine klare Übersterblichkeit bei Menschen, die über 65 Jahre alt sind. Weil aber prozentual gesehen deutlich mehr jüngere Menschen in Berlin leben, sind die Auswirkungen in Brandenburg auf die Gesamtsterblichkeit größer.
Eine der wenigen guten Nachrichten ist darum auch, wie sich die Übersterblichkeit bei den Menschen unter 65 Jahren entwickelt. Hier ist weder in Berlin noch in Brandenburg ein erhöhter Wert festzustellen. Das passt zu bisherigen Studien, die einen exponentiellen Zusammenhang zwischen Alter und schweren Covid-19-Verläufen zeigen.
Außerdem belegen die Daten abermals, dass Corona anders wirkt als saisonale Grippewellen. Im Winter 2017/2018 gab es eine extrem starke Grippewelle, die damals überdurchschnittlich viele Menschenleben kostete [aertzezeitung.de]. Die Sterblichkeit war allerdings sowohl bei den Menschen unter, als auch über 65 erhöht. Das ist aktuell mit dem Coronavirus anders.
Ferner stimmt es zwar, dass es zu bestimmten Zeitpunkten der Grippewelle 2017/2018 durchaus ähnlich hohe Sterbefallzahlen gab wie jetzt. Diese waren aber das Ergebnis einer Erkrankung, die ohne Maßnahmen wie Lockdown und Maskenpflicht die Bevölkerung traf. Die Sterbefallzahlen aktuell sind aber trotz solcher Maßnahmen ähnlich hoch wie in der schlimmsten Grippewelle. Und sie sind wohl - mit letztem Datenstand - wohl dabei noch weiter zu steigen.
Keine Hinweise auf deutlich mehr Suizide
Hinweise auf eine erhöhte Sterblichkeit durch mehr Suizide infolge des Lockdowns oder dergleichen gebe es derweil nicht, sagt Statistikerin Sommer. Gleichwohl müssen man bei solchen Schlüssen vorsichtig sein. "All das sind natürlich vorläufige Daten und die Sterblichkeit bildet natürlich nur einen Teilaspekt der Pandemie und ihrer Folgen ab", sagt sie.
Auch in anderen Ländern sieht bislang die Situation ähnlich aus. So weisen Psychiater/innen darauf hin, dass bislang es wenig Hinweise auf eine erhöhte Suizidrate aufgrund von Lockdowns gibt [bmj.com]. Gleichzeitig fordern sie aber, dass man Ressourcen für die Prävention bereithalten müsse, auch um eine gute Versorgung von psychisch Erkrankten zu gewährleisten.
So oder so zeigen die Daten zu den Sterbefällen aber wohl, dass die aktuelle zweite Phase der Pandemie Deutschland härter trifft als zu jedem anderen Zeitpunkt. Trotz Lockdown light und Lockdown 2.
Weitere Quellen für Interessierte:
Der Statistiker Michael Neutze trägt die Sterbefallzahlen für alle Bundesländer und Gesamtdeutschland zusammen und visualisiert sie vergleichbar auf seiner Seite [wahlatlas.net].
Der Mathematiker Michael Höhle, der unter anderem auch viel zur Methode des Nowcastings gearbeitet hat, hat seine Berechnung der Übersterblichkeit hier veröffentlicht [github.io]. Er berücksichtigt zusätzlich Alterungseffekte der Gesellschaft als Ganzes.