Meinung | Berliner Schüler ohne Perspektive - Lernrückstände sind längst nicht mehr unser Problem

Di 16.02.21 | 17:38 Uhr | Von Sabine Krüger
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Eine Familie liegt auf einer Couch und sieht sich einen Film an. (Quelle: imago images/Joseffson)
Bild: imago images/Joseffson

Etwa 100.000 Erst- bis Drittklässler gehen ab Montag wieder in die Schule. Der Rest - geschätzte 300.000 Berliner Schüler - schaut vorerst in die Röhre. Zuletzt konnten sie sich immerhin im Schnee verlustieren. Jetzt also öfter mal zum Friseur? Von Sabine Krüger

Ganz ehrlich, dass ich wegen Corona und der Schulsituation noch einmal Schnappatmung bekomme, hätte ich nicht gedacht. Meiner Meinung nach hatte ich die Situation mit dem zweiten Lockdown ganz gut angenommen. Mein Viertklässler kam und kommt den Umständen entsprechend auch halbwegs zurecht.

Krönchen richten und weiterlaufen geht kaum noch

Dass Berlin, nachdem es im Januar mit einer Ankündigung für Schulöffnungen vorgeprescht war, etwas ungelenk zurückruderte, hat mich und meine Familie natürlich dennoch mitgenommen. Aber weil die Fallzahlen tatsächlich noch recht hoch waren, hatte ich es verstanden - oder zumindest: versucht, zu verstehen. Und auch versucht, dem Neunjährigen die Sache kindgerecht zu erklären: "Ich weiß, dass ich Dir gesagt habe, dass es jetzt bald wieder losgeht mit der Schule - aber die Politiker mussten sich umentscheiden. Die Ansteckungsgefahr ist einfach zu hoch". Wir sind also, bildlich gesprochen, wieder aufgestanden, haben unsere Krönchen gerichtet und sind weitergelaufen.

Dass im Februar die Klassen ab der vierten bei den Berliner Schulöffnungen immer noch nicht gleich mit dran sind, kann ich auch nachvollziehen. Nach dem Fauxpas im Januar will man sich jetzt zurückhaltend geben - das kann ich irgendwie verstehen. Der Sohn schon auch. Nur als wieder jetzt die Frage kam, wann er und seine Klassenkameraden denn nun dran seien - und wieder die Antwort, dass das noch ungewiss sei, wurde klar: Das mit dem Krönchen und dem Weiterlaufen ist nicht mehr. Um ganz ehrlich zu sein: Das Kind lief ziemlich heiß.

Zum Glück kam der Schnee. Er kühlte die Gemüter. Und wir hatten, neben den Diskussionen, welche Aufgabenblätter aus dem Home-Schooling unbedingt gemacht werden müssen, endlich noch etwas anderes zu tun.

Sicher - aber total unausgelastet

Was mich jetzt langsam zur Schnappatmung zurückkehren lässt, ist (neben dem schwindenen Schnee) die Tatsache, dass vom Senat zu den anderen Klassen - die es neben 1 bis 3 noch gibt - einfach gar keine Ansagen kommen. Man arbeite noch an einem Stufenplan, hieß es zuletzt. Damit können zwar 100.000 Erst- bis Drittklässler ab Montag zurück in die Schule - alle anderen, grob geschätzt, 300.000 Berliner Schülerinnen und Schüler bleiben nicht nur weiter zuhause, sondern auch komplett im Ungewissen.

Und nicht nur die Tatsache, dass einfach gar nichts kommt, lässt mich hyperventilieren: Es sind auch Aussagen aus der Politik wie die der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek am Montag. Nun müsse man sich aber wirklich dringend um den versäumten Stoff, also die Lernrückstände, kümmern. Von "riesigen Herausforderungen" ist die Rede, von einem Aktionsplan.

Ganz ehrlich: Unser Problem sind schon lange nicht mehr irgendwelche Bildungslücken. Inzwischen ist es nicht nur fast unmöglich geworden, unser Kind überhaupt zum Lernen zu motivieren - sogar das Angebot für Brettspiele wird inzwischen dankend abgelehnt.

Es droht eine ausgewachsene Mediensucht

Dazu kommt der tägliche Kampf gegen die drohende Mediensucht. Solange Schnee lag, war alles prima, da war rausgehen angesagt. Jetzt ringe ich wieder gefühlt stündlich um das Familien-Pad. Findig ist das Kind geworden: Die Lern-App Anton durfte es eigentlich immer benutzen - bis ich herausgefunden habe, dass es unbeaufsichtigt nur Erstklässler-Aufgaben gelöst hat, um an die Belohnungen (Spiele spielen) zu kommen.

Nicht Lernrückstände sind unser Thema, sondern die allumfassende Perspektivlosigkeit. Irgendjemand schrieb in den sozialen Medien: Dann nehmen wir die Kinder einfach ab 1. März jede Woche mit zum Friseur. Da wir seit Dezember schon zwei Mal im Zoo und einmal im Tierpark waren, bleibt tatsächlich irgendwann wohl nur noch das.

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Beitrag von Sabine Krüger

50 Kommentare

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  1. 50.

    ntv
    Bis zu 100 Kinder pro Woche werden in Großbritannien mit einer seltenen Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert, die Wochen nach einer Covid-19- Erkrankung auftauchen kann u.s.w. Bericht Zeitung "Guardian" unter Berufung auf britische Ärzte.
    ...wenn so etwas unter der neuen Mutation in Deutschland passieren sollte, ist Langeweile und Überforderung das geringste Problem von Eltern und Kindern.
    Vielleicht sollte man bei der nächsten Berlin Wahl sein Kreuz richtig setzen!
    Ich sag nur, ein Expertenteam hat festgestellt, dass eine Filteranlage pro Schule nicht ausreicht. Ich lache immer noch .

  2. 49.

    Jörg Berlin, wieso nehmen die Kritiker der aktuellen Kitaregeln den Gesundheitsschutz nicht ernst?! Ich würde SOFORT bei einem Zero Covid Lockdown mit Begeisterung mitmachen! Aber ich sehe so langsam keinen Sinn mehr darin, dass meine Tochter zu Hause sitzen muss und die Friseure aufmachen bzw. die Kinder in anderen Bundesländern alle in die Kita dürfen, von den Leuten im Büro und den Reisenden mal ganz zu schweigen. In Neuseeland gabs einen richtigen Lockdown für alle und es war ganz bestimmt nicht so, dass es Verbote nur für einen Teil gab und der andere sich dann auch freiwillig angeschlossen hätte. Wenn es hier schon keine Zero-Strategie gibt, dann muss man aber auch über die Lockerungen diskutieren dürfen, ohne gleich gesagt zu bekommen, man nehme den Gesundheitsschutz nicht ernst.

  3. 48.

    Das Problem ist auch, dass einige Lehrkräfte gerade das bahnbrechende neue Tool "Videokonferenz" für sich entdecken und dazu tendieren, nun auch neuen Stoff über Vikos zu vermitteln. Das wird insoweit kritisch, als zu große Lerngruppen gebildet werden und deshalb die Software zu oft zusammenbricht. Da kommen selbst die besten Schüler nicht mit, ohne dass die Eltern hier massiv eingreifen. Hier wird der Bildungsauftrag einfach delegiert an überforderte Familien. Diese Wurschtigkeit kotzt mich an...

  4. 47.

    die einen spielen Roulette mit sich selbst "ist nicht raus" <> die anderen setzen ihren Verstand bewusst und richtig ein

  5. 46.

    auf den Punkt gebracht: Sie finden es schlimm, dass der Gesundheitsschutz wichtig genommen wird. Im Unterschied dazu kriegen es Neuseeland und wenige andere Länder (die man an einer Hand abzählen kann) so gebacken, dass dort alle am selben Strang ziehen, dass dort selbst bei wenigen Infektionen SOFORT kurzer HARTER Lockdown mit vielen KOntrollen gemacht wird, Verstoßende SEHR hohe Strafen blechen oder absitzen müssen, Touristen aus dem Ausland konsequent Quarantäne machen müssen. Diese Länder erleben DADURCH lange Phasen ohne Masken, Abstand usw. ALLE Menschen dort WOLLEN es so >im REST der Welt will es fast KEINER = Corona forever

  6. 45.

    Was wissen wir über die Langzeitfolgen dessen, was wir seit einem Jahr mit den Kindern anstellen und offenbar noch ein halbes Jahr oder ein ganzes oder auch noch länger anstellen wollen?

    Ob sich alle Kinder und Jugendlichen mit dem Virus infizieren werden, ist nicht raus. Aber alle Kinder und Jugendlichen werden jetzt durch die Eindämmunsmaßnahmen geschädigt (auch wenn Sie offenbar meinen, Schule wäre etwas, das man problemlos auch zuhause so nebenbei erledigen könnte und physische Kontakte zu Gleichaltrigen wären für Heranwachsende entbehrlich).

    Setzen Sie doch ein paar Ausrufezeichen auch dafür ein.

  7. 44.

    Ihr Kommentar ist in so vieler Hinsicht sachlich falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll, es zu erklären.

    Vielleicht macht mich aber auch Ihre umfassende Verharmlosung der Pandemie und aller aus ihr folgenden Probleme, Schäden und Leiden einfach sprachlos.

  8. 43.

    Oh ja. Das ist so wahr. Das ist ein RiesenSkandal, dass Berlin als einziges Land im Kitabereich weiter in der Notbetreuung mit Systemrelevanz bleibt. Jedes Kind ist systemrelevant. Da sieht man, wieviel Wert der Senat auf das Wohlergehen von Kindern legt. Übrigens auch Frau Giffey, die als Familienministerin hinausposaunt, wie wichtig Öffnungen für alle Kinder sind, aber als SPD Chefin in Berlin das auch wieder egal ist. Unfassbar.

  9. 42.

    Ich kann dem Beitrag voll zustimmen.
    Sehr viele Kinder schränken sich seit Monaten so sehr ein. Durch die fehlende Perspektive ist langsam einfach die Luft raus!
    Unterstützung gibt es nirgends, die Politik arbeitet an Plänen, wo man sich fragt, was die die letzten Wochen/Monate gemacht haben!

  10. 41.

    Gleiches mit den Kitakindern bzw. schlimmer, weil es alle anderen Bundesländer gerechter und besser machen. Dort dürfen alle (!) wieder kommen, aber für weniger Stunden. In Berlin dürfen nur bestimmte Kinder wieder kommen und die dürfen dann 60 % auslasten. Pech für Kinder, deren Eltern nicht systemrelevant sind, die keinen Sprachförderbedarf haben oder im letzten Kitajahr sind. Null Perspektive für Otto-Normal-Dreijährige. Und dann muss man sich immer anhören, dass Kinder zuerst dran kommen.

  11. 40.

    Es geht um ihre Rhetorik. Sie setzen das Leid der Menschen herab in dem sie (was immer möglich ist) noch schlimmere Beispiele heranziehen. Und das ist herabwürdigend. Vielen Eltern geht es schlecht. Sie sind überfordert und das zeigt sich eben auch daran dann das Kinder und Frauen im Lockdown steigender Gewalt ausgesetzt sind. Beides ist relevant: Eltern und Kinder zu Hause UND Kinder im Krankenhaus.

  12. 39.

    Männer sind auch Väter, aber ich kennen nur eine einzige Familie in der kein klassisches Rollenmodell herrscht. Und das Mütter-Bashing ihres Kommentares zeigt mir, dass Sie ins privilegiere Lager der Menschen gehören, die keinen Respekt vor Care-Arbeit haben und sie sicher maximal begrenzt ausüben. Sonst würden Sie Müttern mit Empathie begegnen statt sie zu entwerten.

  13. 38.

    Vor Corona gab es immer viel Kritik an der Schule im Allgemeinen. Nun sehnen sich alle danach. Was man nicht hat, wird natürlich schneller schmerzlich vermisst.

    Kinder lernen immer. Wer weiß, ob sie aus dieser aktuell recht schwierigen Phase am Ende nicht mehr mitnehmen für das spätere Leben (wir wollen es nicht beschreien, aber den Ausnahmezustand erwarte ich in Zukunft öfter...), als ihnen die Schule jemals geben könnte.
    Man denke auch an verkorkste Urlaubserlebnisse, die im Nachinein als hübsche Anekdoten zum Erlebnis stilisiert werden. Klar der Vergleich hinkt, aber das Prinzip ist das selbe. Es kann auch Anregung sein.

    Alte Menschen hört man oft sagen: Wer weiß, wozu es gut ist.

  14. 37.

    Meine volle Zustimmung.
    Meine Tochter ist in der 10., Gymnasium, Abschlussklasse - aber niemand weiß von nichts. Zwar fallen die schriftlichen Prüfungen weg. Aber die mündliche Prüfung muss vorbereitet werden und sich die Kurswahl steht an. Da wäre ein bisschen Hilfe von der Lehrerschaft in Präsenz schon nicht schlecht. Zumal ja auch der Stoff sitzen muss, damit sie gut in die Abiphase gehen kann.....Und auch bei Jugendlichen ist der Frust groß.
    Die Autorin hat es auf den Punkt gebracht.

  15. 36.

    Falls eine Öffnung der GS im Wechselunterricht wirklich so schlimm und gefährlich ist, warum explodieren dann die Zahlen in Niedersachsen nicht, wo das schon seit Januar praktiziert wird? Wir haben doch die live Studie gleich nebenan... wie kann es zugelassen werden dass in einem Land so unterschiedliche Bildungschancen existieren, angefangen von Öffnungen verschiedener Klassenstufen, Aussetzung der Präsenzpflicht, Schulen entscheiden selber über Präsenz in Abschlussklassen bis hin zur generellen Qualität/ Existenz des 'saLzH'... bei uns übrigens 15 min chatten pro Woche mit dem Lehrer und PDFs zum selber bearbeiten... , das wars, während woanders der komplette Stundenplan per video durchgeführt wird.

  16. 35.

    Schon mal daran gedacht, dass all diese Maßnahmen aus Rücksicht und vieleicht auch ein bischen Hilflosigkeit gegenüber Ihren Kindern passieren. Schuld sind all diejenigen, die immer noch nicht bereit sind, sich konsequent an die Regeln zu halten, die versauen ihren Kindern die Zukunft. Mutationen kommen nicht so einfach durch die Luft geflogen, sie werden durch Kontakte übertragen von Menschen, die sich nicht an die Regeln hielten.

  17. 34.

    Ihr Hinweis zu Kindes-und Frauenmissbrauch war bei diesem Kommentar garnicht relevant, oder hatten Sie den Eindruck.
    Und ja, ich finde schon, dass es den Kindern vor dem Krankenhaus so viel besser geht als denen da drinnen. Das Gejammer von den Eltern, die die Kinder ständig behüten wollen und glauben, mal ein ganzer Tag am Computer spielen würde sie umbringen, ist unerträglich.

  18. 33.

    „ Verdammt noch mal, Kinder brauchen soziale Kontakte ihres Alters für eine gesunde Entwicklung und die Schule vor Ort!“
    Dafür müssen sie aber gesund sei und auch bleiben. Können Sie verantworten und voraus sehen, dass dem so sein wird.

  19. 32.

    Du kannst nicht lesen und hast einen Beruf? Wir haben beide einen medizinischen Beruf und behandeln schon jetzt Menschen die z.B an den Folgen von Corona leiden. Und nach so viel Selbstmitleid machst Du dir auch Gedanken, um die Gesundheit deines Kindes? Wir wissen nichts über die Corona-Langzeitfolgen !!!!!!!! Nicht an Corona zu sterben heißt nicht gesund zu sein, wenn man Corona überstanden hat oder als genesen gilt. Und wie es Kindern nach einer zweiten oder dritten Ansteckung mit Corona geht, wissen wir auch noch nicht! Und wenn das Kind dann erst in den Brunnen gefallen ist u.s.w Das muss dann jeder von Euch seinem eigenen Kind erklären, warum Schule im Gebäude wichtiger war als die Gesundheit. Aber Ausreden und Begründungen gibt es ja dann bestimmt auch genug. Wir sind in einer Pandemie !

  20. 31.

    Zitat Bernd W.: "Übrigens: Männer sind auch Väter! " Zitat Herbert G.: "Männer sind auch Menschen, Männer sind etwas sonderbar..."

    Ich lass das jetzt mal im Raum stehen.

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