Alle unter 60 Jahre - Auch Vivantes und Charité weiten Impfstopp für Astrazeneca aus

Die Berliner Charité und die Vivantes-Kliniken stoppen alle Impfungen bei unter 60-Jährigen mit Astrazeneca. Zuvor waren bereits Astra-Impfungen für alle weiblichen Beschäftigten unter 55 ausgesetzt worden. Man folge damit Anordnungen der Gesundheitssenatorin.
Nach den Berliner Impfzentren stoppt nun auch die Berliner Universitätsklinik Charité bis auf Weiteres alle Impfungen bei unter 60-Jährigen mit dem Impfstoff des Herstellers Astrazeneca. "Wir werden uns der Ankündigung von Frau Kalayci anschließen", teilte Charité-Sprecherin Manuela Zingl am Dienstag mit. Dem Vorgehen schließt sich auch der Klinikbetreiber Vivantes an, wie eine Sprecherin am Dienstag sagte.
Zunächst hatte die Charité die Impfungen nur für Frauen unter 55 gestoppt. "Dieser Schritt ist aus Sicht der Charité notwendig, da in der Zwischenzeit weitere Hirnvenenthrombosen bei Frauen in Deutschland bekannt geworden sind", sagte die Sprecherin der Klinik, Manuela Zingl, am Dienstagvormittag. Zuvor hatte der Tagesspiegel berichtet.
In Berlin können über 60-Jährige einen Termin für Astrazeneca-Impfungen in Impfzentren ausmachen.
16.000 Personal-Impfungen an der Charité
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte am frühen Nachmittag angekündigt, das Land Berlin stoppe die Impfungen bei Menschen unter 60 unabhängig vom Geschlecht. Dies sei eine Vorsichtsmaßnahme.
Die Sprecherin der Charité betonte, dass in dem Berliner Klinikum keine Komplikationen nach Impfungen mit Astrazeneca aufgetreten seien. Man wolle jedoch vorsorglich agieren und abschließende Bewertungen abwarten. Die Charité habe in der Pandemie bisher rund 16.000 Erst- und Zweitimpfungen an ihr Personal verabreicht. "Davon entfiel der größte Teil auf Astrazeneca", sagte Zingl.
Nach Bekanntwerden dieses Schrittes setzten auch die Vivantes-Krankenhäuser den Impfstoff aus - vorerst ging es hier ebenfalls nur um Frauen unter 55 Jahren "vor allem in der eigenen Belegschaft", teilte eine Sprecherin mit. Inzwischen ist das Geschlecht kein Kriterium mehr, sondern nur noch das Alter unter 60.
Bericht: 70 Prozent der Geimpften bekamen Astrazeneca
Dem Tagesspiegel-Bericht zufolge hat der Vivantes-Konzern bislang zwei Drittel seiner 17.000 Beschäftigten schon geimpft, davon sollen 70 Prozent die erste Dosis des Astrazeneca-Stoffs erhalten haben. Ab Jahreswechsel seien an der Charité und in den Vivantes-Kliniken zuerst Pflegekräfte und Ärzte auf Covid-19-Stationen mit dem Biontech-Mittel geimpft worden, schreibt der Tagesspiegel weiter. In den letzten Wochen sei dann das Personal anderer Stationen, zuletzt auch patientenferne Mitarbeiter mit Astrazeneca geimpft worden. In den nächsten Wochen sollten einzelne Patienten sowie an der Charité Studenten mit Astrazeneca versorgt werden, so die Zeitung.
Auch in anderen Krankenhäusern der Region werde nun darüber beraten, für wen der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers noch eingesetzt wird, schreibt der Tagesspiegel weiter.
Experten befürworten den Stopp der Kliniken
Zuspruch für diesen Schritt der Kliniken gibt es vom SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. "Das zugrundeliegende Phänomen, die HIT (heparininduzierte Thrombozytopenie), ist auch bei Jüngeren häufiger. Ob Frauen viel stärker betroffen ist unklar. Daher macht der Ausschluss <55 Lj wahrscheinlich Sinn", teilte er auf Twitter mit.
Ähnlich hatte sich zuvor der Berliner Infektiologe der Charité, Leif Erik Sander, auf Twitter geäußert: "16 Sinusvenenthrombosen auf 2,3 Mio. Impfungen mit AstraZeneca sind zu viel. Ich kenne leider die ganz exakten Zahlen auch nicht, aber für junge Frauen ist Inzidenz vermutlich >1:100.000. AZ-Impfempfehlung für Frauen <60J. sollte m.E. geändert werden", teilte er auf Twitter mit.
Auch Kreis in NRW stoppte Impfungen
Am Montag hatte der nordrhein-westfälische Landkreis Euskirchen ebenfalls die Astrazeneca-Impfungen für Frauen unter 55 Jahren gestoppt. Dort kam es zu zwei Thrombose-Fällen infolge der Astrazeneca-Impfung. Eine 47-jährige Frau war nach der Impfungen verstorben. Sie hatte wenige Tage nach der Impfung eine Sinusvenenthrombose im Hirn entwickelt. Eine andere 28-jährige Bewohnerin entwickelte nach der Impfung ebenfalls eine Thrombose, sie wird derzeit behandelt.
Mitte März wurden auch in Deutschland die Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca ausgesetzt. Zuvor waren aus mehreren europäischen Ländern Fälle von Blutgerinnseln im Hirn bekannt geworden. Ob die Thrombosefälle in direktem Zusammenhang mit der Impfung stehen, ist umstritten. Nach einer erneuten Überprüfung wurde der Astrazeneca-Impfstoff durch die Europäische Arzneimittel-Behörde (EMA) wieder freigegeben, allerdings unter der Auflage, dass entsprechende Warnhinweise in den Beipackzetteln aktualisiert werden.
Die EMA setzt aber ihre Überprüfung der seltenen Thrombosefälle fort und hat dazu auch eine Expertengruppe einberufen. Eine aktualisierte Empfehlung erwartet die Behörde zwischen dem 6. und 9. April. Ihre vorläufige Überprüfung hatte die EMA mit der Einschätzung abgeschlossen, dass der Impfstoff nicht mit einem Anstieg des Gesamtrisikos von Blutgerinnseln verbunden ist. Zwar könne ein Zusammenhang zwischen einer Impfung und sehr seltenen Blutgerinnseln im Gehirn nicht definitiv ausgeschlossen werden. Man sei jedoch weiter der Ansicht, dass die Vorteile des Mittels die Risiken überwögen.
Sendung: Inforadio, 30.03.2021, 12 Uhr