Home-Schooling in Berlin - Kinderwohngruppen hoffen auf verlängerte Sonderbetreuung

Sa 13.03.21 | 08:09 Uhr | Von Tobias Schmutzler
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Homeschooling in einer Wohngruppe des Trägers Kindeswohl-Berlin: Bei neun Kindern von der 4. bis zur 10. Klasse stapeln sich die Lernbücher. (Quelle: rbb/Tobias Schmutzler)
Video: Abendschau | 12.03.2021 | Tobias Schmutzler | Bild: rbb/Tobias Schmutzler/

Auch Jugendliche, die in Heimen und anderen Wohnformen untergebracht sind, müssen das Home-Schooling meistern. Das Land Berlin fördert mobile Lernteams, die ihnen dabei helfen sollen. Doch die Finanzierung ist bisher nur bis Ende April gesichert. Von Tobias Schmutzler

Jetzt sind die Kartoffeln dran. "2.500 Gramm – wie viel Kilo sind das?" Ein paar Sekunden muss Isabella überlegen. "500 Gramm. Und 2 Kilogramm", sagt die Zehnjährige schließlich und schreibt das richtige Ergebnis in ihr Arbeitsheft. "Genau", lobt Erzieherin Susi. "Und, was fehlt noch?" Schnell notiert Isabella das "kg" für die Einheit.

Solche Aufgaben hat die Viertklässlerin vor Corona in der Schule erledigt. Aber heute sitzt sie im Lernraum ihrer Wohngruppe, einer Einrichtung des Trägers Kindeswohl-Berlin. Hier ist Isabella mit acht anderen Mädchen und Jungs im Alter zwischen zehn und 16 Jahren untergebracht. Die Kinder leben nicht mehr in ihren ursprünglichen Familien, sondern in dieser Einrichtung der stationären Jugendhilfe. Vor fünf Monaten ist Isabella hergezogen.

Wenig Konzentration, viel Ablenkung

Weil für die hier untergebrachten Kinder aktuell kein oder nur zeitweiser Präsenzunterricht in der Schule stattfindet, müssen sie viele Schularbeiten zu Hause erledigen – und ihr Zuhause ist die Wohngruppe. Bei ihren Mathe-Aufgaben gibt sich Isabella viel Mühe, sagt Erzieherin Susi. "Sie macht ihre Arbeit mit Bedacht." Das ist nicht selbstverständlich, denn viele Kinder in Wohngruppen und Heimen stammen aus eher bildungsfernen Familien. Oft können sie sich nicht lange konzentrieren, lenken sich gegenseitig ab und sind wenig motiviert, ihre Schularbeiten zu erledigen.

Neben Isabella sitzt Paul, der schon zweieinhalb Jahre in der Gruppe wohnt. Der 13-Jährige geht gar nicht gern zur Schule. Auf die Frage, welche Fächer er gerne mag, sagt er prompt: "Keins". Auf Nachfrage ringt er sich immerhin dazu durch, dass ihm Mathe, Bio und Chemie zumindest besser gefallen als andere Fächer. Paul scrollt auf seinem Tablet-Computer durch ein Arbeitsblatt mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Die Aufgaben sind knifflig für ihn.

Paul kommt bei der Eins-zu-eins-Betreuung durch die Lernteams besser bei seinen Hausaufgaben voran. (Quelle: rbb/Tobias SchmutzlerPaul kommt bei der Eins-zu-eins-Betreuung durch die Lernteams besser bei seinen Hausaufgaben voran.

Eins-zu-eins-Betreuung, drei Mal pro Woche

Aber selbst für den Lernmuffel gibt es in der Woche gleich drei Home-Schooling-Highlights: Dann kommt ein so genanntes mobiles Lernteam vorbei. Ein Mitarbeiter, den die Bürgerstiftung Berlin schickt, kümmert sich intensiv um ihn und die anderen Schülerinnen. Bei dieser Eins-zu-eins-Betreuung schafft Paul seine Aufgaben sogar besser als in der normalen Schule, sagt er. In der normalen Klasse war es ihm oft zu laut. Zudem hilft ihm die enge Betreuung, wenn sich der Mitarbeiter ganz um den 13-Jährigen und seine Aufgaben kümmert.

Doch nicht nur den Kindern greift das mobile Lernteam unter die Arme, sondern auch den fünf Pädagoginnen, die die Wohngruppe betreuen. Wenn sich zum Beispiel Erzieherin Susi um die Hausaufgabenbetreuung kümmert, gerät sie immer wieder in einen Rollenkonflikt. Auch wenn sie nicht die Eltern sind, haben die Betreuerinnen doch ein emotionales Verhältnis zu den Kindern. Wenn die Fachkräfte dann Schulaufgaben kontrollieren müssen, kann es schon mal Zoff mit den Jugendlichen geben. Die mobilen Lernteams nehmen da etwas Druck raus, auch weil sie als Außenstehende gegenüber den Kindern ganz anders auftreten können – selbst wenn es nur ein paar Mal in der Woche ist.

Wie geht es finanziell weiter?

Das Team, das die Wohngruppe von Paul und Isabella besucht, ist eines von insgesamt 39 Unterstützungsteams in Berlin, die bisher über 900 Kinder und Jugendliche in Heimen und ähnlichen Unterbringungsformen erreicht haben. Das Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) wird seit Anfang des Jahres von der Senatsverwaltung für Bildung finanziert. Nach Angaben der DKJS ist es einmalig in Deutschland. „Mit den Teams unterstützen wir einerseits die Kinder, entlasten andererseits aber auch die betreuenden Personen in den Wohngruppen“, sagt Sholeh Mirrashed, Projektleitung bei der Bürgerstiftung Berlin.

Wegen des hohen Bedarfs wurde die Zahl der Teams von anfangs 20 inzwischen verdoppelt. Mit 840.000 Euro ist das Programm bisher aber nur bis Ende April finanziert. Nach Wunsch der Senatsverwaltung für Bildung und der DKJS soll die Sonderbetreuung bis zu den Sommerferien verlängert werden. Dafür muss der Haushaltsausschuss allerdings noch einmal 800.000 Euro bereitstellen.

Für Erzieherin Stefanie Eick sind die mobilen Lernteams eine Erleichterung. (Quelle: rbb/Tobias Schmutzler)Für Erzieherin Stefanie Eick sind die mobilen Lernteams eine Erleichterung.

"Schwierig, die Situation allein zu meistern"

In der Wohngruppe von Isabella und Paul hofft das Team dringend auf die Unterstützung. Erzieherin Stefanie Eick arbeitet seit vier Jahren in der Einrichtung. "Bei neun Kindern in so verschiedenen Altersstufen ist es für uns oft schwierig, die Situation allein zu meistern." Wenn es nach ihr ginge, dürfte die externe Lernhilfe ruhig auch öfter als drei Mal wöchentlich vorbeikommen. Doch jetzt geht es erstmal darum, dass sie nach April überhaupt noch im Einsatz ist.

Sendung: Abendschau, 12.03.2021, 19:30 Uhr

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Beitrag von Tobias Schmutzler

1 Kommentar

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  1. 1.

    Das ist eines der wichtigsten Investments die das Land Berlin machen kann, um zu vermeiden das Kinder und Jugendliche abgehängt werden! Ich wünschte es wäre selbstverständlich, dass diese Kinder und Jugendliche angemessene Hilfe bekommen nachdem sie nicht mehr in ihren Herkunftsfamilien mehr leben können.

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