Interview | Doku "Charité intensiv: Station 43" - "Trotz der Heftigkeit der Fälle gab es eine unglaubliche Menschlichkeit"

Di 13.04.21 | 08:08 Uhr
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CHARITÉ INTENSIV: Station 43 - Kapitel 3: Hoffen - Film von Carl Gierstorfer und Mareike Müller (28.04.21, 21:00)
Audio: Inforadio | 13.04.2021 | Interview mit Carl Gierstorfer | Bild: rbb/DOCDAYS/Carl Gierstorfer

Auf der Charité-Station 43 kämpfen Mediziner und Pflegepersonal um das Überleben schwer erkrankter Covid-19-Patienten. Der Dokumentarfilmer Carl Gierstorfer durfte den Alltag auf der Intensivstation begleiten. Über seine Erlebnisse spricht er im Interview.

rbb: Herr Gierstorfer, wenn es im Kampf gegen Covid-19 eine vorderste Linie gibt, dann sind Sie dorthin gegangen. Wie ist die Situation auf der Intensivstation?

Carl Gierstorfer: Es ist ein harter Kampf, der natürlich vor allem mit menschlichem Einsatz von Pflegern, Ärzten und Service-Personal geführt wird. Er wird auch mit maschinellem Aufwand betrieben. Auf der 43 im Speziellen bedeutet das, dass man sich auf Organersatz-Therapien spezialisiert hat und schon vor der Pandemie sehr viel Erfahrung mit Lungenersatz-Therapien gesammelt hatte. Und deshalb wurde das bei der Behandlung von sehr schweren Covid-Verläufen sehr wichtig. Deshalb kommt die sogenannte ECMO, die Lungenersatzmaschine, zum Einsatz. Und das ist wirklich der Faktor, der diesen Patienten überhaupt noch eine Überlebenschance bietet.

Damit beginnt auch eine der insgesamt vier Folgen von "Charité intensiv: Station 43", die die Arbeit mit diesen Maschinen dokumentiert. Wie arbeiten diese?

Das ist ein riesengroßer medizinischer Eingriff. Diese ECMO-Maschine funktioniert so, dass fast der gesamte Blutkreislauf über die Maschine geschleust wird durch eine Membran. Dort wird das Blut mit Sauerstoff angereichert. Das CO2 wird abgeleitet, und das funktioniert natürlich nur, wenn man große Zu- und Abgänge in den Körper legt. Unter teilweise hohem zeitlichen Druck, weil die Patienten schon kritisch sind, müssen Schläuche gelegt werden. Die sind fast so dick wie Gartenschläuche. Und das ist ein großer und heftiger Eingriff.

Das Personal arbeitet unter extremem Druck. Das ist bestimmt auch psychisch nicht leicht zu verkraften.

Das ist die größte Belastung. Diese Zeit zwischen kurz vor Weihnachten bis Mitte Januar war extrem. Die Ärzte und Pfleger sind es gewöhnt, weil es eine Intensivstation ist, die schon immer schwere Fälle behandelt hat, dass sie mit dem Tod konfrontiert sind. Nur in dieser Taktung, in dieser Heftigkeit was es für alle neu. Das große Problem ist, dass sie nicht die Zeit gefunden haben, das physisch oder psychisch zu verarbeiten. Es gab nicht genügend Pausen, nicht genügend Zeit der Erholung dazwischen, um das zu verarbeiten. Jeder denkt wahrscheinlich darüber nach, ob man es damit abgehakt hat, oder ob es in irgendeiner Form wieder hochkommt. Eine Ärztin sagte mir, jeder denkt darüber nach, ob eine dritte Welle kommt und ob jeder das nochmal so durchstehen kann, wie in der zweiten Welle.

Mich hat auf der Station 43 zutiefst überrascht, trotz der Heftigkeit der Fälle, dass eine unglaubliche Menschlichkeit immer da war. Ich hätte eigentlich das Gegenteil erwartet, dass man sich, wenn man sich dem ständig aussetzt, auch viel mehr emotional schützt und distanziert. Aber was ich jeden Tag gesehen habe, waren Momente großer Menschlichkeit. Das war eigentlich mein Hauptmotiv, was mich geleitet hat, den Film zu machen. Ich wollte das auch transportieren, denn es wird viel gestorben und es ist auch sehr traumatisch, was man sieht. Was bei mir aber hängen bleibt, ist, dass sich dort das Menschsein auf so vielfältige Art und Weise manifestiert hat, dass ich fast immer noch sprachlos bin.

Es wird in den vier Folgen mehrmals festgehalten, wie Menschen auf der Station 43 sterben. Man hört oft diesen Piep-Ton der Maschinen, den Sie in Bild und Ton festhalten.

Das habe ich mehrmals miterlebt und auch mehrmals dokumentiert. Wenn das Piepen beendet ist, ist das ein besonderer Moment. Das ist der Moment, wenn ein Mensch verstirbt. Ich habe eine Frau begleitet, deren Mann auf der Station lag und auch verstorben ist. Die Frau ist sehr gläubig, und sie hat am Bett ihres Mannes sehr schön gesungen. Dieser Moment hat mich unglaublich berührt. Man hat nicht nur das Piepen, sondern auch das Blinken der Maschinen wahrgenommen. Und dann dieser Gegensatz der Maschinen und der Hoffnung, dem Glauben, der Liebe, all das. In diesem Moment habe ich mich gefragt, ist es eigentlich ein Gegensatz oder ist es in sich auch komplementär? Irgendwie wurde mir auch klar, dass die Maschine nur ein Teil dessen ist, was auf der Station 43 passiert.

Der andere Teil ist natürlich, dass die Maschinen ohne die Empathie, ohne das Mitgefühl, ohne die Liebe und Zuneigung nichts sind. Weil, wenn ich dort als Patient liege, weiß ich ja, die Maschine rettet mir das Leben. Aber das habe ich auch oft in Gesten, Blicken und Gesprächen gesehen. Das allermeiste, was man natürlich will, ist Zuneigung und Zusprache. Jemanden da zu haben, der einen versteht. Und wenn die Maschinen anzeigen, dass sie die Aufgabe, die ihm zugedacht ist, nämlich das Leben zu retten, nicht mehr erfüllen können, treten der Mensch beziehungsweise die Angehörigen wieder in den Vordergrund. Umso menschlicher wird dann auch wieder diese Szene.

Ist es eine Dokumentation über das Leben oder über den Tod?

Über beides. Mir ist dort bewusst geworden, dass Leben und Tod wahnsinnig nahe beieinander sind. Es sind alles Klischees, die man immer sagt, die jeder gehört hat: Genieße jeden Tag deines Lebens, schätze jeden Tag deines Lebens, an dem du gesund bist. Das wird einem dort unglaublich bewusst. Vor meiner Erfahrung auf der Station 43 ist ein Wort aus meinem Wortschatz verschwunden: Demut. Das habe ich nicht mehr benutzt in meinem Leben.

Und dieses Wort ist sehr oft gefallen auf der 43. Und da ist mir auch klar geworden, dass in diesem Wort Demut so viel steckt. Da ist nicht nur Demut vor dem Leben, Demut vor der Tatsache, dass man gesund ist oder der Tatsache, dass man krank ist. Oder Demut vor der Medizin, was sie kann, was sie nicht kann. Aber auch Demut auch vor dieser gesamten Situation, der wir uns jetzt ausgesetzt sehen. Es gibt einfach Mächte oder Prozesse, die sind größer als wir und die können wir nicht kontrollieren. Und da können wir nur versuchen, uns dem zu stellen. So gut wie möglich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Carl Gierstorfer führte Christian Wildt, Inforadio.

Der Text ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Inforadio, 13.04.2021, 10:45 Uhr

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17 Kommentare

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  1. 17.

    Die Fluktuation der Pflegekräfte wird enorm sein, die ständige physische und psychische Belastung wird dazu führen, dass dieser Beruf an Attraktivität verliert. Demut vor dem Leben ist Wahrhaftigkeit. Wer das begriffen hat, lebt authentisch.

  2. 16.

    Ja genau weil so schlimm ist es erst seit Corona, vorher war das total entspannt auf der Intensivstation, lol
    An alle Panik Menschen hier, ihr solltet auch außerhalb von Corona mal auf intensiv gehen um das mal kennenzulernen.
    Und übrigens nicht jeder der das lächerlich findet ist ein Corona leugner, aber das scheint bei manchen CDU Anhängern hier nicht mehr anzukommen

  3. 15.

    Sehr berührende Dokumentation - Dank an alle, die vor Monaten alles getan haben, um leben zu retten und nun in der befürchteten 3. Welle stecken. Und ich hoffe auch, dass die Arbeit des medizinischen Personals eine Aufwertung im gesellschaftlichen Leben erfährt. Und allen Angehörigen mein aufrichtiges Mitgefühl - ich fand es berührend, dass die Menschen nicht allein gelassen wurden auch in allen Stress-Situationen Zeit war, die Hand zu halten und die Sterbenden zu begleiten. Welche Menschlichkeit und Kraftanstrengung und körperliche und seelische Stärke! Danke

  4. 14.

    Sehr berührende Dokumentation - Dank an alle, die vor Monaten alles getan haben, um leben zu retten und nun in der befürchteten 3. Welle stecken. Und ich hoffe auch, dass die Arbeit des medizinischen Personals eine Aufwertung im gesellschaftlichen Leben erfährt. Und allen Angehörigen mein aufrichtiges Mitgefühl - ich fand es berührend, dass die Menschen nicht allein gelassen wurden auch in allen Stress-Situationen Zeit war, die Hand zu halten und die Sterbenden zu begleiten. Welche Menschlichkeit und Kraftanstrengung und körperliche und seelische Stärke! Danke

  5. 13.

    Sehr ruhige, emotionale und informierende Doku.
    Wirklich sehr sehr gut. Kenne es selber von der Neonatologie ITS im Vivantes Neukölln.

    Diese DOKU rührt zu Tränen und sollte allen Leerdenkern als Pflichtprogramm gegeben werden.

  6. 11.

    Danke Danke Danke an das starke Pflegepersonal was sollten wir ohne diese Menschen machen die selbst ihr Leben jeden Tag riskieren auch deren Familien ,Politik wacht auf findet einen demokratischen Fahrplan und nicht unsinnige Abmachungen die Würde des Menschen ist unantastbar und kein Würfelspiel bei solch einer tödlichen Virusgeschichte

  7. 10.

    Die ganz große Keule wird jetzt raus geholt, weil die ganz große Keule erst vor wenigen Wochen ganz große Realität war und die sinkenden Zahlen Schnee von gestern sind und somit die ganz große Keule noch etwas größer grade wieder zurückkommt.
    ...und schneller konnte die ganz große Keule wahrscheinlich nicht fertig gestellt werden. Wächst ja nicht auf den Bäumen so eine Dokumentation.

    Demut war das Wort oder?

  8. 9.

    Vielen Dank an alle Menschen auf den Intensivstationen!
    Danke für die Dokumentation!

  9. 8.

    ... ja auch meine Mutter ist auf dieser Station am 02.11.2020 verstorben. Hut ab vor Allen, die dort Ihren Job machen und trotz der Umstände auch noch Herz und auch Zeit für die Angehörigen haben. Danke.
    Und Allen, die glauben oder meinen, es gibt Corona nicht, schaltet das Hirn ein, soll von Vorteil sein, nicht nur in der Pandemie.

  10. 7.

    Nicht nur wegen corona wichtig das sowas mal gezeigt wird. Was diese Menschen leisten, im Ringen um den Tod. Das sind Schicksale die sie sehen. Da stirbt einer und da ist eine Familie hinter. Man sollte nicht vergessen, was das psychisch mit den Ärzten und Pflegern auch macht. Und vorallem wieder bei den Pflegern ist die Frage, ob sie dafür genug entlohnt werden oder ob man überlegt werden sollte, ob das Geld was man für verschiedenen Berufen dem entspricht was die Leistung ist. Ich denke eher nicht, also ändert daran endlich mal was und verspricht nicht wieder nur heiße Luft!

  11. 6.

    Eine wirklich gute, sehr informative und auch ausgewogene Dokumentation. Der Job auf einer ITS ist extrem. Es geht um Leben und Tod - deshalb auch immer um Würde und Liebe. Das können die Menschen, die dort arbeiten. Respekt und Danke dafür. Wir haben es selbst erlebt - auf der Frühchen ITS der Charite in Mitte. Der Tod wohnt auch dort und damit umzugehen, ist nie leicht.

  12. 5.

    Auf einen solch zynischen Kommentar sollte man ja eigentlich nicht eingehen, aber damit die Dummheit nicht weiter unwidersprochen um sich greift: erst in zwei Wochen werden die Versäumnisse (Dank an den Senat und die untätige Bundesregierung!) der vergangenen sichtbar.

  13. 4.

    Welche Fallzahlen sinken denn bitte?
    Ich höre seit Tagen nur noch von steigenden Fällen.

  14. 3.

    Na wenn auf diese Weise im Querdenkeruniversum die Realität mal ankommt, gerne täglich zur besten Sendezeit!

  15. 2.

    Das Interview und die Doku sollten Pflichtprogramm für alle werden, die immer noch meinen, dass es Corona nicht gibt und wenn doch, dass ja alles nicht so schlimm ist. Wer das danach immer noch meint: Ab auf Station 43 (oder jede andere Station mit Covid-Patienten) und dort arbeiten bis an die eigene Erschöpfungsgrenze! Irgendwas wird es auch für nicht ausgebildetes Pflegepersonal zu tun geben.

  16. 1.

    Da die Fallzahlen und die Todeszahlen sinken, es aber mit dem Impfen nicht so schnell geht, wie man es sich vorgestellt hatte, wird jetzt die ganz große Keule rausgeholt... und gleich noch als Serie, Applaus!

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