Corona und Beziehungen - Gemischte Gefühle

Do 27.05.21 | 06:13 Uhr | Von Wolf Siebert
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Aperol Spritz und Limo steht auf einem Tisch zweier Gäste. (Quelle: dpa/Annette Riedl)
Video: Abendschau | 27.05.2021 | Max Kell | Bild: dpa/Annette Riedl

In der Corona-Pandemie sind zwischenmenschliche Kontakte auf ein Minimum heruntergefahren worden: kaum Treffen mit Freunden - stattdessen Video-Schalte oder Spaziergang zu zweit. Doch Studien zeigen: Die Folgen müssen nicht zwingend negativ sein. Von Wolf Siebert

"Zerstört: Beziehung, Freundschaft, Job verloren!", schreibt ein User auf Instagram. Ein anderer postet: "Einige Freundschaften entzweit, unsere Ehe gefestigt!". Eine Dritte braucht nur ein einziges Wort: "Geheiratet!!!" So vielfältig sind in den sozialen Medien die Antworten auf eine Frage des rbb, wie sich Corona auf Beziehungen und Freundschaften ausgewirkt hat. Monatelang konnten wir nur bestimmte Menschen sehen, unsere Freizeit wurde durch staatliche Verordnungen stark eingeschränkt, und viele saßen plötzlich gemeinsam mit der Familie im Home-Office.

Silvio Reinke aus Leegebruch bei Oranienburg (Oberhavel) arbeitete schon vor der Corona-Pandemie im Home-Office. Der berufliche Alltag zuhause war ihm also vertraut. Er ist 32 Jahre alt, arbeitet als Team-Manager bei einem Online-Händler und ist ledig. Die Bilanz seines Lebensjahres in Zeiten der Pandemie ist ausgesprochen positiv: "2020 hat mich trotz Abstandsregeln noch näher an meine Freunde herangebracht. Wir haben einen starken Zusammenhalt."

Protrait Silvio Reinke. (Quelle: privat)
Silvio Reinke hat vielen Freunden geholfen. | Bild: privat

Freundschaften ordnen sich neu

Janosch Schobin, Soziologe an der Universität Kassel, rechnet damit, dass das Pandemie-Jahr viele Freundschaften kräftig durchschütteln wird. "In Krisen ordnen sich Freundschaften in extremer Weise neu", sagte er in einem Interview mt dem "Spiegel". Die wirklich engen Freundschaften aber könnten sich dabei stabilisieren - unabhängig von Distanz und Kontaktverbot. Viele Menschen würden sich dabei fragen: Mit wem möchte ich weiter befreundet sein?

Der Team-Manager Silvio Reinke kam Ostern 2020 aus dem Thailand-Urlaub zurück - von der Strandbar in Asien direkt in ein Land im Lockdown. Er erlebte, wie Mütter, Väter und alte Menschen häufig überfordert waren, zu viel um die Ohren hatten, sich isoliert fühlten. Reinke beschloss: "Ich will persönlich etwas bewegen." Von diesem Wunsch profitierte Reinkes großer Freundeskreis: Seinen älteren Freunden stand er ab sofort als PC- und Smartphone-Experte zur Seite und half ihnen dabei, den neuen Alltag zu gestalten, mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. "Sie sollten sich bloß nicht vergessen fühlen."

Selfie: Martina Noack. (Quelle: privat)
Martina Noacks Beziehung ist in die Brüche gegangen. | Bild: privat

Entzweit über das Thema Corona

Auch bei Martina Noack aus Berlin hat sich in den letzten 15 Monaten viel verändert - allerdings nicht nur zum Positiven. "Alles war irgendwie neu, ab sofort im Hier und Jetzt!" beschreibt sie den Start ins Pandemie-Jahr 2020. Noack, 40 Jahre alt, ist alleinerziehende Mutter eines neunjährigen Kindes. Sie hatte eine Beziehung mit einem Mann am anderen Ende der Stadt. Diese Beziehung ist in den letzten Monaten gescheitert. Aber nicht aufgrund der räumlichen Distanz, sondern weil beide zu Corona und zu den Pandemie-Maßnahmen grundsätzlich eine andere Haltung hatten. Ein Problem, dass auch in den sozialen Medien immer wieder thematisiert wird – im schlimmsten Fall entzweien sich Familien über den Umgang mit dem Virus.

Trotz dieser Erfahrung wird Martina Noack dieses Jahr nicht nur negativ in Erinnerung behalten, sagt sie. Sie hat sich mitten in der Pandemie einen neuen Job gesucht und arbeitet nun beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) als Personalleiterin. Home-Office und Home-Schooling kann sie dort besser verbinden als im alten Job. Einige Freundschaften seien tiefer geworden, erzählt sie - und sie habe mehr Online-Kontakte als früher.

Jeder Mensch hat drei bis vier enge Freunde, erklärt der britische Psychologe Robin Dunbar. Forscherinnen sprechen von "Herzensfreunden". Diese freundschaftlichen Beziehungen werden durch die Kontaktbeschränkungen eher gestärkt, davon gehen viele Expertinnen aus.

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Noch wenig verlässliche Daten

Die alleinerziehende und voll berufstätige Mutter, der ledige IT-Experte - zwei Schicksale, die sicher nicht repräsentativ, aber ähnlich vielfältig wie die Rückmeldung in den sozialen Medien sind: "Mit Kolleginnen gestritten, wieder zusammengerauft und viel über Toleranz gelernt", "Freundschaften dezimiert, aber in der Summe sind die 'wahren' geblieben", "Mehr Zeit füreinander, kein Freizeitstress mehr" - und auch diese Erfahrung gibt es: "Alles beim Alten geblieben".

Noch fehlen umfangreiche Untersuchungen und verlässliche Daten - auch mit Blick auf die familiären Beziehungen. Aber erste Analysen lassen Tendenzen erkennen: In einer Umfrage des britischen Meinungs- und Marktforschungsinstituts YouGov [de.statista.com] in Deutschland aus dem Mai 2021 schätzten rund 53 Prozent ihre familiäre Situation als "stabil" ein; 23 Prozent hatten dagegen den Eindruck, dass die Pandemie die Familie auseinandergebracht hat.

Längst nicht alle Paare kommen gut durch die Zeit

Clemens von Saldern, Paartherapeut in Potsdam und Berlin, überraschen diese Werte nicht: Lockdowns und weniger Freizeitaktivitäten hätten die Zweisamkeit häufig vertieft, vor allem im ersten Jahr der Pandemie.

Wolfgang Krüger aus Berlin, Psychotherapeut und Autor von diversen Büchern über Beziehungen, wollte es genau wissen. Er hat 200 Paare in einer nicht-repräsentativen Erhebung gefragt: "Wie gut ist ihre Beziehung durch das Pandemie-Jahr gekommen?" Das Ergebnis: 50 Prozent gut, 50 Prozent schlecht. Ein Erfolgsgeheimnis, wie Beziehungen auch in einer außergewöhnlichen Krise überleben können, gibt es laut Krüger nicht. Das hänge auch von den Lebensumständen ab: arbeitslos oder nicht, Home-Office allein, zu zweit oder mit Anhang, eine kleine Wohnung oder viel Raum und viel Platz, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen - das alles wirke sich auf Beziehungen aus.

Aktuelle Zahlen zu Scheidungen im Pandemie-Zeitraum liegen noch nicht vor. Paartherapeut Clemens von Saldern rechnet aber damit, dass sich viele Paare bis zum Ende der Pandemie zusammenreißen. Danach würden die Scheidungszahlen nach oben gehen.

Martina Noack hat in ihrem Bekanntenkreis bereits viele Trennungen erlebt. Andere würden nur noch aus praktischen Gründen zusammenleben: "Weil es in Berlin so wenig bezahlbare Wohnungen gibt."

Sendung: Inforadio, 27.05.2021, 07:05

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Beitrag von Wolf Siebert

9 Kommentare

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  1. 8.

    Ich möchte auch nochmal anmerken, wie unglaublich gut Corona uns bisher auch getan hat!
    Innerhalb kürzester Zeit haben sich unzählige, bedrohte Tierarten ein Stückweit erholt.
    Wenn wir jetzt einfach so weiter machen wollen, wie zuvor, statt daraus zu lernen, werden sich, meines Erachtens, noch schlimmere Mutationen & Viren entwickeln.

  2. 7.

    Ihr "zweigeteiltes Deutschland" dürfte, wenn schon, ein doch eher mehrgeteiltes sein!
    Was Sie so locker flockig als "Kurzarbeit mit vollem Lohnausgleich" von sich geben, ist so locker flockig für die Betroffenen nicht, da Kurzarbeit nur 60% des Lohnes ausgleicht. Und es gibt auch noch schlimmere Umstände!
    Ich selbst lebe jetzt seit mehr als 6 Monaten von nur 219€ staatlicher Unterstützung und musste daher massiv meine, eigentlich fürs Alter gesparten, Vorsorgen angreifen! Meine Kollegen haben solche Vorsorgen gar nicht & müssen sich Gelder von Bekannten leihen, weil sie durch Corona total pleite sind!
    Da können Sie sich ja selbst aussuchen, was Sie lieber hätten!
    Was Sie hier von "fröhlichem Müßiggang" für die, die zwangsweise nicht arbeiten dürfen, erzählen, ist eine Unverschämtheit!
    Und wenn Sie so vollständig mit Arbeit belastet sind, dass kein Platz mehr für einzelne Freundschaften bleibt, läuft, auch ohne Corona, in Ihrem Leben was schief.

  3. 6.

    Geht mir ähnlich. Muss aber nicht unbedingt alles neu ausprobieren Mit 66 ist man gelassener. Telefonate werden eben länger.

  4. 5.

    Genau einen Kommentar zuvor hatte ich selbst meine positiven Erfahrungen zu Treffen MIT Corona geschildert (aufgrund der Uhrzeit waren unser beider Kommentare wohl noch nicht erschienen).
    Was Sie sagen ist eben gar nicht richtig! Ich & meine Freunde haben sich sehr wohl an die Auflagen gehalten, das treffen EINES Bekannten aus anderem Haushalt ist ja schließlich erlaubt gewesen. Gerade dadurch, dass dies so beschränkt war, und Treffen in der Öffentlichkeit mit viel Ablenkung nicht erlaubt, gestaltete sich das jeweilige Treffen stets als sehr besonders & viel tiefer, als ich es je zuvor erlebt hatte.
    Was Sie da sagen & dahinwerfen mit "extra viel Kontakt", trifft das Thema ja gar nicht! Vielleicht könnenSie sich aber auch gar nicht vorstellen, Leute einzeln statt im Pulk zu treffen. So hört sich das in Ihrem Kommentar zumindest an.

  5. 4.

    Ich sehe das mal so: Diese etwas anderen und sicher für viele auch härteren Zeiten haben nur das verstärkt, was sowieso schon schlummerte. Leicht angespannte Beziehungen wurden noch angespannter und einige gingen auch auseinander. Richtig gute Beziehungen und Freundschaften festigten sich. Und ja... Menschen mit ehedem schon schwierigen Sozialverhalten sind nun endgültig im Abseits. Für mich können die auch da im Abseits bleiben.
    Wer vor Corona ein angenehmes Umfeld, gute Freundschaften und Beziehungen hatte, konnte diese auch weiterpflegen und kam sicher wesentlich besser durch diese Zeit als Menschen mit rudimentärem Sozialverhalten. Wer sein Sozialleben nur auf Party- und Clubbekanntschaften vorher aufbaute, schaute ein Jahr lang in ein schwarzes Loch!

  6. 3.

    Auch hier eine Zweiteilung Deutschlands: die einen haben Kurzarbeit bei vollem Lohnausgleich, gehen mit Walkingstöcken oder radeln durch die Vororte, schnattern und freuen sich, können sich um die Kinder kümmern, alles supi, und die anderen arbeiten weiter vor Ort im Betrieb, ersetzen nebenbei die fehlenden Kollegen, machen nachts Homeschooling, versuchen in den geschlossenen Läden Schuhe für die Kids zu bekommen, und können an so einen Quatsch wie "Freundschaften" gar nicht denken! Der Tag hat eben nur 24 Stunden. Für Schöngeistiges ist da kein Platz.

    Deswegen ist es auch egal, wer da jetzt was genau in Kultur und Lebensart öffnet - ich kann nicht dabei sein. Ich ziehe durch seit März 2020. Wie lange das bei den Menschen noch gut geht, ist fraglich.

    Die Müßiggänger werden auf jeden Fall Probleme haben, wieder zurück zu finden ins "System".

  7. 2.

    Der "IT Experte" hat damit also gegen sämtliche Auflagen und Regeln verstoßen, indem er extrem viel sozialen Kontakt in dieser Zeit hatte, das ist also plötzlich in Ordnung weil er ein "guter" ist.
    Hätte sich übrigens jeder strikt an alle Vorgaben gehalten hätten wir so gut wie keine Beziehungen mehr, von daher, alle die den lockdown positiv für ihre Beziehung und Kontakte gesehen haben, haben sich eben genau nicht daran gehalten.

  8. 1.

    Interessantes Thema! Finde ich gut, dass das hier so mal kommt!
    Ich selbst habe meine engsten Freunde & auch meinen Bruder zwar insgesamt weniger, dafür aber, wenns denn so war, um so intensiver & ja, besser! getroffen.
    Besonders erstaunlich gut waren da die Treffen mit meinem besten Kumpel in seiner (großen)Küche, wo wir wegen Corona, wie an einer Schlosstafel im Film, meterweit voneinander saßen. Aufgrund der Ruhe und unserer alleinigen Zweisamkeit hatten wir so gute Gespräche wie noch nie! (Zuvor hatten wir uns stets, über Jahre, irgendwo im Lokal getroffen.
    Dazu gehört allerdings, dass ich mit meinen engsten Menschen, hinsichtlich Corona & den damit verbundenen Schwierigkeiten, überein stimme. Wenn ich hier lese, dass sich Paare wegen unterschiedlicher Meinungen zu Corona getrennt haben, denke ich, dass sie eh nicht glücklich zusammen geworden wären.

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