Nebenwirkungen und Schutz - Was Forscher zu Corona-Impfungen bei Kindern sagen

Die Ständige Impfkommission spricht nun eine allgemeine Covid-19-Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige anstatt wie bisher nur für Kinder mit Vorerkrankungen aus. Ein Überblick darüber, welche Vorteile und Risiken sich gegenüberstehen, hat Haluka Maier-Borst
Seit Wochen wird über das Für und Wider von Kinderimpfungen gegen Corona diskutiert. Expertinnen und Experten scheinen immens unterschiedliche Meinungen dazu zu haben. Vielleicht darum erst einmal das Wichtigste vorab und einige Punkte, in denen sich alle weitestgehend einig sind.
Covid-19 ist eine ernste Krankheit. Und es ist eine Krankheit, die vor allem den Alten und Schwachen Sorgen machen muss. Das Risiko eines schweren Verlaufes steigt exponentiell mit dem Alter. Gewisse Vorerkrankungen vervielfachen die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit bleibende Schäden hinterlässt.
Umgekehrt heißt das auch, dass gesunde Kinder eine wesentlich geringere Wahrscheinlichkeit haben, einen schweren Verlauf zu durchleben. Dennoch gibt es Argumente für und gegen eine allgemeine Impfung von Kindern, welche die Ständige Impfkommission (Stiko) nun neu empfiehlt. rbb|24 versucht, diese Pros und Contras basierend auf der Studienlage darzustellen.
Krankenhaus und tödliche Verläufe bei Kindern
Schwere Verläufe, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, kommen laut einer RKI-Erhebung mit Daten bis Juni bei Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahren in etwa 1 Prozent der Fälle vor [rki.de] und bei Säuglingen unter einem Jahr in etwa 2 Prozent der Fälle vor.
Noch seltener ist, dass Corona für Kinder und Jugendliche tödlich endet. In der selben Auswertung, die nur Fälle beachtet, bei denen die Covid-19-Erkrankung explizit als Todesursache angegeben worden war, entfallen gerade einmal 12 Todesfälle auf die Altersgruppe unter 18. Die meisten davon mit erheblichen Vorerkrankungen.
Speziell letzterer Fakt zeigt, dass es eben bei den Impfungen von Kindern und Jugendlichen nicht darum geht, Todesfälle zu verhindern. Gleichzeitig lässt sich aber auch argumentieren, dass ein Prozent an Hospitalisierungen durchaus ein Problem werden kann bei einem hochansteckenden Virus wie Sars-CoV-2, das zwangsläufig entweder jeden einmal ansteckt oder bei dem dank Impfung genau das nicht eintritt.
Umgerechnet auf die Zahl der Kinder und Jugendlichen bedeutet das, dass ohne Impfung mehrere 10.000 Kinder und Jugendliche irgendwann wegen einer Ansteckung mit dem Corona-Virus ins Krankenhaus müssten. Und dadurch, dass die Delta-Variante ansteckender ist, bedeutet es auch, dass mehr dieser Kinder gleichzeitig behandelt werden müssten.
Long-Covid bei Kindern
Nur weil ein Kind oder ein Jugendlicher nicht ins Krankenhaus musste, schließt das Komplikationen wie Long-Covid nicht aus. Wie genau solche Langzeitfolgen aussehen ist derzeit noch schwer abzuwägen und auch eine Frage der Definition. Und auf den ersten Blick scheinen sich hier die Studien teils zu widersprechen. So zeigte eine britische Studie, erschienen im Fachmagazin "Lancet Child & Adolescent Health" [thelancet.com], dass im Mittel Kinder zwischen 5 und 17 Jahren nur 6 Tage krank waren, wenn sie sich angesteckt hatten.
Gleichzeitig verweist das statistische Bundesamt für Großbritannien darauf [ons.gov.uk], dass auch fünf Wochen nach der Infektion mehr als 13 Prozent der Kinder im Alter zwischen 12 und 16 über Symptome wie Erschöpfung und Kopfschmerzen klagten. In der Vergleichsgruppe, die sich nicht infiziert hatte, klagten rund 2 Prozent über ähnliche Beschwerden.
Vorsichtig lässt sich aber vielleicht Folgendes sagen: Long Covid scheint selten bei Kindern und Jugendlichen zu sein. Und wenn es auftritt, dann eher auch bei den älteren Jahrgängen. Dann scheint es sich über die Zeit wieder zu legen. In einer australischen Studie mit 171 Kindern mit Corona-Infektionen klagten zwar drei bis sechs Monate nach der Erkrankung noch etwa 8 Prozent über Beschwerden. Nach einem Jahr waren diesen jedoch gänzlich weg [nih.gov].
Nebenwirkungen der Impfungen bei Kindern und Jugendlichen
Hier gilt es zunächst einmal zu unterscheiden. Fieber, Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit und dergleichen direkt nach der Impfung sind keine Nebenwirkungen im klassischen Sinne. Sondern es sind Impfreaktionen, die darauf deuten, dass das Immunsystem reagiert.
Wichtig dagegen sind ernsthafte Komplikationen. Diese sind in den Studien mit einigen Tausend jungen Patientinnen und Patienten nicht aufgetaucht. Seit dem Start der Impfkampagnen mit mehreren Millionen Geimpften gibt es aber Berichte aus den USA und Israel dazu, wie häufig eine sogenannte Herzmuskelentzündung, Myokarditis, auftritt. Davon sind vor allem junge Männer betroffen.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass diese Komplikation extrem selten ist und die israelischen Daten aufgrund der kleineren Größe der Bevölkerung potenziell größeren Schwankungen unterliegen können als die amerikanischen. So oder so deutet aber einiges darauf hin, dass die sehr seltene Erkrankung bei der Impfung tendenziell seltener auftritt als bei der Infektion.
Der Charité-Impfstoffforscher Leif Erik Sander fasste die Abwägung aus seiner Sicht vor einigen Tagen wie folgt zusammen: "Unterm Strich würde ich darum lieber dieses gut abzuschätzende, sehr kleine und auch gut zu beobachtende Risiko der Impfung eingehen als alle möglichen Folgen von Covid-19 bei Kindern."
Was alle anderen potenziellen Nebenwirkungen angeht, sei zudem darauf verwiesen, dass es noch viel seltener bei Impfstoffen zu Langzeitnebenwirkungen kommt, die sich aber anfangs nicht abzeichnen und erst verspätet auftreten. "In der Regel taucht der Großteil der Nebenwirkungen bei Impfungen eher zeitnah im Anschluss an die Impfung auf", sagte Carlos A. Guzmán, Impfstoffforscher am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig schon im letzten Jahr zu rbb|24.
Was ist der Effekt der Impfungen von Kindern und Jugendlichen auf die Infektionsdynamik?
Das ist eine hochkomplexe Frage. Zunächst einmal haben Kinder und Jugendliche mehr Kontakte jeden Tag und in dieser Hinsicht das Potenzial, einen Erreger mehr an andere weiterzugeben. Bei Sars-CoV-2 scheint aber dem womöglich entgegenzuwirken, dass die Jüngeren ein anderes Immunsystem und ein kleineres Lungenvolumen haben.
Konkret bedeutet dies zum einen, dass es zwar Ausbrüche in Schulen gibt, doch diese bei gegebenen Vorsichtsmaßnahmen wohl deutlich reduzieren lassen. Und dass sich in der Regel eher Lehrkräfte bei anderen Lehrkräften anstecken oder sie ihre Schüler anstecken anstatt dass das Virus innerhalb der Schülerschaft kursiert [cdc.gov]. Hauptsächlicher Treiber der Pandemie scheinen Kinder, vor allem Jüngere, vor diesem Hintergrund nicht unbedingt zu sein.
Gleichwohl argumentieren Epidemiologen und Virologen aus zwei Gründen dafür, die Ausbreitung des Virus bei Kindern und Jugendlichen einzudämmen. Zum einen, weil auch der kleinere Anteil den Kinder und Jugendliche zum Infektionsgeschehen beitragen dafür sorgen kann, dass die Zahl der Infektionen stetig exponentiell steigt. Zum anderen könnten die Kinder quasi als Reservoir für das Virus dienen, in dem sich neue Varianten entwickeln.
Der Virologe Julian Tang von der Universität Leicester plädierte darum im Fachjournal "Nature" für eine Impfung der Kinder [nature.com]. Die Biostatistikerin Ursula Berger von der Ludwig-Maximilians-Universität München dagegen sprach sich im Gespräch mit rbb|24 dafür aus, eher auf andere Methoden zu setzen, als die Kinder und Jugendlichen vorrangig zu impfen. Am Ende ist es also unter anderem eine Frage der Risikoabwägung und des Blicks auf andere Maßnahmen, wie Expertinnen und Experten Kinderimpfungen einschätzen.
So oder so sollte man aber vielleicht sagen, dass die Impfungen der Kinder und Jugendlichen sehr wahrscheinlich nichts fundamental ändern. Weder droht ihnen aufgrund der Seltenheit der Komplikationen große Gefahr durch eine Impfung. Noch sind sie eben die Treiber der Pandemie, ohne deren Impfung sich Covid-19 nicht stoppen lässt.