Hohe Corona-Zahlen - Warum Boostern die vierte Welle brechen könnte
Booster- oder Auffrischungsimpfung wird die dritte Spritze gegen Covid genannt. Die Bezeichnung verschleiert dabei, wie wichtig diese Impfung sei, meinen Ärzte und Wissenschaftler. Von Nico Hecht
Die Bezeichnung Auffrischungsimpfung führt in die Irre. Da sind sich die Wissenschaftler mittlerweile einige. Denn das klingt, nach "ganz hilfreich, aber nicht unbedingt nötig". Das Gegenteil sei der Fall: "Wir sehen, dass man auch mit zwei Impfungen nicht lebenslang vor einer Infektion geschützt ist.", sagt der Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Reinhold Förster. Das würden Hausärzte in ganz Deutschland im Moment bei Patienten miterleben.
Nach einem halben Jahr lässt der Impfschutz deutlich nach
Eine gefährliche Entwicklung, die die Wissenschaftler gerade überall beobachten sei, dass die Schutzwirkung bei Menschen deren Impfungen vier bis sechs Monate her ist, nachlasse, sagt Förster. Sie infizierten sich wieder. Das beträfe vor allem die besonders Gefährdeten in der Bevölkerung, die Älteren und Vorerkrankten.
Außerdem sei mittlerweile klar zu erkennen, dass sich auch geimpfte Menschen infizieren, daran aber kaum oder nur mild erkranken. Trotzdem würden sie während dieser Zeit "doch viel Virus ausscheiden und andere Leute anstecken können", sagt Förster. Da kaum oder nur mild Erkrankte, das selber oft nicht wahrnehmen, sondern sie sich kaum ab. Für den Immunologen ist das ein Grund, warum das Pandemiegeschehen im Moment so schlecht kontrollierbar sei. Beide Entwicklungen könnten aber mit breit angenommenen Booster-Impfungen wieder in den Griff bekommen werden. Davon ist Immunologe Förster überzeugt.
Booster-Kampagne wirkt in Israel erfolgreich
Die Amtsärztin von Berlin Spandau, Gudrun Widders, ist Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko). Sie schätzt, dass es schon bald eine Empfehlung geben wird nicht nur dringend die Gefährdeten ein drittes Mal zu impfen, sondern auch schnell alle anderen. "Natürlich hat sich die Stiko auch die Studien zu Infektionsentwicklungen in Israel angeguckt", sagt Widders. Dort war es im Sommer zu hohen Inzidenzen gekommen. Dabei waren dort sogar schon fast 90 Prozent der Bevölkerung zweifach geimpft. Als den Menschen dort daraufhin Auffrischungsimpfungen angeboten wurden, nahm die Bevölkerungen das auf breiter Ebene an. Die Inzidenzen fielen daraufhin binnen Wochen von über 200 auf knapp 50.
Wissenschaftler berechnen Booster-Modell für Deutschland
Ob dieser Effekt auch in Deutschland wirken könnte, haben Mobilitätsforscher an der Technischen Universität Berlin untersucht, der Wissenschaftler Sebastian Müller ist optimistisch. "Unsere Modelle zeigen, wenn wir es schaffen, am Tag ein Prozent der Bevölkerung zu boosten, können wir die vierte Welle brechen."
Das Team berechnet anhand von Modellen, wie oft Menschen in Städte aufeinandertreffen und sich dabei anstecken könnten, beispielsweise für Berlin. Dafür simulieren die Forscher die Tagesabläufe aller Einwohner, vom Aufstehen über den Weg zur Arbeit, bis zum Einkaufen oder dem Restaurantbesuch am Abend.
Für die Pandemie haben sie so bereits berechnet, welche Maßnahmen welche Effekte erzielen: etwa wenn mehr und mehr nur im Homeoffice arbeiten oder wenn die Restaurants geschlossen werden.
Für Booster-Impfungen zeige das Modell deutlich: Wenn es gelinge, so viele Menschen wie im Sommer zu impfen, etwa ein Prozent der Bevölkerung am Tag, könnten die Infektionsketten durchbrochen werden. Die Inzidenzen würden recht schnell wieder deutlich fallen, so Müller.
Allerdings brauche es etwa einen Monat, bis dieser Effekt eintreten würde. Deshalb seien zur Überbrückung auch andere Maßnahmen nötig. "Denkbar wäre dabei, die 2G-Regel mit einer breit angelegten Teststrategie, die auch Geimpfte miteinschließt.", sagt Müller. Ein deutlicher Appell des Wissenschaftlers an die Politik. Denn noch gelten andere Testrichtlinien. Außerdem fehlen in Berlin aktuell auch die Impfkapazitäten, um eine Impfquote wie im Sommer zu erreichen. Von den sechs Impfzentren im Sommer sind zurzeit nur noch zwei offen.
Experten sind sich aber auch einig: Es braucht langfristig nicht nur möglichst viele Booster-Impfung sondern auch mehr Impfwillige überhaupt.
Sendung: Inforadio, 11.11.2021