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Video: Abendschau | 18.11.2021 | Rainer Unruh | Quelle: dpa/Schoening

Brandbrief an Geschäftsleitung

Kinderärzte des Virchow-Klinikums warnen vor kritischer Lage in Rettungsstelle

Es fehlten Betten und Kinder müssten teils Stunden auf Behandlung warten: Das sind Vorwürfe, die Kinderärzte der Rettungsstelle des Virchow-Klinikums äußern. In ihrer Notlage haben sie sich nun an die Charité mit einem Brandbrief gewandt. Von Stephan Ozsváth.

Die Schilderungen des Assistenzarztes, der lieber anonym bleiben möchte, sind drastisch. Manche der kleinen Patienten in der Kinder-Rettungsstelle des Virchow-Klinikums müsse er bis zu sieben Stunden warten lassen, wenn sie nicht lebensbedrohlich erkrankt seien. Manche zögen auch unbehandelt wieder ab.

Da Betten fehlten, müssten die Kinder auf den Gängen der Rettungsstelle abgestellten werden, die Bereiche seien in "nicht-infektiös" und "infektiös" aufgeteilt, manche Kinder müssten sich dort erbrechen, "das ist nicht schön, wenn man da durchlaufen muss", sagt der Arzt dem rbb.

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Lage habe sich durch Pandemie verschärft

Zu tun hat er nach eigenen Angaben derzeit weniger mit Corona-Fällen, sondern vor allem mit Durchfall, Husten, Schnupfen und Fieber, aber auch seltenen Krankheiten. Schon vor Corona sei die Situation "an der Oberkante dessen" gewesen, "was zu schaffen war", sagt der Arzt und führt das auf ein "kaputt gespartes System" zurück.

Der Krankenstand unter den Medizinern der Rettungsstelle sei hoch, "weil man sich immer häufiger an den infektiösen Patienten ansteckt" und der Stress groß sei. Vor allem abends und in den Nachtstunden käme jetzt eine "nicht zu bewältigende Zahl an Patienten", das habe sich in der Corona-Pandemie verschärft, denn überall fehlt es an Betten. Auch nach Brandenburg habe er schon Patienten geschickt, weil er in Berlin kein freies Bett mehr fand, sagt er dem rbb, "wenn die Familie einen eigenen PKW hatte". Die Suche nach Betten schlucke Zeit, die für die Behandlung fehle.

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Viele Kinderärzte hielten dem Druck nicht mehr stand

Um die Löcher in der Personaldecke zu stopfen, werde Personal von den Stationen abberufen, "damit die Notfallversorgung aufrecht erhalten werden kann". Aber Löcher in der Rettungsstelle zu stopfen, reiße welche auf Station. Und auch diese Kolleg:innen seien überlastet, "drei bis fünf Überstunden" pro Tag seien normal, stellt er fest. Manche hielten diesem Druck nicht mehr stand, kündigten, oder engagierten sich mehr in der Forschung. "Es wird halt deutlich, dass das Personal da nicht mehr mitmachen kann".

Um auf den Notstand aufmerksam zu machen, hatten er und andere Assistenzärzte des Otto-Heubner-Centrums sich in einem Brandbrief an die Geschäftsleitung der Virchow-Klinikums gewandt und Forderungen gestellt. Sie wollen, dass die Rettungsstelle mehr "frische" Mediziner bekommt, die Kinderarzt-Praxen sollten ihre Sprechstunden bis in den Abend ausdehnen und es solle eine zentrale Bettenkoordination "für die Kinderrettungsstelle" geben, denn die Suche nach Betten fresse viel Zeit, die dann bei der Behandlung fehle.

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Charité nehme Anliegen ernst

Nach den Worten des Assistenzarztes wollen die Mediziner mit dem Brandbrief den Senat als letztlich Verantwortlichen der landeseigenen Kliniken des Vivantes-Verbundes und der Charité erreichen. "Weil am Ende des Tages jeder, der in der Rettungsstelle steht und zu spät einen Patienten erstbehandelt und da Sachen verzögert werden, selber mit diesem Fehler umgehen muss", sagt er. Die Verantwortung will er "zurücklegen, damit irgend etwas passiert".

Die Geschäftsleitung der Charité, zu der auch das Virchow-Klinikum gehört, erfuhr erst durch rbb-Nachfragen von dem Brief der Assistenzärzte. Man nehme ihre Anliegen ernst, teilte die Charité-Pressestelle mit. "Das hohe Patientenaufkommen" ergebe sich aufgrund der "in diesem Jahr sehr hohen Zahl an RSV-Infektionen", also Erkrankungen der Atemwege. Die Covid-19-Situation spanne die Situation im Haus zusätzlich an, sowie "stark eingeschränkte Verlegungsmöglichkeiten in andere Berliner oder Brandenburger Kinderkliniken und krankheitsbedingte Ausfälle in der Rettungsstelle".

Man sei "bestrebt, die Situation zu verbessern, soweit das in der derzeitigen Pandemiephase möglich ist". Es seien "neue Mitarbeiter in der Rettungsstelle eingestellt" worden, man bemühe sich weiter "um eine zeitnahe Verlegung von Kindern", die aus "Kapazitätsgründen nicht stationär aufgenommen" werden könnten. "Zudem wollen wir über die Kassenärztliche Vereinigung Berlin eine Ausweitung der KV-ärztlichen Sprechzeiten auf die Abendstunden erreichen". Letzteres hatten die Assistenzärzte in ihrem Brandbrief auch gefordert.

Sendung: Inforadio, 18.11.2021, 13:52 Uhr

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