Interview | Situation auf Intensivstationen - "In der Mehrzahl sind es wirklich ungeimpfte Patienten"

Di 16.11.21 | 17:37 Uhr
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Archivbild: Intensivpfleger Rüdiger Piske arbeitet am 20.04.2021 auf der Intensivstation des Krankenhauses Bethel Berlin an einer an Covid-19 erkrankten Patientin. (Quelle: dpa/Kay Nietfeld)
Video: Abendschau | 16.11.2021 | Ulli Zelle | Bild: dpa/Kay Nietfeld

Jung und ungeimpft oder alt, vorerkrankt und geimpft. Das sei oft das Bild auf den deutschen Intensivstationen, erklärt der Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Und er hat Vorschläge für das Eindämmen der aktuellen Welle.

rbb|24: Herr Marx, auch Geimpfte müssen auf den Intensivstationen wegen Covid-19 behandelt werden. Warum gibt es trotz Impfung so schwere Verläufe?

Gernot Marx: Wir sehen Patienten, die geimpft sind, auch auf unseren Intensivstationen. Das sind entweder ältere Patienten, die noch nicht geboostert sind, oder Patienten, die eine schwere Erkrankung haben und auch coronapositiv sind, aber nicht deswegen auf die Intensivstation kommen. Wir sehen aber insbesondere viele, viele Ungeimpfte.

Mit wem man auch im Moment spricht, in der Mehrzahl sind es wirklich ungeimpfte Patienten. Nach wie vor gilt, wer geimpft ist, ist in aller Regel geschützt vor schweren Verläufen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir wirklich Gas geben beim Boostern. Wir boostern inzwischen 0,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger pro Tag, das muss mindestens ein Prozent werden.

Das genaue Verhältnis von geimpften zu ungeimpften Covid-19-Patient:innen auf den Intensivstationen ist aber nicht für jedes Bundesland bekannt. Warum eigentlich nicht?

Die Zahlen werden noch nicht systematisch erfasst, das wird aber gerade gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut vorbereitet. Also bald haben wir dann die Zahlen, die ja tatsächlich wichtig sind, um die Lage beurteilen zu können.

Aber es ist auch eine technische Herausforderung. Wir haben knapp 1.300 Krankenhäuser, die wir abfragen. Das muss entsprechend vorbereitet sein, damit es funktioniert. Und auch der Datenschutz muss berücksichtigt werden.

Prof. Dr. Gernot Marx. (Quelle: Daniel Carreño)
Daniel Carreño

Gernot Marx ist Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care des Aachener Universitätsklinikums und Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).

Müssen geimpfte und ungeimpfte Covid19-Patient:innen auf Intensivstationen unterschiedlich behandelt werden?

Auch da haben wir jetzt in der vierten Welle noch keine wissenschaftlichen Auswertungen. Aber nach meiner persönlichen Erfahrung zeigt sich, wenn man erst einmal einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung genommen hat, dann ist die Behandlung bei Geimpften und Ungeimpften gleich und auch die Verläufe sind gleich. Das hängt dann eher vom Alter ab. Je jünger die Patienten sind, desto besser können sie mit der Krankheit umgehen.

Warum liegen dann jüngere Covid-19-Patient:innen im Schnitt länger auf den Intensivstationen als ältere?

Jüngere Patienten sind widerstandsfähiger, wir können Ihnen besser zurück ins Leben helfen. Denn natürlich macht es einen Unterschied, ob die eigene Immunabwehr 30, 50 oder 70 Jahre alt ist. Daher ist es tatsächlich so, dass die jüngeren unsere Unterstützung länger benötigen aber oft eben auch erfolgreicher sind. Das heißt, wir gehen da von einer längeren Liegedauer aus. Im Moment sind wir da etwa bei 20 Tagen im Schnitt.

Auf so lange Liegezeiten sind Intensivstationen außerhalb von Pandemien aber eigentlich nicht vorbereitet. Wie lange halten Sie die aktuelle Welle durch, bis die Stationen voll sind?

Das ist eine ganz einfache Rechnung. Wir haben letzte Woche zum Beispiel insgesamt 1.662 Intensivpatienten mit Covid-19 frisch aufgenommen. Auf der anderen Seite sind in der letzten Woche 579 Patienten verstorben. Das heißt wir hatten in der Summe etwas über 1.000 zusätzliche Patienten auf der Station. Die bleiben im Mittel 20 Tage. Wenn jetzt jeden Tag 200 dazukommen, baut sich eben so langsam aber sicher diese Welle auf, die wir gerade sehen.

Trotzdem ist das Impftempo niedriger, als Sie es sich wünschen. Was bleibt noch an Möglichkeiten?

Wir haben im Moment eine wirklich beunruhigende Dynamik des Infektionsgeschehens. Deswegen sind unsere Forderungen ganz klar, wir müssen jetzt ganz schnell bundeseinheitliche Beschlüsse haben, um das Infektionsgeschehen umgehend einzudämmen. Also Kontaktbeschränkungen, Maskentragen in Innenräumen.

Was wir auch brauchen, ist eine Testpflicht in Pflegeheimen für Mitarbeiter und Besucher, auch wenn sie geimpft oder genesen sind – einfach um die ungeimpften Patienten besser zu schützen. Weil natürlich sind auch Geimpfte positiv und verbreiten das Virus, ohne es zu merken – wenn auch deutlich kürzer als Ungeimpfte. Vor allem aber brauchen wir eine Verbesserungen des Impfangebots an Neuimpfungen und auch an Boosterimpfungen. Dafür brauchen wir auch die Betriebs- und Fachärzte.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Martin Adam.

Sendung: Abendschau, 16.11.2021, 19: 30 Uhr

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16 Kommentare

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  1. 16.

    ...und der Zuwachs der letzten sieben Tage sollte durch die Abgänge der letzten sieben Tage (nicht nur der Toten) bereinigt werden. Eigentor, würde ich mal sagen oder um's mit meinem Mathelehrer auszudrücken: 5! Setzen!

  2. 15.

    In der Tat, zumal es heißt, dass eine Impfpflicht eingeführt werden könne für "bedrohte Teile der Bevölkerung", "wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist".
    Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/impfpflicht-berufsgruppen-105.html

    Das trifft auf Corona zweifelsfrei zu.

  3. 14.

    @ Tuffel: Zumindest kann man den diesbezüglichen Frust der Mitarbeiter/innen in den Krankenhäusern sehr gut verstehen.

    @ S.: Ich glaube, die allermeisten Menschen hatten Angst, zumindest ein mulmiges Gefühl, vor der Impfung. Sie haben die Risiken gegeneinander abgewogen und sich ihrer Angst gestellt.
    Wenn jemand zu seiner Angst steht, dann kann man an diesem Punkt ansetzen und miteinander reden. Hinzu kommt, dass manche Impfskeptiker vielleicht einen Ansehensverlust befürchten, wenn sie monatelang vehement gegen eine Impfung gewettert haben und dann doch "klein bei geben".
    Mir kommen diese psychologischen Komponenten im politischen, medizinischen und öffentlichen Diskurs viel zu kurz.
    Nichtsdestotrotz halte ich es für wichtig, dass auch offen klargestellt wird, dass bei einer eventuellen Triage Geimpfte für ihren Mut und ihren Dienst an der Gesellschaft bevorzugt werden. Nicht Impffähige sind natürlich ein Sonderfall, ist denke ich inzwischen klar.

  4. 13.

    Nicht alle Leute, die sich nicht haben impfen lassen, tun dies aus Egoismus oder Querdenken, etc. . Manchmal fällt es mir auch schwer, aber Mitgefühl ist doch gerade jetzt wichtig. Viele haben Ängste, entweder vor der Impfung oder vor Corona oder beidem. Auch ich hatte Angst wegen der Impfung, aber noch mehr Angst vor einem Klinikaufenthalt. Durch die Impfung konnte und kann ich nun vieles machen, was mir vorher sehr erschwert oder unmöglich war. Ich hoffe einfach, dass sich noch weitere Menschen dazu entschließen, vor allem für den eigenen Schutz und den der älteren Menschen. Auch macht es psychisch viel aus, nicht in permanenter Angst vor einer Ansteckung sein Leben unnötig stark einzuschränken. Wie es mit der Impfung und Corona weitergeht, sehen wir erst in einiger Zeit. Beides hat Risiken und Nebenwirkungen, aber von meiner Sicht hat die Impfung zumindest nach derzeitigem Stand Vorteile im Gegensatz dazu, auf seinen gesunden Körper alleine zu vertrauen und das ist es z. B. was für mich zählt.

  5. 12.

    Jetzt muss der sich verantwortlich gegenüber der Gemeinschaft verhaltende Geimpfte nsch Herzinfarktoder Unfall, damit rechnen, bei Triage zum Tode verurteilt zu werden, wenn der ungeimpft an Covid erkrankte die bessere Überlebenschance hat?
    Länger leiden und Schmerzen ertragen wegen abgesagter OP muss so jemand Jetzt schon.

  6. 11.

    Als geimpfter Mensch verliert man gegen über diesen Mensche die ungeimpft ins Krankenhaus kommen Mitleid zu haben, das ist traurig aber war!!

  7. 10.

    Sind sie nicht, denn diese Zahlen suggerieren, dass nur tote Patienten die ITS verlassen haben.

    Ferner bedeutet 20 Tage im Durchschnitt nicht, dass alle so lange bleiben, sondern es ist eben ein Durchschnittswert, manche bleiben nur 3 Tage und andere eben 60 Tage.

  8. 9.

    Wer das Interview - mit der Einschränkung, daß der Interviewer die deutsche Grammatik nicht beherrscht - liest, der fragt sich, warum bei über 96.000 Toten immer noch keine Impfpflicht angeordnet und alles nur zerredet wird.

  9. 8.

    Ich fühl mich da nicht gegängelt. Find das in Ordnung, zb bei Veranstaltungen. Und vor allem wenn Maske/Abstand nicht möglich....In Discos usw.

  10. 7.

    Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Wenn also 1662 COVID Intensivpatienten letzte Woche NEU hinzugekommen sind und diese im Schnitt 20 Tage dort bleiben, dann wird nach 7 Tage wahrscheinlich KEINER von denen gesund wieder rausgekommen sein. Mag sein, dass in den letzten 7 Tagen Menschen gesund aus der Intensivstation raus sind, aber die sind wahrscheinlich schon vor mehr als einer Woche reingekommen. Hier geht es aber um den Zuwachs in 7 Tagen. Somit sind die Zahlen KORREKT, auch wenn Sie es nicht glauben oder verstehen wollen ...

  11. 6.

    Und daher schikaniert man Geimpfte mit 2G Plus.

  12. 5.

    "Wir haben letzte Woche zum Beispiel insgesamt 1.662 Intensivpatienten mit Covid-19 frisch aufgenommen. Auf der anderen Seite sind in der letzten Woche 579 Patienten verstorben. Das heißt wir hatten in der Summe etwas über 1.000 zusätzliche Patienten auf der Station"
    Wie? Lebendig ist in dieser Woche kein einziger Patient von der Intensiv gekommen? Glaub' ich nicht!
    Man sollte auch in diese Richtung mit korrekten Zahlen arbeiten, auch wenn's die Horrorbilanz nicht ganz so Horror anmuten lässt.

  13. 4.

    AndreasX: Sie haben ja wieder nichts verstanden und wahrscheinlich den Artikel nicht mal gelesen. Der Artikel widerlegt Impfverweigerer und Querdenker..

  14. 3.

    Danke RBB für das Interview. Vielleicht kommt der ein oder andere Impfverweigerer, ob der drohender Katastrophe, dann doch zu einer vernünftigeren Risikoabwägung.

  15. 2.

    Und das ist dann die Begründung für 2G Plus ?
    Ironie off

  16. 1.

    Wer hätte das gedacht? Also kann mit diesem Artikel die Meinung vieler Impfverweigerer widerlegt werden.

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