Übergriffe im Gethsemanekiez - "Er baute sich vor mir auf und meinte, ich solle an meiner Impfung verrecken"

Do 23.12.21 | 19:05 Uhr | Von Rebecca Barth
Anwohner protestieren im Gethsemanekiez gegen Corona-Leugner (Quelle: privat)
Bild: privat

Im Gethsemanekiez wehren sich Anwohner gegen die wöchentlichen Proteste von Corona-Verharmlosern und Querdenkern. Hier berichten sie über Übergriffe und Einschüchterungsversuche durch Impfgegner. Von Rebecca Barth

Am 13. Dezember versammeln sich laut Polizeiangaben rund 350 Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen vor der Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg. Seit vergangenem Montag organisiert eine Anwohnerinitiative Gegenproteste. Über die Hintergründe wollten einige aus Sicherheitsbedenken nur anonym mit rbb24 sprechen.

Susanne Martin*, Anwohnerin im Gethsemanekiez

Ich wohne in der Nähe der Gethsemanekirche und seit ein paar Wochen fällt mir auf, dass sich montags immer irgendwelche Leute vor der Kirche versammeln, wenn dort die Gebete für die inhaftierten Journalisten stattfinden. Das fand ich erstmal komisch.

Gegenüber der Kirche ist ein Café. Eine Gruppe Corona-Leugner ist dort eingefallen und hat die Barkeeper bedroht, die haben Gesten gemacht, als würden sie denen die Kehle durchschneiden, weil die die 2G-Regeln durchsetzen. Das sind junge Menschen hinter der Bar, Studenten, sowas geht gar nicht.

Eine Gruppe Corona-Leugner ist dort eingefallen und hat die Barkeeper bedroht, die haben Gesten gemacht, als würden sie denen die Kehle durchschneiden, weil die die 2G-Regeln durchsetzen.

Susanne*

Dieser Vorfall schockiert mich bis heute. Der Besitzer des Cafés ist ein ganz netter und neutraler Typ. Aber ich mache mir Sorgen, dass in Zukunft noch etwas Schlimmeres passieren könnte. Denn diese Menschen sind gefährlich. Die sind sehr gut organisiert und wissen was sie tun.

Dreimal habe ich versucht, mit solchen Leuten zu sprechen, aber man erreicht die ja gar nicht mehr. Die sehen uns als Feinde. Wir seien der Feind, weil wir uns impfen und diese Leute nicht ins Café lassen. Damit habe ich ein großes Problem.

An einem Montag ist deren Protest eskaliert und es gab einen großen Polizeieinsatz, die Stimmung war aggressiv. Irgendwann hat die Polizei dann angefangen, Platzverweise zu erteilen, die meisten sind gegangen, aber ein paar sind geblieben.

Neben mir stand eine Person, die sich sehr geärgert hat und denen zugerufen hat: "Geht doch nach Hause, ihr müsst doch nicht ausgerechnet vor der Kirche demonstrieren." Plötzlich waren wir dann umringt von knapp zehn Personen. Das war sehr unangenehm.

Mich macht es wütend, dass die versuchen, die Gethsemanekirche zu instrumentalisieren. Diese Kirche steht in der Tradition der friedlichen Revolution von 1989 und hat die Wende mit eingeleitet.

Ich kann es verstehen, wenn jemand Angst vor der Impfung hat, wenn jemand Angst um seine Existenz hat, wenn jemand unzufrieden mit gewissen Maßnahmen ist. Jeder hat das Recht, zu demonstrieren. Aber ich habe ein Problem damit, dass sie diesen historischen Ort vereinnahmen wollen. Die bespucken und beschimpfen uns. Das sind wirklich unangenehme Leute.

Aljona Hofmann, seit September Pfarrerin in der Gethsemanekirche

Jeden Tag halten wir eine Andacht für politische Gefangene und zu Unrecht Inhaftierte weltweit. Am 13. Dezember haben wir diese Andacht vor der Kirche veranstaltet und zugleich die Warnung bekommen, dass sich dort um 18 Uhr eine Gruppe von Maßnahmen-Gegnern trifft. Ich habe dann bemerkt, wie sich immer mehr Leute vor unserer Eingangstür versammelt haben. Eine Frau hat sogar vor unserem Eingang uriniert.

Die sind immer lauter geworden, ein Mann hat Akkordeon gespielt und es wurde unter anderem das Kirchenlied "Von guten Mächten" gesungen. Sie versuchen die friedliche Revolution von 1989 zu imitieren und ihre Symbole, wie unsere Kirche, zu vereinnahmen. Ich habe echt gedacht, ich bin im falschen Film.

Ich habe bemerkt, wie sich immer mehr Leute vor der Kirche versammelt haben. Eine Frau hat sogar vor dem Eingang uriniert.

Aljona Hofmann, Pfarrerin

Natürlich bin ich für die Meinungsfreiheit, für das Versammlungsrecht und für Demonstrationen. Aber ich glaube, die Inhalte der Maßnahmen-Gegner tun uns nicht gut. Die spalten unsere Gesellschaft noch mehr.

Dagegen und gegen die Vereinnahmung unserer Kirche wollen wir etwas unternehmen. Der erste Protest der Anwohnerinnen und Anwohner am Montag darauf war gut und der Überraschungseffekt groß, die Maßnahmen-Gegner waren irritiert, dass der Platz schon besetzt war.

Ich fühle mich persönlich nicht bedroht, aber mir passen die Inhalte einfach nicht. Mir gefällt nicht, dass unser Staat zur Diktatur gemacht wird, denn das ist er einfach nicht. Ich habe selbst in einer Diktatur gelebt. Wäre dieser Staat eine Diktatur, dann könnten die Maßnahmen-Gegner nicht protestieren.

Mir tut es leid, dass der Staat und auch die Polizei derart verhöhnt werden. Auch an den kommenden Montagen wollen wir uns vor der Gethsemanekirche versammeln. Dabei wollen wir nicht ideologisieren, sondern versuchen, in Beziehung zu treten. Mit den Nachbarn, mit den Menschen, die da sind, ins Gespräch kommen und fragen: Wie geht es dir eigentlich?

Ich würde auch mit Maßnahmen-Gegnern reden. Dass das nichts bringt – daran möchte ich nicht glauben. Vielleicht ist das naiv, aber ich glaube daran, dass Reden hilft.

Jane Kubiczek*, Anwohnerin im Gethsemanekiez

Das erste Mal, dass ich auf Menschen getroffen bin aus meinem Kiez, mit denen ich mich auf nichts mehr einigen konnte, war vor rund einem Jahr. Man konnte gerade wieder Glühwein draußen trinken und ich war mit einer Freundin unterwegs. Bei unserer Lieblingsbar waren wir fast die einzigen, die an die Pandemie und die Impfungen geglaubt haben.

Wir haben versucht zu diskutieren, aber die anderen Gäste meinten, die Medien seien unterwandert, staatliche Institutionen sowieso, alles sei eine Verschwörung. Ich bin nach Hause und habe mich fast übergeben. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass man sich überhaupt nicht mehr verständigen kann.

Die kleineren Treffen von den Maßnahmen-Gegnern hier im Kiez habe ich nicht mitbekommen. Am 13. Dezember bin ich einkaufen gegangen und habe eine große Gruppe von Menschen vor der Kirche gesehen. Zuerst bin ich noch davon ausgegangen, dass das die Mahnwache der Kirche ist, die jeden Montag stattfindet. Mich hat das erstmal nicht interessiert, aber als ich zurückkam, war die Stimmung total aufgeheizt.

Ich bin nach Hause gelaufen und bei mir in der Straße waren einige versprengte Protestierende. Es war unübersichtlich, die sehen ja genauso aus, wie ich, nur dass sie keine Maske tragen. Leute haben aus den Fenstern "Nazis raus" gerufen, von der Straße wurde zurückgerufen "Frieden, Freiheit, Demokratie" und irgendwas mit "Apartheid".

Ich habe mich total geärgert, diese Rufe bei uns im Kiez zu hören. Ich stand also vor meiner Haustür, habe die Maske aufgezogen und überlegt, wie ich mich jetzt verhalte. Ich wollte klarmachen, dass ich das nicht richtig finde. Also habe ich gesungen: "Schwurbler geht nach Hause." Ich fand das eine einigermaßen friedliche Form des Gegenprotests.

Ich frage mich: Was ziehe ich an? Den Schal, der vielleicht einen Wiedererkennungseffekt hat oder doch etwas Neutrales? Muss ich aufpassen, wenn ich an bestimmten Orten vorbeikomme?

Jane Kubiczek*

Aber dann ist einer zu mir gekommen, hat sich direkt vor mir aufgebaut und meinte, ich solle an meiner Impfung verrecken. Ein anderer kam hinterher, hat richtig Spucke zusammengesammelt und mir direkt vor die Füße gerotzt.

In meinem Kiez von Menschen so angegangen zu werden, die größtenteils auch hier im Kiez wohnen, macht mir Angst. Das hat eine andere Qualität. Jetzt wo wir angefangen haben, die Gegenproteste zu organisieren, frage ich mich: Was ziehe ich an? Den Schal, der vielleicht einen Wiedererkennungseffekt hat oder doch etwas Neutrales? Muss ich aufpassen, wenn ich an bestimmten Orten vorbeikomme? Ich bin vorsichtiger geworden.

*Namen geändert

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Beitrag von Rebecca Barth

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