Interview | Impfstoff-Forscher Sander - "Wenn wir die Impfstoffe nicht gehabt hätten, hätte das Land quasi stillgestanden"

Mo 27.12.21 | 12:40 Uhr
Maximilian Leipold, Arzt, klebt in einer Impfstelle in den Spandauer Arcaden nach einer Booster-Impfung mit Moderna ein Pflaster. (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Audio: Inforadio | 27.12.2021 | 07:05 Uhr | Bild: dpa/Christoph Soeder

Die Impfkampagne läuft wieder auf Hochtouren, gleichzeitig ist die Unsicherheit wegen Omikron groß. Der Berliner Impfstoff-Forscher Sander erklärt, was ihn zuversichtlich stimmt – und was in der Kommunikation hätte besser laufen können.

rbb: Herr Sander, vor einem Jahr war der erste Impfstoff da, die ersten Impfzentren machten auf. Wie optimistisch waren Sie damals?

Leif Erik Sander: Damals wie auch heute war ich sehr froh, dass wir so gut wirksame Impfstoffe zur Verfügung haben. Natürlich war uns allen klar, dass es auch logistisch schwierig wird, so schnell eine Massen-Impfkampagne durchzuführen. Das hat sicher am Anfang auch ein bisschen gerumpelt. Auch klar war, dass man irgendwann an einen Punkt kommt, bei den wir dann zwar ausreichend Impfstoff, aber vielleicht nicht mehr ausreichend impfwillige Personen haben. All diese Probleme haben wir gesehen, nichtsdestotrotz haben wir einen wirklich sehr großen Erfolg dieser Impfstoffe gesehen.

Zur Person

Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe für Infektionsimmunologie und Impfstoff-Forschung der Berliner Charité (Quelle: dpa/Michael Kappeler)
dpa/Michael Kappeler

Leif Erik Sander ist Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité und auch Mitglied im neuen Corona-Expertenbeirat der Bundesregierung.

Bei den Erstimpfungen liegen wir derzeit bei 74 Prozent. Im Vergleich mit anderen Ländern ist das nicht unbedingt Spitze. Was hätte besser laufen können? Und was müssen wir jetzt anders anpacken?

Ich glaube, wir haben zu Beginn nicht klar genug und vielleicht auch nicht ehrlich genug kommuniziert. Wir hätten klarer sagen müssen, dass die Impfstoffe oder die Impfungen im Grunde der einzige wirklich nachhaltige Weg raus aus der Pandemie sind. Die Impfung wurde als ein sehr gutes Angebot dargestellt, und wir haben uns auch aus der Wissenschaft natürlich bemüht zu erklären: Was machen diese Impfstoffe? Was wissen wir über die Impfstoffe? Was können die leisten? Aber letzten Endes wurde nicht klar genug gemacht: Wenn man sich nicht impfen lässt, wird man sich über kurz oder lang anstecken - und es wird zu einer so hohen Krankheitslast führen, dass man dann auch wieder mit Beschränkungen rechnen muss. Die Alternativlosigkeit, mit der diese Impfungen eigentlich uns aus der Pandemie rausführen, wurde also letzten Endes nicht gut genug erklärt. Da schließe ich mich auch selbst mit ein.

Mit der Omikron-Variante gibt es nun neue Unsicherheit: Wie gut wirken die Impfstoffe? Was ist mit der nächsten Variante? Wie optimistisch sind Sie, dass man mit immer neuen Impfstoffen wirklich auch immer neue Varianten einfangen kann?

Diese Unsicherheit kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich glaube, ich spreche da auch für andere Experten: Wir waren alle überrascht: erstens, wie stark sich die Omikron-Variante so schnell verbreitet hat, und zweitens, wie stark sie auch den Impfschutz unterwandern kann. Nichtsdestotrotz gab es gerade in den vergangenen zwei Wochen auch viele positive Nachrichten, unter anderem aus Südafrika oder auch aus England. Dort, wo hohe Immunität herrscht, also sich entweder viele Menschen schon angesteckt haben oder viele Menschen geimpft sind oder beides, kommt es zwar zu vielen Fällen, aber zum Glück zu relativ wenigen schweren Krankheitsverläufen. Das heißt, die Immunität, die wir uns erworben haben über die Impfung, schützt trotzdem, und sie schützt die Krankenhäuser. Leider kommt es zu vielen Impfdurchbrüchen, was auch zum Problem werden könnte. Weswegen wir die Booster brauchen und wahrscheinlich auch einen angepassten Impfstoff.

Aber wenn wir alle ungeschützt wären, wenn wir keine Immunität hätten, dann gäbe es viel mehr schwere Erkrankungen. Da gibt es auch verschiedene Hochrechnungen, wie das gewesen wäre, wenn wir in diesem Jahr diese Impfstoffe nicht zur Verfügung gehabt hätten. Wir haben jetzt schon sehr volle Intensivstationen gehabt, auch wieder in diesem Herbst, beziehungsweise haben es immer noch, allein durch die Delta-Welle. Wenn wir diese Impfstoffe zu dem Zeitpunkt nicht zur Verfügung gehabt hätten, hätte das Land quasi stillgestanden. Wir hätten extrem hohe Todeszahlen gehabt. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich noch einiges zu optimieren.

Stichwort Boostern und angepasster Impfstoffe: Jetzt hat man bei der ersten Impfung vielleicht Astrazeneca bekommen, dann Biontech, dann Moderna - und wer weiß, was noch kommt. Müssen wir noch darauf achten, womit wir genau geimpft werden? Oder überlässt man das den Ärzten und nimmt das, was gerade da ist?

Es ist so, dass wir im Interesse des Tempos der Impfkampagne und um uns möglichst früh und gut zu schützen, Impfstoffe mischen können. Das haben wir zu Beginn festgestellt. Aus Sicht eines Immunologen ist es sowieso relativ egal, denn das Immunsystem setzt sich mit einem bestimmten Antigen, dem Stachelprotein des Coronavirus auseinander. Und ob das nun im Moderna-Impfstoff steckt oder in dem von Biontech, ist dem Immunsystem wahrscheinlich relativ egal. Letztendlich ist eine Kombination dieser verschiedenen Impfstoffe möglich, das haben wir gesehen, es erzeugt eine sehr gute Immunität, und von daher sehe ich das unkritisch, wenn man unterschiedliche Impfstoffe bekommt. Wirklich wichtig ist aktuell, dass man den vollen Schutz erst bekommt, wenn man diese drei Impfdosen erhalten hat, also auch die Booster-Impfung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Leif Erik Sander führte Dietmar Ringel für Inforadio. Dieser Text ist eine gekürzte und redigierte Version des Interviews, das Sie oben im Beitrag komplett als Audio hören können.

Sendung: Inforadio, 27.12.2021, 07:05 Uhr

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