"Stellen ohne Spritze" - Wie Ungeimpften im Netz Jobs angeboten werden

Fr 21.01.22 | 18:48 Uhr | Von Marcel Trocoli Castro und Jenny Barke
Menschen demonstrieren gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin. (Quelle: dpa/Michael Kuenne)
Video: Abendschau | 21.01.2022 | Marcel Trocoli Catsro | Bild: dpa/Michael Kuenne

Mit der nahenden Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen wächst der Druck auf Ungeimpfte. Explizit für sie entstehen jetzt Jobbörsen im Netz. Dort inserieren auch Berliner Arbeitgeber - sogar Pflegeheime und Arztpraxen sind dabei. Von Marcel Trocoli Castro und Jenny Barke

Obwohl sie sich als "alternative Jobbörse" bezeichnet, lesen sich die ersten Angebote wie überall. "Suche Physio ab 1.2.2022 oder später für Teilzeit (10-20 Std./Woche) in Kreuzberg", heißt es beispielsweise.

Weitere Inserate offenbaren jedoch den besonderen Fokus der Jobbörse "impffrei.work". Wie die eines Dentallabors aus dem Süden von Berlin, dass auf Suche nach einem oder einer "Zahntechniker/in, m/w" ist: Der Auftraggeber möchte anonym bleiben - wie die meisten Arbeitgeber, die auf dieser Jobbörse nach Beschäftigten suchen. "Der Arbeitgeber möchte sich hier nicht öffentlich machen. In dieser Zeit wird man schnell an den Pranger gestellt. Für den Chef und Inhaber ist das Gen-Experiment kein Kriterium für einen Vertrag."

Seit Juli 2021 werden auf der Plattform "impffrei.work" Stellen im gesamten deutschsprachigen Raum angeboten. Auch in Berlin gibt es unzählige Angebote, über alle Branchen hinweg: Handwerker, Programmier, Friseurinnen- und Friseure, sogar ungeimpfte Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte können hier einen neuen Job finden.

Jobbörsen für Ungeimpfte (Quelle: rbb)
Die Jobbörse kombiniert Stellenanzeigen für Ungeimpfte mit Falschinformationen | Bild: rbb

"Vor wirtschaftlichem Totalschaden bewahren"

Nach eigenen Angaben ist die Webseite entstanden, um "der Ausgrenzung und Diffamierung von Arbeitnehmern entgegenzuwirken". Zudem sollen "Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer vor dem wirtschaftlichen Totalschaden" bewahrt werden, die durch die "sogenannte Pandemie" drohe. Um einer möglichen "Zensur" zu entgehen, werden auf der Webseite auch noch andere Domains angegeben, auf denen Jobs gesucht werden könnten. Das Logo der Seite verbildlicht die Motivation: Eine grüne Faust zerschlägt eine Impfspritze.

Angeheizt durch die Diskussion um eine nahende Impfpflicht entstehen im Netz immer mehr dieser Jobbörsen, die sich ausschließlich an ungeimpfte Arbeitssuchende wenden. Auch in anderen Ländern entstehen die Portale für "Stellen ohne Spritze", wie sie auf einer kanadischen Webseite beworben werden.

Proteste gegen Impfpflicht

Ab Mitte März gilt die Corona-Impfpflicht in Deutschland für alle Beschäftigten von Heil- und Pflegeberufen sowie Beschäftigte in Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen. Andere Länder gehen sogar noch einen Schritt weiter: In Österreich gilt ab 1. Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht für alle Menschen ab 14 Jahren. Mit dem zunehmenden Druck auf dem Arbeitsmarkt wächst die Angst einiger Ungeimpfter, den aktuellen Job zu verlieren. In Berlin sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) aktuell 23,6 Prozent der Bevölkerung nicht gegen Covid-19 geimpft.

In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Proteste gegen die Corona-Maßnahmen und eine Impfpflicht. In Berlin gingen nach Polizeiangaben am vergangenen Montag etwa 3.000 Menschen auf die Straße, so auch in Tegel. Viele der Protestierenden würden sich von den Einschränkungen für Ungeimpfte diskriminier fühlen, sagte eine Berlinerin dem rbb: "Ich darf nicht in die Bücherei, wir sind Menschen zweiter Klasse", so die Frau wörtlich.

Der Eindruck ist, dass sich die Teilnehmenden als Teil einer eingeschworenen, ungeimpften Gemeinschaft sehen. Viele informieren sich offenbar nur noch über alternative Medien im Netz. Was sie eint ist ein tiefes Misstrauen gegen den Staat und Wut gegen das kapitalistische System.

Jobbörse veröffentlicht viele Falschinformationen

Dieses Misstrauen greift auch die Online-Jobbörse auf, denn neben Inseraten verbreitet sie auch "nützliche Infos" unter Überschriften wie "Impfungen sind unwirksam und gefährlich" und "Impfmythos". Der Berliner Epidemiologe Timo Ulrichs hält die Kombination einer Stellenangebots-Seite mit solchen Beschreibungen für gefährlich: "Sie tragen dazu bei, die Menschen mit Falschinformationen und der Darstellung falscher Zusammenhänge in die Irre zu führen", so Ulrichs. Es werde als Beleg zitiert, dass mRNA-Impfungen Einfluss auf den weiblichen Menstruationszyklus hätten. "Das ist natürlich Humbug." Ulrichs Meinung nach seien praktisch alle Aussagen auf der Webseite widerlegbar, bei Informationen handele es sich eher um Propaganda und sie seien nicht wissenschaftlich fundiert.

Dass die Jobbörse ausgerechnet im Gesundheitsbereich auffällig viele Stellen anbietet, hält Ulrichs für eine große Gefahr, weil gerade in solchen Berufen das Virus leicht übertragen werden könne - aus diesem Grund sei die Impfpflicht ja auch im Gesundheitswesen verabschiedet worden. "Das ist in etwa zu vergleichen mit einem Chirurgen, der in den OP geht und sich vorher nicht die Hände wäscht. So ungefähr ist es mit einem Ungeimpften im Bereich der Pflege: Es wird fahrlässig in Kauf genommen, dass man hier den Erreger mit überträgt", so Ulrichs.

Domain-Betreiber bleiben anonym

Die Betreiber der Seite für die Falschinformationen und Spendenaufrufe zur Verantwortung zu ziehen, ist allerdings nicht ohne Weiteres möglich: Sie bleiben anonym. Nach Angaben von Netzexperte Tim Hoesmann ist das Angebot hinsichtlich des Impressums rechtswidrig. "Die Webseite muss von ihrer Gestaltung her, von ihrer Professionalität her einfach ein Impressum haben, weil hier eine Gewinnerzielung im Raum steht", so Hoesmann.

Allerdings sei "impffrei.work" vom Auftritt her gezielt darauf ausgelegt, dass man nicht wisse, wer dahinter steht. Unklar bleibe auch nach einem Blick in das Domain-Register, wer für die Webseite verantwortlich sei. "Aus meiner Sicht steckt dahinter, dass die Betreiber nicht gefunden werden wollen. Hintergrund dessen ist natürlich, dass diese ganze Corona-Leugner-Szene sehr kontrovers ist, zum Teil auch den Staat einfach ablehnt, sich deshalb aus staatlichen Situationen ganz bewusst raushält", erklärt der Netzexperte. Sie würden wohl ganz bewusst die Anonymität wählen, um zu verhindern, dass man herausfinde, wer dahintersteckt.

Strafbar machen sich nicht nur die Betreiber. Auch diejenigen, die im Gesundheitswesen Jobs an Ungeimpfte vermitteln sowie Ungeimpfte selbst, die Jobs im Gesundheitswesen annehmen, handeln ab dem 15. März 2022 gesetzwidrig.

Sendung: Abendschau, 21.02.2022, 19:30 Uhr

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Beitrag von Marcel Trocoli Castro und Jenny Barke

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